Youtube und Musikvideos:Zeit der Kannibalen

Es nervt, wenn ein Musik-Video bei Youtube gesperrt ist. Doch wer ist der Böse? Das Videoportal suggeriert, der Übeltäter sei allein die Gema, doch das ist ungerecht. Über die zwei zentralen Irrtümer in der Debatte ums Urheberrecht im Internet.

Jens-Christian Rabe

Am Gründonnerstag war in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit Bernd Schlömer zu lesen, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Piratenpartei. Zur laufenden Debatte über das Urheberrecht, die seit dem Wutanfall des Popsängers und Autors Sven Regener gegen die "Kostenloskultur" im Netz aufgeregter geführt wird denn je, gab Schlömer nur eine kurze Stellungnahme: Die Piratenpartei sei keine "Umsonst-Partei", sie vertrete nur die Ansicht, dass das Urheberrecht "die Interessen etwa der Musikverlage in den Vordergrund" stelle. Und das gehe "zu Lasten der Schöpfer, der Kreativen und der Abnehmer".

Gema gegen YouTube

Das Logo des Musikrechte-Verwerters Gema (vorne) vor dem Logo des Videoportals YouTube: Wenn ein Musik-Video bei YouTube hierzulande gesperrt ist, hieße die korrekte Begründung hierfür: "Unser Unternehmen streitet mit den Künstlern, ohne die unser Angebot viel unattraktiver wäre, darüber, wie viel der einmalige Abruf eines Videos oder Songs wert ist. Bislang wollen die Künstler mehr Geld, als uns ihre Songs wert sind. Wir bitten um Geduld."

(Foto: picture alliance / dpa)

Das klang fast handzahm. Und doch kamen exemplarisch wieder zwei zentrale Irrtümer des Streits zum Ausdruck: Künstler und Konsumenten stehen friedlich auf derselben Seite. Und die Musikverleger sind die Bösen.

Der erste Irrtum unterstellt, dass das geltende Urheberrecht zu Lasten der Abnehmer und aber auch der Künstler gehe. Tatsächlich sind so gut wie alle Musik-Künstler, also Musikurheber des Landes, Mitglieder bei der Gema, also auch die aus dem unteren Mittelbau oder der Unterschicht des Geschäfts, denen die aktuellen Verhältnisse am meisten zusetzen.

Sie haben dem Verein die Verwertung ihrer Urheberrechte übertragen, der sie treuhänderisch, das heißt ohne eigene Gewinnabsicht, wahrnimmt. Mitglied bei der Gema ist also keineswegs nur der vergleichsweise große Fisch Sven Regener, der von seinen Gegnern nach seiner Wutrede sofort als ahnungsloser, satter Altstar geschmäht wurde, der keinen Schimmer mehr davon habe, was es bedeute, eine Karriere unter den Bedingungen des Web 2.0 starten zu müssen.

Die Gema ist nun in mancher Hinsicht eine extrem reformbedürftige Institution. So ist es zum Beispiel fragwürdig, dass nur ein kleiner Teil der organisierten Mitglieder abstimmungsberechtigt ist oder Journalisten aus Jahreshauptversammlungen rausgeschmissen werden, weil die Mitglieder die jährlichen Einnahmen von über 850 Millionen Euro lieber im Geheimen unter sich aufteilen wollen.

Spendenbereitschaft bringt sicher weniger als die Gema

Wegen der Gema bekommt eine deutsche Indieband, die lieber nicht genannt werden will, am Jahresende aber doch oft 20.000 Euro Tantiemen. Für ein paar tausend verkaufte Einheiten ihres neuen Albums und Auftritte vor manchmal kaum hundert zahlenden Gästen.

Ähnlich viel bekommt ein - auch lieber anonym bleibender - junger Sänger und Songwriter, der ab und an im Vorprogramm einer Show eines größeren Namens auftreten durfte und schon einmal seine Musik in einem Werbespot unterbringen konnte, aber bisher kaum mehr als zwanzig eigene Songs veröffentlicht hat. Das Geld gibt es zusätzlich zu den direkten Einnahmen wie Konzertgagen und (oft nicht mehr so üppigen) Anteilen an CD-Verkäufen und Merchandising.

Kein Pirat wird den Künstlern dieses Geld verwehren wollen. In einer älteren Stellungnahme des Piraten-Landesverbandes Berlin hieß es gar zur Gema: "(Wir) unterstützen . . . die Interessen von Kulturschaffenden, Musikkünstlern und Komponisten." Ganz abgesehen davon, dass die Modelle, die die Piratenpartei vorschlägt und die auf freiwilliger Spendenbereitschaft der Konsumenten beruhen, auf absehbare Zeit kaum Beträge werden akquirieren können, die den Gema-Überweisungen gleichkommen.

Auch die großen Musikverlage schlossen Verträge

Beinahe noch unglücklicher aber ist der Irrtum Nummer zwei: die pauschale Verteufelung der Musikverlage und Plattenfirmen, wie sie Netzaktivisten und Piratenpartei pflegen. Das klingt erst einmal gut antikapitalistisch, aber auch diese Sache liegt komplizierter.

Natürlich gibt es mächtige, vielleicht zu mächtige Labels und Musikverlage, allen voran die verbliebenen drei großen Plattenkonzerne Warner, Sony und der mittlerweile unangefochtene Marktführer Universal. Sie haben nicht nur die großen Stars unter Vertrag, sie halten auch die Rechte an unzähligen populären Songs. Die Verlage haben sich diese Rechte aber in der Regel nicht verbrecherisch unter den Nagel gerissen: Sie mussten Verträge mit Künstlern oder anderen Rechteinhabern schließen, mit denen diese die Rechte zur Vervielfältigung und Verbreitung an sie übertragen haben.

Und entgegen der offenbar weit verbreiteten Meinung unterschreiben Künstler einen Labelvertrag nicht zwangsläufig, weil sie hinterhältig über den Tisch gezogen werden oder ihnen die Pistole auf die Brust gesetzt wird. Sie wissen vielmehr noch immer oder wieder, dass sie sich dadurch eine Menge unternehmerisches Risiko sparen und vor allem viel Zeit und lästige, ganz und gar unkreative Arbeit.

Wo Geld ist, sind Gier und Macht

Es gibt nach wie vor - vielleicht sogar mehr denn je - triftige Gründe für die Arbeit und die daraus resultierenden Ansprüche von Labels und Musikverlagen. Gauner gibt es natürlich auch in der Musikbranche reichlich. Wo Geld ist, sind Gier und Macht, und dies lädt zu Machtmissbrauch ein.

Die - oft berechtigte - Kritik an manchen in der Branche verbreiteten Geschäftspraktiken stellt aber nicht ein ganzes, gewachsenes System in Frage. Es gibt Plattenfirmen und Labels, die auch die kleinen Bands und Künstler, die sie unter Vertrag haben, fair behandeln und bestmöglich betreuen.

Es gibt sogar über jeden Zweifel erhabene Indie-Labels, die aus freien Stücken mit Major-Labels kooperieren, wenn ihre Künstler für ihre Möglichkeiten zu groß geworden sind - wenn also für die Veröffentlichung eines neuen Albums plötzlich mehr Geld vorgeschossen werden muss, als das ein kleines Label vernünftigerweise tun sollte.

Interessanter als die brachiale Revolutionsrhetorik im Netz ist, was die besonneneren unter den unabhängigen Köpfen der Branche hinter vorgehaltener Hand berichten. Das illegale Filesharing ist nicht unbedingt ihr größtes Problem. Sie goutieren es allerdings auch nicht. Ihnen missfallen eher maßlose Abmahnungen, wie sie zur Abschreckung seit einer Weile im Auftrag von großen Plattenfirmen von Anwaltskanzleien verschickt werden.

Youtube ist ein Aufmerksamkeitsnadelöhr im Netz

Was sie jedoch wirklich besorgt, ist die scheinbar unaufhaltsame Monopolisierung im Netz, die es kleineren Labels immer schwerer macht, ihre Angebote bei den wenigen zentralen Anbietern noch wahrnehmbar zu platzieren. Diese Plätze sichern sich immer aggressiver die Branchenführer, die besonders im Musikgeschäft gegenüber Netzgiganten wie Google, Amazon oder Apple ihrerseits von Existenzängsten geplagt sind. Es ist eine Zeit für Kannibalen.

Der Konflikt, den die Verwertungsgesellschaft Gema seit bald drei Jahren mit YouTube um Musik-Tantiemen führt, ist deshalb so zentral. YouTube ist als führendes Videoportal ein Aufmerksamkeitsnadelöhr im Netz. Hier präsent zu sein, ist insbesondere für Popmusiker unverzichtbar geworden. Die Wut der Band Deichkind, die sich vielbeachtet darüber ärgerte, dass Mitte März ihr Video "Leider geil" wegen des Tantiemen-Streits gesperrt wurde, ist aus dieser Perspektive mehr als verständlich.

Wenn man weiß, dass die Deichkinder Gema-Mitglieder sind, wird es schon kniffliger. Da, wo ihre Polemik gegen die Gema zielt, gehen sie auch noch der geschickten YouTube-Propaganda auf den Leim. An der Stelle des gesperrten Videos erfährt der YouTube-Nutzer nämlich, dass das gewünschte Video leider nicht verfügbar sei, weil es Musik enthalte, "für die die erforderlichen Musikrechte von der Gema nicht eingeräumt" worden seien. Die Formulierung ist perfide. Sie erweckt den Eindruck, als sei der Bösewicht allein die Gema. Das ist der für YouTube bequeme Teil der Wahrheit.

Der Konzentrationsprozess im Netz hilft Youtube

Der andere Teil ist, dass YouTube nicht irgendein mittelständisches Netz-Unternehmen ist, sondern Teil des Internet-Giganten Google. Je weiter also der Konzentrationsprozess im Netz voranschreitet, desto länger wird der Hebel für YouTube. Und desto geringer werden die Tantiemen für alle Künstler, die die Gema vertritt. Also auch für die, die keine Topstars sind. Als Verein und Künstler-Interessenvertretung mit einem noch immer rechtmäßigen Anspruch einem milliardenschweren Weltkonzern die Stirn zu bieten, ist letztlich verdienstvoller, als als Quasi-Monopolist aus knallhartem Kalkül auf Zeit zu spielen.

Die Einigungen, die es etwa in Großbritannien zwischen YouTube und den Rechteverwertern längst gibt und auf die gerne verwiesen wird, haben einen einfachen Grund: Die Verwerter werden dort von den großen Plattenfirmen und ihren Musikverlagen dominiert, weil ihnen die Künstler anders als hierzulande üblich die Urheberrechte ihrer Songs komplett übergeben müssen. Wer aber über große Kataloge verfügt, der nimmt eine niedrigere Grundgebühr in Kauf. Hauptsache es fließt schnell wieder Geld. Ein einzelner Künstler ist im Zweifel längst nicht so schnell bereit, die Augen zuzudrücken.

Genau diese Einzelnen vertritt aber eben die Gema. Der Satz zu jedem gesperrten YouTube-Video müsste also wenigstens hierzulande richtigerweise lauten: "Unser Unternehmen streitet mit den Künstlern, ohne die unser Angebot viel unattraktiver wäre, darüber, wie viel der einmalige Abruf eines Videos oder Songs wert ist. Bislang wollen die Künstler mehr Geld, als uns ihre Songs wert sind. Wir bitten um Geduld."

Wer heute über Urheberrechte spricht, darf nicht darüber schweigen, wem sie wirklich ein Dorn im Auge sind.

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