Zu dick, zu dünn, zu alt oder zu wabbelig - Frauen sind mit ihrem Aussehen fast nie zufrieden. Wie ein Katalog weiblicher "Problemzonen" mutet die Montage zu Beginn von "Wunderschön" an: Frauke (Martina Gedeck) ist Ende fünfzig und mustert sich kritisch im Spiegel, um zu begreifen, warum ihr Schluffi-Mann Wolfi (Joachim Król) sie nicht mehr anguckt. Sonja (Karoline Herfurth) sieht man zwei Schwangerschaften und die schlaflosen Nächte mit Baby und Kleinkind an. Die Schülerin Leyla (Dilara Aylin Ziem) ist dick. Nur Model Julie ( Emilia Schüle) ist normschön. Sie ist bei einem Werbespot zu sehen: "Wir sind einfach wir selbst", behaupten die jungen Frauen und lachen in die Kamera. "Wir machen unsere eigenen Regeln. Uns ist egal, was die anderen über uns denken." Zu Hause beißt Julie herzhaft in ein Croissant, fotografiert das und füttert ihren Insta-Kanal mit dem Bild - spuckt das Hörnchen aber gleich wieder aus. Wir sind einfach wir selbst? Von wegen.
Noch nie stand das Aussehen so im Mittelpunkt wie in unserer körperfixierten Gegenwart mit ihrer permanenten Aufforderung zur Selbstoptimierung. Auch die Body-Positivity-Bewegung mit ihrem Postulat, dass jeder Körper schön sei, bietet keinen Ausweg, zumal die Werbung sie längst vereinnahmt hat: Der Spot, in dem Julie auftritt, kokettiert mit weiblichen Emanzipationsbestrebungen, nur um sie mit jungen, dünnen Models umso fieser zu unterlaufen: Frauen sollen nicht nur gut aussehen, sondern sich die Mühe, die das kostet, möglichst nicht ansehen lassen.
Für die Schauspielerin Karoline Herfurth ist "Wunderschön" ihre dritte Regiearbeit, nach der romantischen Komödie "SMS für dich" (2016) und dem Frauen-Buddy-Movie "Sweethearts" (2019). Sie hat selbst in diversen Komödien mitgespielt, von "Mädchen, Mädchen" bis "Fack ju Göthe", und aus ihrem großen Thema einen leichten Film gemacht: mit spitzen Dialogen, einem guten Gefühl für Pointen und Timing. Und mit tollen Darstellerinnen, die die Klischees, die sie verkörpern, mit Leben füllen. Die Regisseurin spielt auch selbst mit, sie hat, wie sie erzählt, eigens zehn Kilo zugenommen, um die junge Mutter Sonja zu verkörpern.
Julie rackert sich bis zur totalen Erschöpfung ab, um "richtig" auszusehen
Furchtlos stellt sie (in einer allerdings sehr kurzen Einstellung) ihren Hängebauch zur Schau. Ihre Darstellung der dauergestressten, mit ihrer Figur hadernden Mutter ist überhaupt ziemlich drüber. Wenn Sonja etwa versucht, eine Hose anzuziehen, die ihr vor den Schwangerschaften gepasst hat, wird Slapstick daraus. Und eine Szene in einer Damentoilette, wenn Sonja im Businesskostüm mit geöffnetem Oberteil auf dem WC hockt, Handy am Ohr und Sandwich in der Hand, während an beiden Brüsten die Aufsätze einer Milchpumpe kleben, ist so grotesk, wie es die Doppel- und Dreifachbelastung junger Frauen oft ist.
Wobei Herfurth mit ihrem aprikosenfarbenen Haar und der sommersprossigen Alabasterhaut eine solche Ausnahmeerscheinung ist, dass auch zehn Kilo Speck keine Durchschnittsmama aus ihr machen. Die Differenz zwischen Schauspielern und ihren Rollen fällt in diesem Film besonders auf, weil die Attraktivität der Darstellerinnen die Botschaft des Films fast unterläuft. Dass etwa Frauke Ende fünfzig ist und für ihren Mann als erotisches Gegenüber unsichtbar, ist mindestens zur Hälfte nur behauptet, weil Martina Gedeck sie spielt. Klar sind da Falten, und die Kostümabteilung und die Beleuchter haben einiges getan, um ihr einen zeitlos-beigebraunen Look zu verpassen. Aber Martina Gedeck war die Kellnerin Serafina in "Rossini" oder "Bella Martha", sie ist als Darstellerin schöner Frauen jedenfalls so präsent, dass der Zuschauer in keinem Moment nur eine Frau in mittleren Jahren in ihr sieht.
"Wunderschön" ist eben kein Andreas-Dresen-Film, sondern eine Komödie. Der Film macht Spaß und hat seine Figuren einfach zu gern, um ihnen - trotz diverser Möglichkeiten zur Tragödie - nicht das Beste zu wünschen. Die dicke Leyla (die junge Darstellerin Dilara Aylin Ziem ist eine Entdeckung!) erfährt, dass sie mit ihren starken Schultern einen Baseball irre weit schlagen kann. Frauke macht einen Tanzkurs und bringt Wolfi auf Trab, und Sonja bewirbt sich um einen Job und überlässt die Kinder mal dem Karriere-Mann. Nur Julie rackert sich bis zur totalen Erschöpfung ab, um "richtig" auszusehen.
Trailer zum Film:
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Herfurth hat das Drehbuch zusammen mit Monika Fäßler und Lena Stahl geschrieben, sie verbinden die Lebensgeschichten der Frauen, indem sie sie zu Freundinnen und Familienmitgliedern machen. So konstruiert das ist, passt die Episodenstruktur zur Forderung des Films nach Vielfalt: Kunstlehrerin Vicky (Nora Tschirner) formuliert sie stellvertretend für die Regisseurin vor ihrer Klasse. Vicky ist, mehr noch als die anderen Frauen, eine Kunstfigur, die, weil sie von Nora Tschirner gespielt wird, allerdings lustig, rotzig und nicht allzu "ausgedacht" wirkt. Sie bringt ihren Schülern nahe, dass Menschen viele verschiedene Eigenschaften und Talente haben und der starre Blick auf körperliche Schönheit und die Erwartungen von anderen dem Ausleben der eigenen Persönlichkeit nur im Weg steht. Das klingt belehrender, als es im Film ist. Und hat Vicky nicht recht? Zeit wird es, dass dick oder dünn, alt oder faltig ein bisschen egaler wird.
Wunderschön , D 2021 - Regie: Karoline Herfurth. Buch: K. Herfurth, Lena Stahl, Monika Fäßler. Kamera: Daniel Gottschalk. Mit: Martina Gedeck, Joachim Król, Karoline Herfurt, Emilia Schüle, Nora Tschirner, Dilara Aylin Ziem. Warner, 132 Minuten. Kinostart: 3. Februar 2022.