"Yesterday" im Kino:Der Beatles-Film ohne Beatles

Film

Hatte keinen Erfolg, bis alle die Beatles vergaßen: Himesh Patel in "Yesterday".

(Foto: Universal)

In "Yesterday" erinnert sich niemand mehr an Songs wie "Let it be" oder "Hey Jude". Nur ein einziger Mensch hat sie noch im Kopf - und wird zum Star.

Von Tobias Kniebe

Am Anfang gibt es einen unerklärlichen Stromausfall auf der ganzen Welt, und es gibt einen Bus, der in diesem Moment in der beschaulichen englischen Küstenstadt Lowestoft einen Fahrradfahrer namens Jack rammt. Jack wird durch die Luft geschleudert, schlägt böse auf der Straße auf und verliert das Bewusstsein, aber der eigentliche Knock-out in Danny Boyles neuem Film "Yesterday" ist das noch nicht.

Der wirkliche Schlag für den jungen Jack (Himesh Patel), der sich ziemlich erfolglos als Singer-Songwriter durchs Leben schlägt, kommt ein paar Tage später, ganz ohne äußere Einwirkungen. Es ist eine Erkenntnis, die ihn mitten in der Nacht auf der Straße überfällt und die plötzlich alles erklären könnte: Warum auf einmal niemand mehr seine Beatles-Anspielungen versteht; warum seine Freunde plötzlich behaupten, den Song "Yesterday" wirklich noch nie gehört zu haben; und warum sie Stein und Bein schwören, dass ihnen weder der Bandname noch die Kombination von vier Musikern namens John, Paul, George und Ringo je das Geringste gesagt hat.

Dieser rätselhafte kosmische Black-out, begreift Jack, muss zugleich die Weltgeschichte ein wenig umgeschrieben haben. Die Beatles wurden einfach daraus gelöscht - zusammen mit einer noch unbestimmten Zahl anderer Phänomene. Google und die Geschichtsbücher finden nichts mehr, wenn man nach ihnen sucht, und selbst die Beatles-Alben in seiner Plattensammlung, die gestern noch definitiv unter dem Buchstaben B standen, haben sich in Luft aufgelöst.

Jack aber, das ist das Verrückteste an der Sache, scheint durch seinen kurzen Moment der Bewusstlosigkeit der einzige Mensch zu sein, der sich noch an das vorher existierende Universum mit den Beatles erinnert.

Im Englischen gibt es das schöne Bild von der Erkenntnis, von der man getroffen wird wie von einer Tonne Ziegelsteine - und das passt wirklich für diese doch ziemlich geniale, wenn auch nicht gänzlich neue Prämisse. Richard Curtis, der Autor von "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" und "Love Actually", hat sie in ein cleveres Drehbuch verwandelt.

Der Popstar Ed Sheeran spielt sich selbst - und gibt sich dem Genie der "Beatles" geschlagen

Jacks erster Impuls nach seiner Entdeckung ist ehrenwert. In den Windungen seines Melodie- und Textgedächtnisses ist jetzt Weltkulturerbe gespeichert, womöglich die einzige erhaltene Spur eines unsterblichen Werks. Fieberhaft beginnt er, Akkordfolgen, Instrumentierungen und Songtexte zu rekonstruieren, was ihm bei manchen Ohrwürmern noch leicht fällt, bei Songs wie "Penny Lane" und "Eleanor Rigby" aber schon schmerzhafte Leerstellen offenbart - hätte er da bloß mal genauer hingehört! Der Film verwendet hier einige Sorgfalt auf zwei schöne Ideen: das Gefühl, dass die Welt ohne die Geniestreiche von Lennon / McCartney tatsächlich eine sehr viel ärmere wäre - und das Gewicht von Jacks Aufgabe, nun wohl ihr einziger noch lebender Botschafter zu sein.

Andererseits leidet Jack schon sehr unter seiner Erfolglosigkeit, seit Jahren tingelt er mit seiner Schulfreundin, Fahrerin und Teilzeit-Managerin Ellie (Lily James) durch halb leere Kneipen oder spielt umsonst an der Strandpromenade. So erliegt er der Versuchung, Songs wie "Yesterday", oder "She Loves You" probeweise als eigene Kompositionen auszugeben. Die Reaktionen sind dann gleich sehr viel besser als bei seinen eigenen Songs.

Sie sind aber auch nicht so, dass sich die Menschen vor Ehrfurcht und Ergriffenheit sofort in den Staub werfen würden. Ein kleines komisches Juwel ist zum Beispiel die Szene, in der Jack seine Eltern auf dem Wohnzimmersofa auserkoren hat, als erste Menschen der neuen Zeit "Let It Be" zu hören, und den Song dann nicht mal zu Ende bringt, weil er ständig von Zwischenrufen oder klingelnden Nachbarn unterbrochen wird. Hier zeigt der Regisseur Danny Boyle eine ganz neue Lust am Comedy-Timing, in Jack aber wächst der Verdacht, dass geniales Songwriting wohl doch nicht alles ist - mit ihm als Interpret wird selbst der Erbe der Beatles eine Randerscheinung bleiben.

Mit jeder Minute des Erfolgs wachsen Jacks Gewissensbisse

Selbst kleine Erfolge wirken eher wie Demütigungen, etwa wenn Jack in einem Lokalsender "In My Life" spielt und als "singender Lagerarbeiter" vorgestellt wird, der kostenlos CDs an seine Kunden verteilt. Danach hat er allerdings den Popstar Ed Sheeran am Telefon, der recht sympathisch sich selber spielt und völlig aus dem Häuschen ist. Es braucht schon einen anderen begabten Songwriter, um einen genialen Song auf Anhieb zu erkennen. Das ist die Idee hinter diesem Gastauftritt.

Dann geht alles sehr schnell. Jack spielt in Ed Sheerans Vorprogramm, er erreicht die Massen, und die Massen reagieren endlich so euphorisch, wie man es bei einer beginnenden Beatlemania erwarten würde. Nachts an der Hotelbar fordert Sheeran seine Neuentdeckung dann allerdings zu einer Art Komponisten-Wettstreit heraus - zehn Minuten Klausur, ein Song soll neu geschrieben und dann sofort gespielt werden. Ed Sheeran kommt mit einem typischen Ed-Sheeran-Song zurück, der locker Nummer Eins werden könnte, und hat schon sein triumphierendes Rotschopf-Grinsen im Gesicht.

Jack aber setzt sich ans Klavier und spielt "The Long & Winding Road", von Anfang bis Ende. Und es ist schon unbezahlbar zu sehen, wie Sheeran, der in Sachen Verkaufszahlen, wenn er ein neues Album herausbringt, derzeit alle anderen Popstars schlägt, hier einen Mann spielt, dem beim Zuhören die Gesichtszüge langsam entgleisen, weil er erkennt, dass es Größere gibt als ihn. "Du bist Mozart, und ich bin Salieri", murmelt er schließlich und schleicht Richtung Bett. Es spricht für seine Selbstironie und einen gewissen Realismus, dass er da mitgemacht hat - ein schöner Exkurs zu der Frage, was popmusikalischer Genius wirklich bedeutet.

Etwas anderes wird in dieser Szene auch noch sehr deutlich - warum Himesh Patel, ein eher unbekannter Fernsehschauspieler mit indischen Wurzeln, der zuvor noch nie öffentlich gesungen hat, diese Rolle bekommen hat. Leicht hätten seine Interpretationen der insgesamt 17 Beatles-Songs im Film nur nach besserem Karaoke klingen können - und damit den Schwindel zu offensichtlich gemacht. Patel aber spielt sie seelenvoll melancholisch. Sie gehören ihm zumindest soweit, dass die Vorstellung, er habe sie auch geschrieben, nicht mehr gänzlich absurd erscheint.

Ein Nobody singt die legendären Lieder. So ist es die reine Musik, die sich behauptet

Wie dann wirklich die Downloads und Likes durch die Decke gehen, die Stadien sich füllen, die Story nach Los Angeles wechselt und mit amerikanischer Energie und Arroganz ein welterschütterndes Doppelalbum geplant wird, kann man sich ungefähr vorstellen - und auch, dass Jacks Gewissensbisse als musikalischer Hochstapler mit jeder Minute wachsen. Richard Curtis wäre nicht Richard Curtis, wenn er gegen Geld, Ruhm und Lüge nicht auch noch die wahre Liebe in Stellung bringen würde, in Gestalt der treuen Weggefährtin Ellie, die eigentlich gern viel mehr wäre - aber, sobald der Weltruhm ruft, aus zwar unerfindlichen (aber doch irgendwie herzerwärmenden) Gründen lieber in der englischen Provinz bleiben möchte.

Interessant ist es, "Yesterday" in der aktuellen Reihung mit "Bohemian Rhapsody" und "Rocketman" zu betrachten - allesamt Filme über Giganten der populären Musik, aber eben im Modus des Cover-Samplers, mit fremden Gesichtern und fremden Stimmen. Queen und Elton John haben sich dabei sehr direkt eingemischt, sie beharrten auf der physischen und stimmlichen Ähnlichkeit ihrer Leinwand-Abbilder. Paul McCartney und Ringo Starr, die überlebenden Beatles, blieben dagegen auf Distanz - sie haben allenfalls aus der Ferne freundlich genickt.

Und gerade in dem Twist, nur die reine Musik übrig zu lassen und die Last ihrer Wiederaufführung einem indischstämmigen Nobody zu übertragen, erweist sich das Erbe der Beatles als ausgesprochen wirkmächtig. Alle Drogenexzesse, Erfolgsverirrungen, Zerwürfnisse und Psychoprobleme der echten Schöpfer, die den beiden anderen Filmen ihren Spannungsbogen geben mussten, bleiben hier ausgespart und lenken nicht davon ab, was am Ende doch allein zählt - die Kraft der Musik, noch immer die Welt zu bewegen. Wenn man auch dies als Sängerwettstreit begreift, haben die Beatles mit "Yesterday" - gerade durch ihre vollständige Abwesenheit - ihre Vormachtstellung eindrucksvoll behauptet.

Yesterday, GB 2019 - Regie: Danny Boyle. Buch: Richard Curtis. Story: Jack Barth, R. Curtis. Kamera: Christopher Ross. Mit Himesh Patel, Lily James, Ed Sheeran, Kate McKinnon. Universal, 116 Minuten.

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