Yayoi Kusama:Poppig, bunt - und ausweglos

Yayoi Kusama Museum, Tokio 
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Yayoi Kusama bei der Arbeit in ihrem Atelier, nicht weit von der Nervenklinik, in der sie seit 1977 lebt.

(Foto: Yayoi Kusama)
  • Mit ihrer fast 90 Jahren gilt die japanische Künstlerin Yayoi Kusama einigen als "beliebteste Künstlerin der Welt".
  • Ihre Kunst ist grell, dekorativ und passt perfekt ins Zeitalter des Selfies. Viele sehen sie deshalb als Ausdruck des japanischen "kawaii", das Frauen auf Niedlichkeit verpflichtet.
  • Dabei hat sie die bunte Bildsprache letztlich nur adaptiert, um ihre düsteren Gefühle der Ausweglosigkeit, Verlorenheit und Unendlichkeit zu vermitteln.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Betrachtet man die Zahlen zur japanischen Kulturpolitik, ist das Yayoi Kusama-Museum in Tokio eine kleine Sensation. Kunst ist eine Nischenveranstaltung in Japan. Besonders Avantgarde-Kunst. Das 2017 eröffnete Museum, ein bläulich-weißer Turm mit abgerundeten Ecken, steht in einem ruhigen Wohnviertel im Stadtteil Shinjuku, nur wenige Schritte vom Museum für den Schriftsteller Soseki Natsume. Yayoi Kusama selbst hat es gemeinsam mit ihrer Stiftung gegründet. Auf fünf Stockwerken zeigt es ausschließlich ihre Malereien, Skulpturen, Installationen und Videos von Happenings.

Weltruhm hilft, wenn man es als japanische Künstlerin in Japan zu etwas bringen will. Die heute fast 90-jährige wurde schon früh von Claes Oldenburg und Andy Warhol gefeiert und kopiert, bevor man sie in Japan beachtete. Sie musste bis in die Achtzigerjahre warten, bevor sie in ihrem Heimatland ihre erste wichtige Ausstellung hatte. Im Rest der Welt wurde sie da schon längst gefeiert. Und ihr Ruhm steigt weiter. Die britische Tageszeitung The Guardian erklärte sie aufgrund der Besucherzahlen ihrer Ausstellungen zur "beliebtesten Künstlerin der Welt".

Apokalyptische Visionen in knalligen Farben

Warum sie so beliebt ist, begreift man auch in Shinjuku recht schnell. Über eine steile, enge Treppe steigen die Besucher in ihre Kunstwelt. Das erste Obergeschoss wird von großflächigen abstrakten Gemälden dominiert, die in knalligen Farben apokalyptische Visionen zeigen. Papillen wie Penisse, Gewächse, Amöben-ähnliche Organismen und menschenähnliche Figuren werden von einem Strudel mitgerissen. Dazu rupft Kusama in einem körnigen alten Video Blütenblätter aus Sonnenblumen, die sie dann in die Höhe wirft. In einem anderen verschwindet sie selber als Blume drapiert in einem Sonnenblumenfeld. Das mag auf den ersten Blick Pop Art sein, doch Kusamas Werke gehen tiefer. Ihr fehlt die Ironie ihrer amerikanischen Zeitgenossen.

Im vierten Stock schließlich tritt der Besucher dann in einen stockdunklen Saal. Still ist es hier. Jemand räuspert sich. Ein gelber Kürbis mit schwarzen Punkten leuchtet auf, ein zweiter, dritter, vierter. Spiegel vermehren die Kürbisse dutzendfach, hundertfach. Weitere erstrahlen, immer mehr. Das Bild eines endlosen Kürbisfeldes entsteht. Dann schalten sich alle Lichter wieder aus. "Unendlichkeits-Spiegel" nennt Yayoi Kusama ihre Installationen, die auf der ganzen Welt gezeigt werden, mal mit Kürbissen, mal mit bunten Lichtkonstruktionen.

Hübsch sind die gepunkteten Kürbisse, die man in Museumsshops von Tokio bis München als Miniskulpturen aus Plastik oder Stoff kaufen kann, die als große Skulpturen auf der Kunstinsel Naoshima stehen und um die Welt reisen. Das ist auch ein wenig die Falle in ihrem Werk.

Fast ebenso publikumswirksam wie Berühmtheit ist in Japan "kawaii". Das Wort wird meist mit "cute" ins Englische übersetzt, "niedlich, charmant". Von den Schriftzeichen her könnte es auch "man muss es einfach lieben" heißen. Die noch immer sexistische Gesellschaft erwartet von der Japanerin, dass sie sich bemüht, "kawaii" zu sein, selbst als rebellische Künstlerin oder harte Geschäftsfrau. Dafür dürfen Frauen auch als Erwachsene kindlich juchzen, wenn sie ein Häschen oder ein Katzenbaby sehen.

Manche Experten wie die britische Japanologin Sarah Parson machen den Kawaii-Kult dafür mitverantwortlich, dass Japan die Frauen stärker diskriminiert als einige islamische Länder. Nach dem Gleichstellungsindex des "World Economic Forum" liegt Japan auf Platz 114 von 144 Ländern, bei der politischen Gleichstellung sogar auf Platz 123.

Yayoi Kusamas gepunktete Kürbisse sind eindeutig kawaii. Auch die Künstlerin selber präsentiert sich trotz ihres oft grimmigen Blicks mit grell rot gefärbtem Pagenschnitt und gepunkteten Röcken in diesem Geist. Was auch ein Grund dafür ist, dass man die Eintrittskarten für ihr kleines Museum Wochen im voraus für eine bestimmte Zeit online kaufen muss.

Den asiatische Blick auf den Kosmos

Dekorativ sind ihre Arbeiten. "Click Bait" titelte das Designmagazin Wallpaper über einer Rezension ihrer Ausstellung in der David Zwirner-Galerie in New York, die befand, sie produziere die ideale, weil Selfie-taugliche Kunst für Instagram. Ihr Erfolg mündet oft in die Endlosschleife der Missverständnisse. Wenn sie beispielsweise mit der Mode- und Gepäckfirma Louis Vuitton zusammenarbeitet und nicht nur deren Flagship Store an der New Yorker Fifth Avenue, sondern auch Kleider, Taschen und Koffer mit ihren Punkten und Tüpfelchen versieht.

Kusamas jüngere Kunst mag oft kawaii sein. Ihre eigene Geschichte und die Botschaft ihrer Arbeiten haben jedoch nichts mit der hohlen Niedlichkeit gemein, die nicht nur in Japan so gut verkauft, und die ihren Gipfel in der "Hello Kitty"-Ästhetik findet, mit der sich so ziemlich jedes Produkt aufhübschen lässt.

Ihr Leben sei "ein Punkt, einer von Millionen Teilchen", schrieb sie. "Ein weißes Netz aus Nichts, zusammengesetzt in einer astronomischen Ansammlung verbundener Punkte, wird mich und die anderen zum Verschwinden bringen. Und auch das ganze Universum."

Yayoi Kusama Museum, Tokio 
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Das Yayoi Kusama Museum im Tokioter Stadtteil Shinjuku.

(Foto: Kawasumi-Kobayashi Kenji)

Das Aufgehen des Menschen in der Natur, sein Verschwinden, gehörten wie die Unendlichkeit schon früh zu Kusamas Themen. In ihren verspiegelten Installationen verlieren sich die Kürbisse und Punkte in der Endlosigkeit. Mami Kataoka, die Kuratorin des Mori-Museums in Tokio, erkannte darin "den asiatischen Blick auf den Kosmos", den Zyklus von Verschwinden und Reinkarnation des Buddhismus, in dem alles zusammenhänge, und aus dem es nur den einen Ausweg gebe: ins Nirwana. Das Nichts.

Kusama wuchs in der Zeit des japanischen Faschismus in einer wohlhabenden Händlerfamilie in Matsumoto auf. Ihr Vater hatte Affären, die Mutter schickte ihre kleine Tochter los, um ihm nachzuspionieren. "Und dann ließ sie ihre ganze Wut an mir aus", erinnert sich Kusama in ihrer Autobiografie. Ihr zweites Trauma war der Zweite Weltkrieg. Nach dem Überfall Japans auf Pearl Harbor wurde die 13-Jährige für die Arbeit in einer Fallschirmfabrik zwangsrekrutiert. In der Freizeit malte sie schon damals mit viel Talent. Doch ihre Mutter zerriss ihre Bilder und konfiszierte die Tinte. Sie sollte stattdessen lernen, wie sich eine gute japanische Hausfrau zu benehmen habe, sonst könne die Familie sie nicht an einen reichen Mann verheiraten.

1958 löste sich Kusama aus den Fesseln dieser Gesellschaft. Sie ging nach New York, wo sie 15 Jahre blieb und sich in der Avantgarde-Szene etablierte. 1973 kehrte sie krank nach Japan zurück und begann, neben der bildenden Kunst auch noch zu schreiben. Sie leide an "Entpersönlichung", so Kataoka, "ein Syndrom, bei dem die Betroffenen sich selbst von außen wahrnehmen, losgelöst vom ihrem Denkprozess und von eigenen Körper". Kusama hatte schon als Kind unter Halluzinationen gelitten. 1975 ließ sie sich erstmals in die Seiwa-Nervenklinik in Shinjuku behandeln. Seit 1977 lebt sie permanent dort. Von der Klinik sind es nur einige Minuten in ihr Atelier, für die Mahlzeiten kehrt sie ins Krankenhaus zurück. Auch ihr Museum hat sich die Künstlerin in der Nachbarschaft gebaut, auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Klinik.

Yayoi Kusama arbeite auch mit fast 90 noch wie besessen, heißt es. Ihr Leben, das ihre Kunst bis heute prägt, hatte nie etwas mit der Gefälligkeit der Kawaii-Kultur gemein. Deren bunte Bildsprache hat sie letztlich nur adaptiert, um ihre düsteren Gefühle der Ausweglosigkeit, Verlorenheit und Unendlichkeit zu vermitteln. Auch wenn das eine Konzession an die eigene Herkunft sein mag.

Yayoi Kusama Museum, Shinjuku-ku Tokio. Infos und Tickets unter: yayoikusamamuseum.jp

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Thema: Tokyo Jazz Kissaten
Credit: Philip Arneill
Online: Ja
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