Zadie Smith und Daniel Kehlmann in Berlin:Allein in einem Zimmer

Zadie Smith und Daniel Kehlmann in Berlin: Lebt wieder in London: die britische Schriftstellerin Zadie Smith

Lebt wieder in London: die britische Schriftstellerin Zadie Smith

(Foto: Eva Tedesjö/DN/imago images/TT)

"Ich bin ein besonderer Leser deines Buches": Zadie Smith und Daniel Kehlmann rekapitulieren in Berlin die Pandemiejahre.

Von Lothar Müller

Es gibt sie wieder, die geballte physische Präsenz eines dicht an dicht sitzenden Publikums in einem sehr großen Saal. Die Minderheit der Maskenträger ist darin wie hingetupft verstreut, Abstand kann auch sie nicht halten. So war es am Donnerstagabend im Haus der Berliner Festspiele, als dort im Rahmen des 22. Internationalen Literaturfestivals Berlin Zadie Smith und Daniel Kehlmann auftraten. Manche Kinobetreiber und Musikveranstalter berichten, dass das Publikum nur zögernd zurückkehrt, die Blockbuster und großen Namen aber ziehen. Vielleicht ist das auch im Literaturbetrieb so.

Ein schwarzer Tisch, zwei schwarze Stühle, zwei Mikrofone, zwei Wasserflaschen, zwei Gläser und ein aufgestelltes Buch. Simultanübersetzer holen das englisch geführte Gespräch ins Deutsche. Zadie Smith und Daniel Kehlmann sind Jahrgangsgenossen, sie ist 1975 im Norden Londons geboren, er in München. Das Buch, das vor ihnen steht, heißt "Intimations". Zadie Smith hat es in den ersten Wochen der Pandemie in New York geschrieben und Ende Mai 2020 abgeschlossen. Auf Deutsch ist es unter dem Titel "Betrachtungen. Corona-Essays" wenige Monate später erschienen.

Es ist der Anlass des Abends, wird gelegentlich zitiert, am Ende liest Zadie Smith ein, zwei Seiten daraus vor, aber gegeben wird hier nicht eine Buchvorstellung, sondern ein Duett der Erinnerung. "Ich bin ein besonderer Leser deines Buches", sagt Daniel Kehlmann gleich zu Beginn, "wir haben, als im Frühjahr 2020 die Pandemie zugeschlagen hat, im selben Gebäude gelebt. Die Straße, die bei dir vorkommt, die Lady mit dem Hund, der Mann ohne Beine, die habe ich alle beim Lesen wiedererkannt."

"Eingesperrt in ein Zimmer mit den Kindern, es war Panik, Verzweiflung."

Und er trägt zum Buch bei, was darin nicht vorkommt, hat noch einmal die E-Mails gelesen, die sie damals wechselten. Zadie Smith erwägt ein wenig den mit Trostpotenzial ausgestatteten Gedanken, dass damals plötzlich alle das tun mussten, was Schriftsteller sowieso immer tun, wenn sie schreiben: in einem Raum sitzen, nicht rausgehen. Daniel Kehlmann blickt distanziert auf die Stimmen von damals zurück, denen der Lockdown als Chance der Besinnung, der Entschleunigung des Lebens bei willkommener Emissionsdämpfung erschien: "Auch die gute Luft fühlte sich nach Dystopie an." Zadie Smith, im Ton sehr entspannt, sehr cool, erinnerte sich an sich selbst als Nervenbündel: "Eingesperrt in ein Zimmer mit den Kindern, es war Panik, Verzweiflung. Du warst positiver, ich war wie ein Zombie und du warst Mister Science."

In dieser Plauderei unter Schriftstellern war Daniel Kehlmann, dem Sohn eines österreichischen Regisseurs, eine Doppelrolle auferlegt, die er virtuos bewältigte. Er war auf der einen Seite der Kollege auf Augenhöhe, der mit einer befreundeten Autorin über das Schreiben fachsimpelte, gelegentlich auch eigene Bücher wie "Die Vermessung der Welt" oder den Eulenspiegel-Roman "Tyll" ins Spiel brachte. Er war aber zugleich der Moderator des Abends, hatte als Fragensteller für den Fortgang des Gesprächs, die Zufuhr von Themen zu sorgen. Man könnte auch sagen, er warf Zadie Smith andauend interessante bunte Bälle auf die Bühne, von denen sie aber die meisten liegen ließ. Oder charmant zurückwarf mit dem Satz: "Historische Romane würde ich nie schreiben" - in dem das Echo "Ich lese sie auch ungern" unüberhörbar mitklang.

Zadie Smith und Daniel Kehlmann in Berlin: Lebt wieder in Berlin: der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann

Lebt wieder in Berlin: der deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann

(Foto: ALI GHANDTSCHI)

Am besten gelangen ihr die kleinen Monologe, etwa über ihre Vor-Covid-Internetabstinenz, die sich während der Pandemie ins Gegenteil verkehrte, bis sie sich Tag und Nacht einer kollektiven Stimme ausgesetzt sah, die sie dann mit ihrem Essayband - als Gespräch mit sich selbst - parieren wollte. Wenn aber Kehlmann berichtete, wie er selbst den Konsum der Fernsehserien einstellte und zur Literatur der Wiener Jahrhundertwende griff, Hofmannsthal und Schnitzler, blieb der Ball wieder liegen.

Beide haben New York verlassen und sind nach Europa zurückgekehrt

Und wenn in einer Passage über Pandemie und Spaltung der Meinungen im Nahbereich Daniel Kehlmann Franz Kafka als einen Autor vorstellte, der unfähig zu abstrakten Meinungen gewesen sei, erstarb auch darüber der Dialog bald. Nur als Zadie Smith, als die Rede auf problematische Autoren kam, Philip Roth einfiel, blitzte ein Minimonolog auf: "Ich lese ihn nicht als einen großen Analytiker der weiblichen Existenz, aber wenn ich etwas über den Tod wissen will, dann lese ich ihn."

Beide, Kehlmann und Smith, haben während der Pandemie New York verlassen und sind nach Europa zurückgekehrt. Er lebt inzwischen in Berlin, sie wieder in dem "London N-W", das sie vor etwa zehn Jahren zum Stoff und Titel eines Romans gemacht hat. Eben hat sie einen neuen Roman fertiggestellt und lebt noch in der Euphorie des Gelingens.

Hier, in Europa, stößt die Plauderei an ihre Grenzen, hier ist der Stoiker im Moderator Kehlmann gefordert. Im Blick auf die Londoner Community und die englische Regierungspolitik ist die Gemeinplatzdichte bei Zadie Smith hoch. Die Nachricht vom Tod der Queen übrigens ist auf die Bühne noch nicht vorgedrungen. Als Kehlmann gegen Ende "das dunkelste Thema dieser Tage", den Krieg in der Ukraine, ansprechen will, erhält er keine Antwort.

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