Süddeutsche Zeitung

Youtube-Algorithmus:Das Problem mit dem P-Score

Lesezeit: 2 min

Youtuber auf der ganzen Welt fühlen sich von der Tech-Firma und ihren Algorithmen benachteiligt, weil diese Kanäle zum Beispiel von klassischen TV-Sendern bevorzuge. Es regt sich Widerstand.

Von Michael Moorstedt

Kinder sind ja oft erstaunlich konservativ. Zumindest die Liste ihrer Traumberufe zeigt sich resistent gegen Gegenwartsphänomene. Da wimmelt es von Polizisten, Feuerwehrmännern, Ärzten und Astronauten, die modernen Berufsbilder des Instagram-Influencers und des Youtube-Stars, die man hier eigentlich vermutet hätte, sucht man vergebens.

Das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn wenn es nach Jörg Sprave geht, ist das Youtuber-Dasein nicht weniger als ein "Albtraum-Job". Seit sechs Jahren verdient der 54-Jährige sein Geld hauptberuflich auf der Videoplattform. Und das werde immer schwerer, weil Videos scheinbar willkürlich aus dem Werbepartnerprogramm gestrichen würden. Letztes Jahr hat Sprave deshalb eine eigene Gewerkschaft gegründet. Die sogenannte Youtubers Union hat nach eigenen Angaben weltweit 25 000 Mitglieder und kooperiert seit einiger Zeit mit der IG Metall. Nachdem der amerikanische Konzern die Videoarbeiterbewegung lange Zeit ignoriert hat, sollte nun Ende Oktober doch ein klärendes Gespräch stattfinden. Weil aber vor dem Termin kurzfristig alle Youtuber ausgeladen wurden, platzte die Zusammenkunft. Die IG Metall kündigte juristische Schritte an. Neben Fragen nach Scheinselbständigkeit und diversen Folgen der Datenschutzgrundverordnung haben die Videomacher vor allem eine Forderung: Youtube solle endlich transparenter werden und den Menschen, die auf der Plattform ihr Geld verdienen, erklären, wie die Regeln lauten.

Behilft man sich mit einer analogen Analogie, dann bedienen die Youtuber eine Maschine, deren Räderwerke vom Fabrikbesitzer geheim gehalten werden. Immer wieder werden kleine Details ohne Ankündigung geändert, nie können sich die Arbeiter im Content-Maschinenraum sicher sein, dass der gleiche Input auch den gleichen Output bedeuten wird.

Die Enttäuschung bei den Youtubern ist groß, schließlich machen sie die Plattform zu dem, was sie ist

Weil Youtube wie jeder andere Tech-Konzern nicht damit rausrückt, wie seine Algorithmen funktionieren, haben sich diverse Youtuber zusammengeschlossen, um herauszufinden, wie die Maschine funktioniert. Der scheinbar alles bestimmende Faktor für den Erfolg eines Videos ist der sogenannte P-Score. Ein Präferenzwert, der sich aus verschiedenen Metriken zusammensetzt. Ist er hoch genug, werden die Inhalte dementsprechend prominent platziert und in den Suchergebnissen nach oben befördert. Dazu zählen etwa die Beliebtheit des Videos selbst, das Endgerät, auf dem es abgerufen wird oder auch die Qualität der Produktion. Vor einigen Wochen hatten Nutzer im Quellcode der Plattform genau jenen Wert per Zufall gefunden. Nachdem sie Hunderte Kanäle ausgewertet haben, sind sie sich nun sicher zu wissen, wie die Plattform tickt. Der kaum zu leugnende Verdacht: Statt Talente zu fördern, die originär auf der Videoplattform groß geworden sind, würden stattdessen Kanäle bevorzugt, die von den großen Fernsehsendern unterhalten werden und die berechenbare werbepartnerfreundliche Inhalte ausspielen. Tatsächlich finden sich in den Top Ten der am besten bewerteten Kanäle etwa die Youtube-Ableger der großen Tonight-Shows von Stephen Colbert oder Jimmy Kimmel.

Die Videos dieser Kanäle haben allesamt einen P-Score von über 1000. Die hauseigenen Macher dagegen kommen kaum über die Marke von 700 bis 800 hinaus. Die Enttäuschung bei den Youtubern ist dementsprechend groß, schließlich macht erst ihre Arbeit die Plattform zu dem, was sie ist. Die Erkenntnis, zugunsten von traditionellen Fernsehsendern benachteiligt zu werden, sei ein Schlag ins Gesicht, sagt einer der Beteiligten. Zudem vermuten die Youtuber eine absichtliche Drosselung des Traffics auf ihre Videos, wenn diese erst einmal von der Monetarisierung durch Werbung ausgeschlossen wurden. Youtube äußert sich bislang nicht zu den Vorwürfen, stattdessen wurde der öffentliche P-Score vergangene Woche wieder unsichtbar gemacht. Der Arbeitskampf geht weiter.

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Quelle:
SZ vom 04.11.2019
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