Die Favoriten der Woche:Auch Blender verändern den Blick

Opium

Szene aus dem Stummfilm "Opium" von Robert Reinert.

(Foto: Edition Filmmuseum)

Eine CD von Yaara Tal, ein Prachtband über Max Reinhardt, Rob Reinerts "Opium" auf DVD, Jean-Luc Godard im Radio und Loriot als emotionale Gedankenbremse, die dem Twitter-Gericht fehlt.

Von Christine Dössel, Nicolas Freund, Fritz Göttler, Helmut Mauró und Felix Stephan

Opium, von Robert Reinert

Entstanden am Ende des Ersten Weltkriegs, nun auf DVD erschienen in der Edition Filmmuseum. Das schlechte Gewissen des Kolonialismus: Ein Chinese, der sich rächt an weißen Männern, die ihm die Frau verführten. Wissenschaftler, die dem Opium verfallen - die Sucht als Strafe. Ein Hospital, das wie die Anstalt in "Caligari" ist. Conrad Veidt ist dort Arzt, nach einem Unfall kann er nicht mehr sprechen, muss mit Schrifttafeln kommunizieren. Bei Robert Reinert, Erfolgsproduzent und Regisseur, 1872 bis 1928, ist alles monumental und monströs, die Bauten wie die Emotionen. Der Film wurde im Münchner Filmmuseum restauriert, dort geht an diesem Wochenende das Stummfilmfest zu Ende. Auf der DVD gibt es noch ein paar Minuten aus dem archaischen Reinert-Zweiteiler "Sterbende Völker". Der Film ist wohl verschollen, nur dieser ,Trailer' bleibt, und Verlangen nach Verlorenem. Fritz Göttler

Yaara Tal

Man hat ja schon Johann Sebastian Bach vorgeworfen, dass sein Faible für den klassischen Kontrapunkt, für komplexe Fugengebilde und virtuose Konstruktionen den aktuellen Strömungen hinterherhinke, gänzlich aus der Zeit gefallen sei. Im 19. Jahrhundert dann schätzte man die als zeitlose Größe. Die Pianistin Yaara Tal rückt Bach nun einerseits wieder in seine Zeit, indem sie allerlei Fugenkompositionen berühmter Nachgeborener seinen Präludien aus dem Wohltemperierten Klavier gegenüberstellt und so die stilistische Differenz auch zum historischen Abstand funktionalisiert. Es ist verblüffend, wie man mit den gleichen Mitteln, den gleichen kompositorischen Vorgaben, so unterschiedliche Ergebnisse erzielen kann. Hört man etwa Bachs a- Moll-Präludium und hat schon ungefähr im Ohr, wie die folgende Fuge klingt, wird man von der a-Moll-Fuge Frédéric Chopins komplett in eine andere Richtung gezogen. Selbst der eigene Sohn, Wilhelm Friedemann Bach, dessen c-Moll-Fuge dem Stil des Vaters noch am nächsten kommt, sucht immer wieder kleine stilistische Ausweichmanöver, in denen er seinen eigenen künstlerischen Willen verfolgt. Allerdings lässt das Thema - es ist jenes des "Musikalischen Opfers" - den Apfel doch nicht allzu weit vom Stamm fallen. Auch weniger bekannte begabte Musiker kommen hier zu ihrem Recht, etwa Prinz Louis Ferdinand von Preußen, der als 34-Jähriger im Krieg gegen Napoleon fiel. Von Beethoven stammt das Lob, er spiele nicht "königlich oder prinzlich, sondern wie ein tüchtiger Klavierspieler". Seine "Fugue à quatre voix pour le piano" in g-Moll zeigt auch sein kompositorisches Können. Natürlich wäre so eine Kompilation unvollständig ohne die Zeitgenossen. Neben Lyonel Feininger, den man eher als Maler und Bauhaus-Mitglied kennt, steht auch der international lehrende Komponist Reinhard Febel für die ungebrochene Tradition aller Komponisten aller Zeiten, sich mit Bach genauestens auseinanderzusetzen. "Tempus fugit" hat Febel für Yaara Tal geschrieben, und sie widmet sich dem Werk, wie auch den übrigen von Hummel, Alkan, Schumann und Arensky mit jener Hingabe und Leidenschaft, die dem Streben nach maximaler Präzision musikalisch folgen muss. Helmut Mauró

Max Reinhardt

Max Reinhardt: Lebemann, Grandseigneur, Theatervisionär.

(Foto: SZ Photo)

Max Reinhardts glamouröses Leben

Wenn am 31. August die Salzburger Festspiele zu Ende gehen, ist endgültig Schluss mit ihren - wegen Corona um ein Jahr ausgedehnten - Jubiläumsfeierlichkeiten zu ihrem 100-jährigen Bestehen. Was davon bleibt? Auf jeden Fall dieser opulente Band über ihren prägendsten und schillerndsten Mitbegründer: "Max Reinhardt. Ein Leben als Festspiel" von Sibylle Zehle (Brandstätter-Verlag), zwar schon letztes Jahr als Geburtstagsschmankerl erschienen, aber jubiläumsunabhängig ein Buch für Connaisseurs und für 50 Euro eine Investition fürs Leben.

Allein das Blättern darin ist eine Sinnenfreude, so schön und fundstückreich sind die 303 Seiten gestaltet und so fantastisch bebildert. Und egal, welchem der fünf Abschnitte man gerade Lust hat sich zu widmen, ob tatsächlich zuerst Reinhardts Salzburger Zeit oder erst mal seiner Jugend in Wien und dann den Berliner Jahren oder vielleicht gleich den beiden Kapiteln über den Exilanten in Amerika - es ist dies alles gut und sprunghaft möglich und bedarf keiner chronologischen Lektüre. Man kann in Reinhardts reichem Weltbürgerleben stöbern wie in einer alten Truhe vom Dachboden, die in diesem Fall auch ein praller Theaterfundus ist.

Theatergeschichte erfährt man en passant. Der aus einer jüdischen Familie in Wien stammende Max Reinhardt (1873-1943) begann als Schauspieler, bevor er in Berlin eine sagenhafte Karriere als visionärer Regisseur und Theaterunternehmer macht, angefangen mit seinem berühmten "Sommernachtstraum" von 1905, da war er 32 Jahre alt. Die Reinhardt-Bühnen, später erweitert nach Wien, bilden einen Großkonzern, und der Chef empfängt in seinem Büro "wie im Audienzraum eines Monarchen" (so hat Fritz Kortner es beschrieben). 1918 kauft der Theaterzampano Schloss Leopoldskron in Salzburg, baut es aus zu einem der "schönsten, lebendigsten Gehäuse der Welt", wie nicht nur er selbst findet, und residiert dort 18 Jahre lang endgültig wie ein Fürst. Reinhardts Inszenierung von Hofmannsthals "Jedermann" begründete 1920 die Salzburger Festspiele. Die Berühmten, Reichen und Schönen, die aus ganz Europa und auch aus Hollywood anreisten, empfing der Grandseigneur in seinen barock-prunkvollen Räumen. Jedes Detail stimmte. Die Fotos von Leopoldskron sind der Wahnsinn, oft Doppelseiten füllend.

Der in Leinen gebundene Prachtband ist in erster Linie Bildbiografie und Society-Report, mit Klatsch, Augenzeugenberichten und Detailwissen aus Tagebüchern und Briefen. Nichts dagegen! Zu erfahren, dass der Lebemann Reinhardt mit dem Gepäck einer Diva reiste und in einem Krokodillederkoffer sein eigenes Bettzeug mitnahm, ist genauso interessant, wie vom Scheidungskrieg mit seiner ersten Frau zu erfahren, von seiner zweiten Ehe mit Helene Thimig oder von Reinhardts grandioser Verschwendungssucht und seinen ewigen Finanznöten. Dann das Ende dieses glamourösen Lebens, in den zunehmend bitteren Jahren in der Emigration. Reinhardts "Sommernachtstraum" in der Hollywood-Bowl, sein Tod in New York. Und wer ersteigert seine Regiebücher? Marilyn Monroe. Christine Dössel

Die Godard-Minute

Die Favoriten der Woche: Alle anderen können nichts: Jean-Luc Godard, 1965.

Alle anderen können nichts: Jean-Luc Godard, 1965.

(Foto: imago stock&people/imago stock&people)

Während der Sommerferien hatte Jean-Luc Godard in Frankreich einen hinreißenden Auftritt. Der Radiosender France Culture hat eine Serie produziert, in der bekannte französische Regisseure jeweils eine Stunde über den Film sprechen durften, der ihren Blick für immer verändert hat. Titel der Serie, die auch als Podcast verfügbar ist: "Les films qui ont changé nos regards". In der ersten Episode sprach die Regisseurin Patricia Mazuy, die insgesamt vier Mal für den César nominiert war, über Godards "Le Mépris/Die Verachtung", in der zweiten sprach Philippe Le Guay über "Der dritte Mann" von Carol Reed und so weiter. Und zum Abschluss jeder Episode gab es dann jeweils die "minute Godard", in der der Meister bündig erklärte, warum der Regisseur, dem man gerade eine Stunde lang zugehört hatte, ein Nichtskönner ist. Wobei er sie meistens als "faiseur" bezeichnete, als Blender. Mit seinen eigenen Filmen hielt er es immerhin ähnlich: Die einzigen, die er heute noch ertragen könne, seien die vier letzten. Felix Stephan

Loriot

Die Favoriten der Woche: Vicco von Bülow, bekannt als Loriot, 1974 bei der Verleihung des Karl-Valentin-Preises in München.

Vicco von Bülow, bekannt als Loriot, 1974 bei der Verleihung des Karl-Valentin-Preises in München.

(Foto: Claus Hampel/AP)

Anfang der Woche kam in der Feuilleton-Konferenz das Thema auf Loriots zehnten Todestag, der an diesem Sonntag ansteht. Ob man da was machen müsse? Wie bei den zankenden Herren in der Badewanne ("Die Ente bleibt draußen") bildeten sich schnell zwei Lager: Eine ältere "Ach was?"-Fraktion, die Loriot altbacken fand, und eine jüngere "Früher war mehr Lametta"-Fraktion, die der Meinung war, an Vicco von Bülow müsse ja wohl bei jeder Gelegenheit erinnert werden. Man hätte diese Einschätzungen genau umgekehrt vermutet. Warum vermissen gerade die Jüngeren einen Humor, der versuchte, am Nachkriegsdeutschland irgendetwas witzig zu finden und dafür einiges importieren musste? Von Wilhelm Buschs Karikaturen aus dem 19. Jahrhundert, in denen bereits die Hoppenstedts durch Fußböden brachen, bis zu Monty Python aus Großbritannien. "Lachen nach dem Luftschutzkeller" nannte das gerade der Zeithistoriker Christoph Classen in einem Essayband über Loriot (Text + Kritik IV/21). Loriot hielt "der Prüderie und Bigotterie der Adenauer-Ära einen Spiegel vor", schreibt Classen. Diese damals wie heute oft unfreiwillig komische Zeit des Wirtschaftswunders und der Doppelmoral scheint sich im Angesicht des Klimawandels ja gerade noch einmal in all ihrer automobilen Absurdität aufzubäumen. Es gibt eine Zeichnung von Loriot aus den 60er-Jahren, ein damals schon altmodisches Auto wird vollgetankt, also wirklich bis oben hin, das Benzin steht dem Fahrer schon bis zur Nase, und der meint nur: "Ich glaube, es langt jetzt ..." Das könnte man so, wie es ist, heute noch in der Zeitung drucken.

Was gerade fehlt, ist aber nicht diese schmunzlige Gesellschaftskritik, sondern die Art, in der sie angebracht wurde. Wenn Frau Hoppenstedt stolz erklärt, mit dem Jodeldiplom wolle sie als Frau "was Eigenes" haben, dann ist das nicht nur schön absurd, sondern verrät auch sehr viel über die Rollen der Frau und der Bildung in dieser Zeit. Solche Kritik verpackte Loriot so geschickt und warmherzig, dass man erst böse sein konnte, wenn man nach dem Lachen noch kurz nachgedacht hatte. Dieses Innehalten, diese emotionale Gedankenbremse, wünscht man sich heute für selbsternannte Twitter-Gerichte und hochgejazzte Wahlkampfdebatten. Nicolas Freund

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