Süddeutsche Zeitung

ZDF-Chefredakteur Brender:Verweigerung ist auch eine Haltung

Lesezeit: 8 min

Die Konservativen im ZDF-Verwaltungsrat werden Chefredakteur Nikolaus Brender stürzen - weil er nicht vor den Großen kuscht.

Hans Leyendecker

Sage niemand, Roland Koch wäre nicht höflich. Lächelnd ging der hessische Ministerpräsident auf Nikolaus Brender zu und streckte dem ZDF-Chefredakteur die Hand entgegen. Der schaute den Christdemokraten an - und verschränkte die Arme. Dann eilte Willi Hausmann heran, einst enger Vertrauter von Angela Merkel, und fuhr seinen Arm weit aus. "Brüder, in eins nun die Hände", heißt es zwar in einem alten Arbeiterlied, aber der ZDF-Mann mochte auch Hausmann nicht die Hand reichen. Verweigerung kann manchmal eine Haltung sein.

Eben erst hatten die Vertreter der Union im ZDF-Verwaltungsrat, Koch voran und Hausmann mittenmang, auf jener berühmt gewordenen Sitzung im Frühjahr dieses Jahres angekündigt, dass sie den Ende März 2010 auslaufenden Vertrag mit dem ZDF-Chefredakteur nicht verlängern wollen. Mit Brender hatten sie darüber nicht geredet und nicht reden wollen, und dieser Umstand vor allem erboste den 60 Jahre alten Chefredakteur - solchen Leuten gibt er nicht die Hand. Jedenfalls nicht in so einem Augenblick. War es diese Geste, der verweigerte Händedruck, die so auffällig demonstrierte Unbotmäßigkeit? Liegt es daran, dass alles jetzt so läuft, wie es läuft?

"Ich war irritiert", sagt Hausmann heute. Aber wer und was kann Roland Koch noch irritieren? Vermutlich nicht einmal er sich selbst.

An diesem Freitag tagt im Lindenflügel des Zollernhofs in Berlin von 14 Uhr an wieder der Verwaltungsrat des ZDF, das mit 3600 Leuten einer der größten Fernsehsender Europas ist. Zunächst werden Haushaltsfragen beraten werden; am Ende der Sitzung wird ZDF-Intendant Markus Schächter vorschlagen, Brender erneut für fünf Jahre zum Chefredakteur zu ernennen. Und wenn nicht der heilige Franz von Sales, der gute Schutzpatron der Journalisten, noch im letzten Augenblick gewaltig dazwischenhaut, wird Schächters Vorschlag von der Unionsmehrheit mit deutlicher Mehrheit abgelehnt werden, denn Einvernehmen ist notwendig.

Vermutlich wird es 9:5 gegen Brender ausgehen. Der wird dann nach zehn Jahren Amtszeit seine Sachen packen müssen, ohne vor seiner Abwahl zu dem Vorgang Stellung genommen zu haben. Vermutlich wird er sich dann bald am Lerchenberg in Mainz verabschieden. Eine "lame duck" zu sein, passt nicht zu ihm.

Die großen Alten des Fernsehens

Brender ist auch nicht gerne Bittsteller. Vergeblich hatte er vor Monaten auf der 13. Sitzung des Verwaltungsrats um das Wort gebeten. Er wollte eine Erklärung abgeben. Abgeschmettert. 8:6. Wortführer waren der saarländische Ministerpräsident Peter Müller und Edmund Stoiber, der frühere bayerische Ministerpräsident. Stoiber? Vor fünf Jahren, als Brenders Vertragsverlängerung schon einmal anstand, so erklärte der CSU-Politiker in der Sitzung, habe er seine "Bedenken" gegen Brender "zum Ausdruck gebracht".

Er habe dann "jedoch zugestimmt, weil . . ." Stoiber soll dann über das, was normal ist oder nicht und über seine enttäuschten Erwartungen gesprochen haben. Keiner aus der Runde kann den Monolog einigermaßen verlässlich wiedergeben. Aber alle wissen: Die Stoiber-Leute haben mit Brender noch eine Rechnung offen, weil das ZDF im Bundestagswahlkampf 2002 angeblich zu häufig Gerhard Schröder und zu wenig Edmund Stoiber im Bild hatte. Schröder trotzte damals dem Hochwasser an der Elbe wie ein Deichgraf, Stoiber war irgendwo im Kinderplanschbecken. So banal funktioniert Macht im Fernsehen.

Was Koch, Stoiber und auch Hausmann offensichtlich für einen normalen Vorgang halten, die Nichtwiederwahl Brenders, ist für etliche Medienschaffende ein Anschlag auf ihren Berufsstand. Viele der großen Alten des Fernsehens, unter ihnen zahlreiche ehemalige Intendanten, sind in den vergangenen Wochen noch einmal - oder erstmals in ihrem Leben - auf die Barrikaden gestiegen und haben sich für Brender eingesetzt. Das seien sie auch, sagen manche, den jungen Kollegen in den Sendern schuldig, die Jasagen und Buckeln nicht für eine journalistische Tugend halten sollen.

Lesen sie auf Seite 2, warum man sich bei der Suche nach dem Motiv der Unionsleute leicht verirren kann.

Die wichtigsten Mitarbeiter des Senders haben schon vor Monaten in einem offenen Brief vor einer "gefährlichen Einmischung" der Parteien gewarnt. "Ungeheuerlich" fand Stoiber den Brief. Er habe die Unterzeichner "in ihre Schranken gewiesen", versuchte ihn Schächter zu beruhigen. Etliche der verbliebenen bekannten Sozialdemokraten sind ob der Causa Brender äußerst besorgt. Warum aber zieht kein SPD-Land vor das Bundesverfassungsgericht, um gegen den umstrittenen ZDF-Staatsvertrag zu klagen? Weil sich die SPD-Leute möglicherweise selbst herausklagen würden? Fünfunddreißig Staatsrechtslehrer haben vorige Woche in einem offenen Brief vor den großen Gefahren des drohenden parteipolitischen Zugriffs auf das ZDF gewarnt.

"Die Diskussion über Brender hat eine Dimension erreicht, die völlig absurd ist", wundert sich der einstige Staatssekretär und frühere CDU-Bundesgeschäftsführer Hausmann. "Es ist ein normaler Vorgang, nach zehn Jahren einen Vertrag nicht zu verlängern." Auch der Brief der Staatsrechtler sei eine "Überhöhung des Vorgangs". Andere Gremienmitglieder der CDU, die im Gegensatz zu Hausmann nicht genannt werden wollen, erklären, sie ließen sich "nicht erpressen"oder sie seien "gegen Kampagnen resistent".

Neu ist der Umstand wirklich nicht, dass in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die pro Jahr 7,5 Milliarden Euro Zwangsgebühren kassieren, auch Parteipolitik gemacht wird. Im ZDF sind viele Pfründen zu verteilen.

Wer macht eigentlich die Kampagne? Die Brender-Gegner oder die Brender-Unterstützer? Beide Lager reden unterschiedliche Sprachen. Beide haben ihre eigene Wirklichkeit.

Als vor ein paar Jahren ein neuer Direktor für wichtige technische Angelegenheiten ernannt werden sollte, saß der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, der Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats ist, mit Stoiber und Koch beisammen. "Ungeniert", sagt Beck, hätten die anderen in seinem Beisein gefragt: "Ist das einer von uns?" - "Wo steht der politisch?" Das ist manchmal in Mainz die Einstellungsfrage. Beck sagt, er habe es "nicht mehr ertragen können. Eigentlich wollte ich aufstehen und weggehen."

Ich werde denen nicht helfen

Ach, Beck. Die Sozialdemokraten waren, früher zumindest, als sie noch fette Mehrheiten hatten, auch nicht zimperlich, wenn es darum ging, die eigenen "zuverlässigen" Leute an die richtigen Plätze zu bringen. Dafür steht auch die Personalie Brender. Als der Unabhängige, der in seiner Jugend mal in der Jungen Union war und dann keiner Partei mehr angehörte, erstmals zum ZDF-Chefredakteur gewählt worden war, bat ihn Hermann Heinemann an den Tisch, der einstige starke Mann des früher einmal mächtigen SPD-Bezirks Westliches Westfalen. "Wir haben Sie gewählt", sagte Heinemann, und "wir erwarten, dass Sie jetzt für unsere Leute was tun."

Brender, der vom WDR kam und schon einige journalistische Agenten erlebt hatte, die mehr Absendern wie Heinemann als dem Sender dienten, antwortete: "Ich werde denen nicht helfen." Pause. Dann sagte Brender: "Ich werde aber auch den anderen nicht helfen."

Nikolaus Brender ist ziemlich offen und ansonsten für jede Keilerei zu haben - vor allem, wenn sie Spaß macht. Diese Rauflust verschafft ihm zusätzliche Gegner in der Politik. Auch bei Sozialdemokraten oder Grünen. Bei den Jesuiten ist er in die Schule gegangen, aber den Rat des Kirchenmannes von Sales, man müsse "die Sünde scharf, den Sünder aber milde behandeln", hat er nie beherzigt (die einzige Ausnahme ist wohl aus seiner Sicht der Fall Peter Hahne). Brender hat treue Gefolgsleute und leidenschaftliche Feinde. Aus "vielen Bereichen", sagt der frühere Merkel-Vertraute Hausmann, "haben sich Mitarbeiter über Brender beschwert". Fast triumphierend verweist ein hochrangiger Christdemokrat auf eine interne Online-Umfrage des ZDF über "Mitarbeiterzufriedenheit", bei der die ZDF-Chefredaktion "nicht gut abgeschnitten" habe.

Und dann, das ist in diesen Kreisen fast ein Gottesbeweis, stand da was bei Focus Online. Der Christdemokrat Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und Medien, war an der Quelle und hat im Verwaltungsrat daraus geschöpft. Exklusiv hatte Focus Online gemeldet, der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Peter Frey, habe in einer "Tacheles-Runde", an der auch Brender teilgenommen habe, mit dessen Führungsstil abgerechnet. Frey hat die ihm zugeschriebenen Äußerungen später heftig dementiert. Neumann aus Bremen, der Quellen-Experte.

Brender schätzt Frey, aber er verachtet die Leute im Sender, die er IMs - "Inoffizielle Mitarbeiter" - nennt, weil sie angebliche oder echte Fehler sammeln und sie im Tonfall der Sorge den Mächtigen zuraunen.

Es gibt die Politisierung der Rundfunkanstalten durch den Zugriff der Parteien und die Politisierung der Sender durch willfährige Insassen. Brender ist Journalist aus Leidenschaft, er liebt seine Arbeit, wie man ein lebendes Wesen liebt. Er war ARD-Korrespondent für Südamerika, Auslandschef, Politik-Chefredakteur und Programmchef des WDR, bevor er im April 2000 als Chefredakteur in Mainz begann. Er hat bei unterschiedlichen Gelegenheiten Gerhard Schröder und Angela Merkel spüren lassen, dass er keine linke und keine rechte Politik macht und nicht vor den Großen kuscht. Das hat den Mächtigen nicht gefallen, und auch eine Bundeskanzlerin kann nachtragend sein.

Brender hat ein Gespür für Themen, für Entwicklungen, aber lange Zeit hat er nicht mitbekommen, was sich gegen ihn zusammenbraute. Es war bei der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten am 23. Oktober 2008 in Dresden, als der Christdemokrat Koch den Sozialdemokraten Beck beiseitenahm. Die Unionsleute im Verwaltungsrat seien gegen eine Verlängerung von Brenders Vertrag, sagte Koch. Sein Kollege Beck war "perplex". Als er nach dem Grund fragte, soll Koch sehr allgemein geblieben sein. Brender erfuhr eher zufällig, im Januar war es, von den Absichten der Union.

Er ging weiterhin brav in Gremiensitzungen und wurde weiterhin für seine Arbeit gelobt. Ganz besonders wurde Anfang des Jahres Brenders "Anteil an der Konsolidierung des Senders" im Verwaltungsrat gewürdigt. Haushaltsfragen sind eigentlich die Kernaufgabe des Verwaltungsrats. Der Fernsehrat ist fürs Programm zuständig. Nach den Berechnungen des Hauses hat Brender dem ZDF in seiner fast zehnjährigen Amtszeit insgesamt 200 Millionen Euro gespart, weil er seinen Haushalt nicht ausschöpfte und Geld zurückgab. Aber die Unionsvertreter erklären in Hintergrundgesprächen auch, der Mann sei "ein Chaot".

Bei der Suche nach dem Motiv der Unionsleute kann man sich leicht im Labyrinth verirren. Antreiber Koch erklärte intern im Verwaltungsrat, dem Chefredakteur mangele es an "Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit". Dialogbereitschaft gegenüber Koch? Auch sei sein Umgang mit Mitarbeitern problematisch. In einem Interview in der FAZ hatte Koch vor allem über die angeblich so schlechten Quoten der Nachrichtensendungen räsoniert, für die der Chefredakteur verantwortlich ist. Brender konterte in der SZ mit anderen Zahlen. "Die Quote darf nicht der alleinige Maßstab sein", meint Hausmann. "Die Frage ist: Kann man mit Brender das ZDF voranbringen oder nicht?" Brender sei doch "erfolglos", meint ein weiteres Gremienmitglied. Erfolglos? In den Jahren 2008 und 2009 hat das ZDF rund vierzig Preise abgeräumt. Nun darf man Preise im Journalismus nicht überbewerten, aber mancher zählt doch.

Also noch mal: Ein ordentlicher Chaot, die Quote ist kein Gradmesser oder doch, erfolglos und viele Preise, die Argumente wirken nicht besonders stimmig.

Nur dass Brender manchmal ruppig sein kann, bleibt unumstritten. Gibt der Ton den Ausschlag? Oder schüttelt er doch zu wenig Hände? "Ich kenne kein Argument, das nachvollziebar ist", sagt Beck, der für Brenders Verbleib kämpft.

"Vielleicht", meint ein anderes Gremienmitglied, "zielen die auf Brender, aber meinen den Intendanten." Eine Vermutung nur, momentan nicht sehr belastbar, aber eine interessante These.

Schächter ist auch Katholik wie Brender, aber kein Jesuit, sondern eher ein phänotypischer Kaplan. Den Kopf hat er meist leicht gesenkt, er geht nicht direkt zum Ziel, das steuert er auf Umwegen an. Seine Arbeit als Intendant hat er in den vergangenen sieben Jahren gut erledigt. Er ist ein Taktierer. Im Fall Brender hat er auf Zeit gespielt - und wohl verloren. Mit Beck hat er neulich noch zusammengesessen, und beide haben ausgelotet, ob es Sinn hätte, doch noch einen Kompromiss vorzuschlagen. Koch hatte keinen Gesprächsbedarf mehr.

Schächter geht möglicherweise davon aus, dass die schwarzen Räte nach der Erledigung der Personalie Brender Ruhe geben werden, dass sie ihm für den Rest seiner Amtszeit bis 2012 viele Freiheiten lassen. Doch diese Erwartung wäre ein Irrtum. Gremien sind wie die Boa Constrictor, die Abgottschlange. Sie werden niemals richtig satt.

Brender beginnt, seinen Frieden zu machen. Längst gibt er Hausmann und Koch wieder die Hand. Der Handschlag ist auch eine Geste, die Kampfhandlungen beenden soll. Aber wirkliche Versöhnung wird es nicht geben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.147585
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.11.2009
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.