Wortglosse:Phrasenmäher

"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne": Als Emmanuel Macron zu Besuch kam, zitierte Bundeskanzlerin Angela Merkel erst mal Hermann Hesse. "Stufen" ist ein wunderbares Gedicht - aber eigentlich zum Schlussmachen.

Von GERHARD Matzig

Ob der Zauber "jedem Anfang" innewohnt (Tagesspiegel) oder "allem Anfang" (Bild): Jedenfalls hat Angela Merkel den französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Montag in Berlin mit einem Hesse-Zitat beglückt. Könnte man denken, würde dem Anfang lediglich ein Zauber - und dem Zauber nicht auch noch eine gelinde Perfidie innewohnen. Denn Hermann Hesses Gedicht "Stufen" - es ist der Helene-Fischer-Song unter den jambischen Fünfhebern - trug ursprünglich den Titel "Transzendieren". Es handelt nicht nur vom Anfang, sondern zunächst vom Ende: "Wie jede Blüte welkt... " Generationen von poetisierenden 15-Jährigen haben sich mit Hesses Hilfe, in der sich das Entraffen auf das Erschlaffen reimt, bereits entrafft - von Freund oder Freundin nämlich. "Stufen" ist die perfekte Schlussmach-Lyrik. Mit einem sardonischen Hinweis auf gewisse "andre, neue Bindungen". Aber hey, heul nicht, jedem Ende wohnt doch auch irgendwie ein Anfang inne. "Und jedem Anfang ...", genau, der Zauber. Was die Kanzlerin dem Präsidenten sagt, ist: Vergiss die Euro-Bonds, Herz, nimm Abschied und gesunde. Andererseits ist ja bald Bundestagswahl - und da müsste man sich womöglich auch hierzulande mal "in Tapferkeit und ohne Trauern / In andre, neue Bindungen..." Sonst droht Erschlaffen.

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