Süddeutsche Zeitung

Yasar Kemal gestorben:"Die Türkei hat eine große Seele verloren"

  • Der türkische Schriftsteller Yasar Kemal ist im Alter von 92 Jahren gestorben.
  • Sein 1955 erschienener Roman "Memed, mein Falke" machte ihn zum meistgelesenen Schriftsteller seines Heimatlandes.
  • Der Literaturnobelpreis, für den Kemal 1972 als erster türkischer Schriftsteller nominiert wurde, blieb ihm verwehrt.
  • Kemal engagierte sich im linken politischen Spektrum, kam deswegen insgesamt drei Mal ins Gefängnis.

Die Türkei hat einen ihrer bekanntesten Schriftsteller verloren: Yasar Kemal ist am Samstag im Alter von 92 Jahren in einem Krankenhaus in Istanbul gestorben, wie die Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.

Dort hatte er seit dem 14. Januar wegen Komplikationen nach einer Lungenentzündung und wegen Herzrhythmusstörungen gelegen. Der behandelnde Arzt sagte türkischen Medien, Kemals Gesundheitszustand habe sich in der vergangenen Woche deutlich verschlechtert. Er sei an multiplem Organversagen gestorben.

Kemal war 1955 mit seinem Roman "Memed, mein Falke" berühmt geworden. Das Werk, das in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde, machte ihn zum meistgelesenen Schriftsteller der Türkei. Der Romanheld, der "schmächtige Memed", lehnt sich darin gegen die Herrschaft der Großgrundbesitzer auf und zieht als Bandit in die Berge.

Die Sprache werde die Menschheit retten - davon war Kemal überzeugt. "Ich glaube tief an die Magie der Sprache", schrieb er im Unionsverlag. "Noch immer bin ich davon überzeugt, dass die Sprache neue Universen erschaffen, andere vernichten kann."

Aus dieser Macht der Sprache leitete Kemal die Verantwortung der Schriftsteller in der Gesellschaft ab. Eine Rolle, die er selbst sehr ernst nahm: Widerstand gegen empfundenes Unrecht und der Kampf für Freiheit und Menschenrechte ziehen sich als roter Faden durch das Werk des Schriftstellers.

Den Herrschenden lästig

Der 1923 im Süden der Türkei geborene Kurde wurde mit zahlreichen Literatur- und Menschenrechtspreisen ausgezeichnet. Im Jahr 1997 erhielt er den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Günter Grass sagte damals in seiner Laudatio: "In Yasar Kemals Büchern ist die Darstellung des Rassenwahns als Ausdruck offizieller Regierungspolitik kenntlich. Deshalb ist der Autor den Herrschenden lästig."

Der Literaturnobelpreis, für den Kemal 1972 als erster türkischer Schriftsteller nominiert wurde, blieb ihm verwehrt. Im Jahr 2006 holte stattdessen Orhan Pamuk die begehrte Auszeichnung in die Türkei.

Kemal engagierte sich im linken politischen Spektrum und nahm dafür viele Opfer in Kauf: Insgesamt war er drei Mal im Gefängnis. Unter anderem wurde er 1971 wegen seiner Arbeit für die marxistische Türkische Arbeiterpartei von der damaligen Militärregierung inhaftiert. Da viele Schriftsteller seiner Generation in Haft saßen, bezeichnete Kemal das Gefängnis als "Schule der türkischen Gegenwartsliteratur".

Im Exil in Schweden

Die Kurden-Politik seines Landes kritisierte Kemal als Betroffener immer wieder. 1996 wurde er wegen "Volksverhetzung" zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Weil er Mordanschläge von Rechtsradikalen fürchtete, lebte er zeitweise in Schweden, bevor er nach Istanbul zurückkehrte.

Seiner Linie blieb Kemal stets treu. Die Proteste gegen die Überbauung des Istanbuler Gezi-Parkes im Sommer 2013 unterstützte er und schrieb in der italienischen Tageszeitung La Repubblica: "Der Hass, der gegen Meinungsfreiheit und Demokratie geschaffen wird, ist eine große Katastrophe in unserer Generation und kann nie verziehen werden. Was wir heute benötigen, ist ein demokratisches Regime."

Der türkische Kulturminister Ömer Celik äußerte sich am Samstag bestürzt über den Tod Kemals. "Die Trauer in unseren Herzen ist groß", schrieb er im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Die Türkei und die gesamte Menschheit haben eine große Seele verloren."

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