Yung Hurn:Mal eben den deutschsprachigen Hip-Hop retten

Yung Hurn

"So simple Beats wie möglich, und darauf abgefuckt rappen." - Yung Hurn.

(Foto: Milos Bogojevic/PR)

Eine Begegnung mit dem Wiener Rapper Yung Hurn, der aus Phrasen und Kommunikationsmüll einen besonderen Witz erschafft.

Von Juliane Liebert

Yung Hurn hat ein riesiges Portemonnaie mit einem dicken Batzen Karten darin, Kreditkarten, Mitgliedskarten für vermutlich illustre Clubs, Visitenkarten, ein Bündel 50-Euro-Scheine. Er verrät sein Alter so wenig wie seinen wirklichen Namen; er wird um die 20 sein und kommt aus Wien. Er ist Rapper. Genauer: Er ist einer der Typen, die österreichischen Rap populär gemacht haben, und er wird dafür gefeiert, geliebt und gehasst. "So simple Beats wie möglich, und darauf abgefuckt rappen", fasst er seinen Job zusammen. "Wenn du es wem vorspielst und der sagt: ,Was ist los? Wieso rappt der so komisch? Kann der nicht sprechen?' - das ist Absicht."

Man könnte ihn dem zuordnen, was in den USA "Cloud Rap" genannt wird, sphärischer und ostentativ verlallter Hip-Hop. Aber eigentlich hat das, was Yung Hurn tut, im engeren Sinn wenig mit den USA zu tun. Die österreichische Szene hat dem deutschsprachigen Rap einen speziellen, zugleich billigen und feinsinnigen Witz verliehen, der sich einerseits gegen seine Intellektualisierung sperrt und andererseits die vor den Kopf stößt, die glauben, es müsse bei Hip-Hop immer noch und für alle Zeiten vor allem um Glaubwürdigkeit und Echtheit gehen.

Yung Hurn züchtet Perlen aus Kommunikationsmüll

Allein schon mit Songs wie "Nein" und "Ok cool" hat Yung Hurn die beiden Grundhaltungen, die man zur Welt einnehmen kann, formvollendet auf den Punkt gebracht. Wer die beiden Tracks einmal gehört hat, kann nicht mehr aufhören, "Ok cool" oder "Nein ... ich hab keine Zeit" zu sagen. Dazu kommen sehr gute Trap-Beats. Weshalb Yung Hurn auch die allerhübschesten Mädchen in seinen Videos und in seinem neuesten Projekt, der Love Hotel Band, dazu sogar noch Lars Eidinger hat. Während Kollege L Goony eher Rap-Gesten aus dem Standardrepertoire aufführt, RIN klassische Rap-Technik zeigt, Crack Ignaz den Dialekt rauskehrt und Young Krillin die Albernheit feiert, züchtet Yung Hurn Perlen aus Kommunikationsmüll: Hier eine Zeile Schlagerkitsch, dort eine bis aufs Grundgerüst runtergebrochene Rap-Phrase, aufgeschnapptes Partygeschnatter und Wünsche nach Liebe und Sex in klaren, einfachen Worten. Natürlich macht er auch viel Quatsch. Er tritt etwa unter dem Alias K. Ronaldo als sein fiktiver großer Bruder auf. Und ab und an möchte man ihm den Autotune-Effekt um die Ohren hauen.

"Ich hab mit 14, 15 begonnen, mit Freunden zu freestylen. Meine Inspiration war der Rapper Rap4fikk. Das war Wiener Slang, plus ein bisschen Türkisch."

"Ich hab angefangen, Musik zu machen, weil ich etwas machen wollte, was es so nicht gab", erklärt er. Das war im 22. Bezirk von Wien, laut Yung Hurn eine "ekelhaft lang gezogene" Angelegenheit, die fast nur aus Blocks und Baumärkten besteht, "aber schön". Denn: "Viel Grünfläche. Irgendwie lieb ich es dort doch. Ich hab da mit 14, 15 begonnen, mit Freunden zu freestylen. Auf so alten Premiere-Beats. Zum Spaß. Meine Inspiration war der Rapper Rap4fikk. Das war Wiener Slang, plus ein bisschen Türkisch."

Er ist Schulabbrecher, und er ist schlauer, als er zugibt. Man kann mit ihm beiläufig über Kreditkartenbetrug und Störsender reden. Früher hat er Züge besprüht, jetzt sitzt er schon mal neben dem Maler Daniel Richter und redet über Kunst. Früher haben ihm seine Eltern erlaubt, sich ein Paar Schuhe im Jahr zu kaufen, jetzt schenkt er ihnen Markenware weiter - paketeweise. "Ich empfehle dir schwersten Herzens, dass du dir meine Show morgen nicht ansiehst", rät er einen Tag vor seinem Auftritt auf der "Bread and Butter", einer von Zalando gesponserten Modemesse. "Schau dir lieber ein richtiges Konzert an. Das ist einfach so 'ne Modeshow, das wird mega lame." Das Konzept großer Labels, sich angesagte Künstler der Gegenkultur zu kaufen, beginnt, sich gegen sie zu wenden. "Es ist Donnerstag, und ich kauf mir nix", rappt Hurn in "Ok Cool", auf einer Messe, die möglichst viele Menschen zum Kaufen anregen soll. Die Frage ist, wie lange er diese Balance halten kann, ist es vorbei, wenn irgendwann Yung Hurn die Mercedes-Benz-Werbung untermalt?

Blasenbildung im Hip-Hop

Bis dahin wird es wohl noch dauern, denn die meisten von Hurns Tracks sind ein Lob des Rausches durch Liebe, Sex und diverse Drogen. Was die Feier des Exzesses angeht, sind er und sein Umfeld die Erben der Technoszene, die derzeit in ihrer Berghain-Minimal- und Frickellärm-Coolness zu erstarren droht. Aber vor allem wird im Rahmen der allgemeinen Feier des Rausches in seinen Videos endlich mal wieder lustvoll vor der Kamera geraucht und gesoffen. Es ist deshalb erfrischend, weil der Exzess der Popmusik irgendwie ein bisschen abhandengekommen zu sein schien in den letzten Jahren.

"Wenn ich rappe, 'Handy läutet, oben steht Mama', meine ich diesen Moment, wenn du im Club aufs Klo gehst und auf dem Telefon Lines legst, und dann ruft auf einmal deine Mutter an, aber du willst sie nicht wegwischen und musst dich beeilen. Das kennst du doch? Ist dir doch bestimmt schon mal passiert?" fragt Yung Hurn. Nein. Aber er scheint, auch das ist bemerkenswert, der einzige Rapper der Welt zu sein, der ein halbwegs normales Verhältnis zu seiner Mutter hat. Im Hip-Hop ist die Mutter ja für gewöhnlich immer entweder eine Heilige (wenn es die eigene ist) oder eine Nutte (wenn es die von jemand anderem ist). Yung Hurns Mutter dagegen ist einfach da und schaut dem Treiben besorgt und ansatzweise belustigt zu. Wahre Coolness entsteht nicht nur aus dem, was man tut, sondern vor allem auch aus dem, was man lässt. Yung Hurn hat ein gutes Gespür dafür, er hat Jan Böhmermann, der ihn unbedingt in seiner Show haben wollte, mehrfach abgesagt. Und nach 2017 will er überhaupt keinen Rap mehr machen. Selbst wenn das nur ein Slogan ist, zeigt er damit trotzdem, dass er das Problem versteht: Der ganze Hype um die neuen Spielarten von R 'n' B und Hip-Hop wird sich irgendwann totlaufen. Es ist ja im Moment ganz klar eine Blasenbildung erkennbar. Wie an der Börse oder auf dem Immobilienmarkt.

Er stolpert mit dem Optimismus des Schelms und der verstrahlten Entspanntheit des Dandys durch die moderne Welt

Yung Hurn will in Zukunft Gitarrenmusik machen, erster Anlauf ist sein Song "Diamant". Er würde überhaupt am liebsten alles machen, ist in den meisten Dingen gut und behauptet, er könne nichts. Auf seinem Soundcloud gibt es Aufnahmen, in denen er Klavier spielt und singt. "Ich würde nie im Leben sagen, dass ich Klavier spielen kann", sagt er, "nie im Leben. Aber wenn jetzt hier ein Klavier stehen würde, und es wär ganz still, und ich würde dazu singen, dann würde es dir schon gefallen. Und du würdest sagen, 'Oh, kannst du Klavier spielen?', und ich würde sagen: 'Ein kleines bisschen.'" Aktuell plant er eine Yung-Hurn-Fliegenklatsche.

Wenn man sich auf Youtube die Kommentarschlachten unter Yung-Hurn-Tracks anschaut, sieht man, dass er die deutschsprachige Szene aufgestört hat. Was auf jeden Fall eine gute Nachricht ist. Denn bislang gab es in Deutschland nur zwei Lager: Spaß-Hip-Hop, also Hip-Hop für brave linksliberale Akademiker und die ganze Familie einerseits. Oder den Straßenrap von Bushido bis Haftbefehl, der leider schon viel zu lange eine Parodie seiner selbst ist. Yung Hurn bricht diese Situation auf. "Was viele deutsche Rapper nicht wahrhaben wollen", sagt Yung Hurn, an seinem Drink ziehend, "der Stil kommt aus Österreich. Die ersten waren die Salzburger HPF. Vor drei oder vier Jahren, noch in Wien, hab ich mich gefragt: Warum macht keiner neue Sachen? Aber die haben das schon davor gemacht. Noch davor eben Lil B und so. Ich würde nicht behaupten - auf gar keinen Fall -, ich hätte die Bewegung erschaffen. Aber ich war ein Teil davon."

Sein Erfolg hat allerdings auch viel mit seinem Changieren zwischen Lausbub und Model, Schüchternheit und Selbstbewusstsein zu tun. Auffällig ist, dass er jung ist, und doch sehr gelassen. Er stolpert mit dem Optimismus des Schelms und der verstrahlten Entspanntheit des Dandys durch die moderne Welt. Wenn darin etwas Utopisches steckt, dann dass er dabei im Netzwerk zerfasert und zugleich autonom bleibt. Er gibt einem die Hoffnung, dass man sich auf der Cloudmatratze durch den ganzen Kommunikationsmüll und die Zumutungen der Leistungsgesellschaft treiben lassen kann, ohne jemals unterzugehen.

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