wowe-Werkschau in Berlin:Ganz fotastisch

Lesezeit: 5 min

Im richtigen Moment, am richtigen Ort - den Finger am Auslöser: Eine Ausstellung zeigt das 20. Jahrhundert durch die Linse des Fotografen wowe.

Andrian Kreye

Diese Geschichte könnte an jenem Abend beginnen, als William Burroughs im New Yorker Lokal Canal Bar neben der jungen Discosängerin Madonna saß. Burroughs genoss mit seinen 73 Jahren den neuen Glanz, den ihm eine neue Generation der Jungen, Wilden und Schönen verlieh, weil sie ihn einmal mehr als Paten der drogengeschwängerten Popkultur entdeckt und gefeiert hatten.

Jumping James Brown vor seiner Farm in Georgia. (Foto: Foto: wowe)

Madonna aalte sich in ihrem frischen Ruhm und Reichtum. Irgendjemand murmelte "Reich mal den Joint rüber, Bill", und Madonna ließ die Ovationen all der Eifrigen und Ehrgeizigen über sich ergehen, die wussten, dass sie es hier mit einer neuen Macht im Geschäft mit dem Glamour zu tun hatten.

Im entscheidenden Moment

Wolfgang Wesener, der seine Fotografien mit dem Kürzel wowe zeichnete, saß mit am Tisch, weil er ganz einfach dazugehörte und im entscheidenden Moment hob er kurz die Kamera ans Auge und drückte ab. Heute ist das Foto Geschichte und hängt seit vergangenem Wochenende in der Werkschau im Berliner Fotozentrum C/O Berlin.

Man könnte auch mit jenem Abend beginnen, als sich Johnny Rotten in die Hose machte und Rod Stewart vom Verwalter der VIP-Lounge im New Yorker Nachtclub Limelight Fred Rothbell-Mista nicht in die exklusive hintere Ecke gelassen wurde. Weil die Tische da schon besetzt waren, mit Menschen, die Fred Rothbell-Mista wichtiger waren als der Popstar mit dem aufdringlichen Haarschnitt. Da saß auch Wolfgang Wesener, nur fotografierte er das prominente Elend, das sich da abspielte, ganz ausdrücklich nicht. Es wäre eben kein Moment für die Ewigkeit gewesen, allerhöchstens ein lüsterner Blick für den Boulevard. Aber den erlaubte sich Wolfgang Wesener nicht einmal. Obwohl er ausreichend Gelegenheit dazu gehabt hätte.

Früh schon hatte er sich eine Technik angeeignet, die seinen Job als Leibfotograf des legendären Klatschkolumnisten Stephen Saban von Details zum mobilen Porträtstudio umfunktionierte. Hochgewachsen, überragte Wolfgang Wesener fast immer die Subjekte des flüchtigen Moments. Dazu hatte er sich einen Blitz konstruiert, der mit einem Filter das harsche Licht herunterdämpfte. So konnte er auch in wenigen Sekunden ein Bild von bleibender Qualität produzieren. Weseners frühe Schwarzweißbilder schlossen so nahtlos an die Porträtstudien an, die er mit kompletter Lichtanlage inszenierte.

Kaum jemand weiß, dass James Brown den Nachmittag auf seiner Farm in Georgia mit der Schrotflinte beendete. Niemand soll erfahren, wie Liza Minnelli die Nacht beendete, als sie in einer New Yorker Diskothek von Paparazzi in die Ecke gedrängt wurde. Es war nie der Wirbel, der ihn trieb. Das Geschick, in genau diesen Momenten am richtigen Ort zu sein, als beispielsweise Andy Warhol und sein Schützling Jean-Michel Basquiat Arm in Arm im Nachtclub standen, als Miles Davis sich nicht von Kameras abwandte, als der legendäre Moderator der Talentshows im Apollo Theater von Harlem vor einem Bild von Sarah Vaughan innehielt, war ein Talent, das man nicht lernen kann.

Und doch war es immer das Ewige, das sich in der vermeintlich flüchtigen Welt des Kulturglamour und Pop vor seiner Linse zur Ikone formte. Und das Ewige, das bleibt von seiner Arbeit im Winter des Jahres 2008, ist die Erkenntnis, dass wir gerade ein goldenes Zeitalter hinter uns gebracht haben.

Vielleicht sollte man diese Geschichte aber nicht mit der nostalgischen Rückschau beginnen, sondern mit jenem Abend am vergangenen Wochenende in Berlin. An dieser Stelle sollte man auch kurz anmerken, dass man hier nicht als Unbeteiligter schreibt. Deswegen auch das nostalgische Pathos, denn wenn man seine eigene Arbeit zum ersten Mal in der Vitrine eines Museums liegen sieht, beschleicht einen gleich nach dem kurzen Moment selbstgefälliger Begeisterung diese dumpfe Vorahnung der unabänderlichen Vergänglichkeit.

Lesen Sie auf Seite 2, wie wowes illustre Fangemeinde seine Werkschau in Berlin feierte.

Nun sind es ja nur Textbruchstücke in alten Zeitschriften, die derzeit im einstigen Berliner Postfuhramt als dokumentarische Begleitung zur Werkschau von wowe liegen. Damit ist schon mal klargestellt, dass es da lange Jahre der gemeinsamen Arbeit und Freundschaft gibt, weswegen die Ausstellung nur Anlass, nicht Gegenstand dieses Textes sein kann.

Griff nach den Sternen: Komponist Karlheinz Stockhausen. (Foto: Foto: wowe)

Andererseits ist das natürlich der Freibrief für den hemmungslos nostalgischen Blick auf die späten Jahre des 20.Jahrhunderts. Warum, fragt man sich in diesem Moment, warum ist das 20.Jahrhundert eigentlich schon so lange her? William Burroughs, James Brown, John Cage, Karlheinz Stockhausen und Gianni Versace sind eben schon Geschichte.

Doch die Zeitläufte kümmern sich nicht um künstliche Eckdaten. Das zeigt der zweite Blick auf die Bilder. Es gibt keinen Bruch in der Chronologie, nur einen Bruch im Empfinden der Zeit. Madonna lebt natürlich noch, auch wenn als Karikatur ihrer selbst. B.B. King hat zwar im September sein eigenes Museum eröffnet, doch seine Gibson-Gitarre bringt er immer noch zum epochalen Singen. Martin Mosebach schreibt weiterhin furiose Literatur. Herbert Feuerstein bringt die deutsche Befindlichkeit weiterhin auf den humoristischen Punkt.

Jedes einzelne Foto in wowes Werkschau dient als Beweis dafür, dass die künstlichen Zäsuren der Jahrzehnte und des Jahrtausends keine gültige Bedeutung haben. Denn man könnte die Bildersammlung, die in Berlin und in den zwei Bänden der Werkschau zu sehen ist, auch als Kanon verstehen. Das hätte etwas Endgültiges. Doch es ist kein Zufall, dass sich zwischen den Ikonen der Kultur auch Kinderbilder befinden. All diese Kinder sind längst erwachsen, oder zumindest fast. Sie zementieren den Kern in Wolfgang Weseners Arbeit.

Der Beginn einer Zukunft

Die Zeit, die in seinen Bildern für den Bruchteil einer Sekunde zum Stillstand kommt, ist keineswegs der Endpunkt der Vergangenheit, sondern auch der Beginn einer Zukunft. So öffnet sich der vermeintliche Kanon wieder zum Blick des Fotografen auf einen Fluss, der für ebenjene Bruchteile einer Sekunde nur kurz unterbrochen, aber niemals zum Stillstand gebracht wird. Womit wir wieder bei erwähntem Abend am vergangenen Wochenende im Berliner Fotozentrum C/O Berlin angelangt sind.

Es war einer jener furiosen Abende, an denen auch all jene dabei sein wollten, die vielleicht zu jung, zu abgelenkt oder zu nervös waren, um wegen wowes Arbeit zu kommen. Sie füllten die große Halle im ersten Stock des Postfuhramtes. Der Fotograf Martin Fengel, der seine Karriere als Wolfgang Weseners Assistent begann, hielt eine Rede, mit der er das Lebensgefühl von damals einfing, als Wesener seine Bilder noch im Mahlstrom der Stadt New York machte, bevor er in die Ruhe des italienischen Veneto zog. DJHell legte Platten auf, die eine Brücke von damals zu heute schlugen.

Später dann zog Wolfgang Wesener mit seinen Freunden ins Restaurant Borchardt. Da saßen sie über fünf Tische verteilt. Die Kellner brachten riesige Schnitzel und Flaschen voller Wein. Etwas nervös waren sie, weil sich die Gesellschaft mit ihren Schnappschusskameras gegenseitig abblitzte. Schließlich befand sich sensible Prominenz im Lokal, da ist man auch in Berlin längst besorgt.

Hannelore Elsner saß da mit zahlreicher Begleitung. Ein paar Tische weiter hielten der Regisseur Baz Luhrmann und sein Hauptdarsteller Hugh Jackman Hof. Die hatten allen Grund zu feiern - die Premiere des Filmepos "Australia" und Jackmans Berufung zum Moderator der nächsten Oscar-Nacht.

Doch irgendwann standen Weseners Freunde auf den Bänken. Sie skandierten "wowe! wowe! wowe!", klatschten Beifall. So geriet der Abschluss der Vernissage mitten in Berlin nicht zu einem jener Augenblicke, an dem mehrere Zeitläufte zu einem grandios glamourösen Moment zusammenlaufen. Es war kein Moment für die Ewigkeit. Nur ein Augenblick voller Glamour. Wolfgang Wesener zog keine Kamera hervor. Denn der nächste Moment für die Ewigkeit kommt bestimmt. Aus Zufall oder inszeniert.

"wowe - Essence. Twenty-five Years of Portrait" noch bis zum 15. Februar 2009 im C/O Berlin, Oranienburger-/ Ecke Tucholskystraße, Berlin, Tel. 030/28 09 19 25. Täglich 11 bis 20 Uhr. Zweibändige Begleitausgabe in numerierter Auflage von 1000 Stück bei der Edition Braus, Heidelberg, 98 Euro.

© SZaW vom 20./21.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: