Süddeutsche Zeitung

Nibelungenfestspiele Worms:Grelle Historiensause

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Der Papst ist eine Päpstin, gespielt von Sunnyi Melles: Die Nibelungenfestspiele in Worms eröffnen mit "Luther" von Lukas Bärfuss.

Von Egbert Tholl, Worms

In der besten Szene dieser mehr als dreistündigen Aufführung wird Papst Leo X. mit einem Elektrogefährt hereingeradelt, das aussieht wie ein halboffenes Ei, die Öko-Variante vom Papamobil sozusagen. Der Papst ist eine Päpstin, Sunnyi Melles spielt ihn/sie, und wenn es je eine Idealbesetzung für einen der Welt abhandengekommenen, durchgeknallten Würdenträger gab, dann ist sie es. Mit all dem ihr innewohnenden Irrsinn spielt Sunnyi Melles diesen Papst, der vom Papstsein wenig Ahnung hat und sich am liebsten um Hanno kümmert. Hanno ist ein Elefant, Leo bekam ihn vom portugiesischen König geschenkt. Leo sähe Hanno gern als seinen Nachfolger, er habe von der Bibel so viel Ahnung wie er selbst, nämlich keine, er ist in der Welt herumgekommen, und außerdem haben die Menschen eine Freude, wenn sie ihn sehen. Wenn sie Leo sehen, freuen sie sich nicht. Leider kriegt man von Hanno nur den Rüssel zu sehen, wenn der aus einem goldenen Container herauslugt.

Die Nibelungenfestspiele in Worms zeigen in diesem Jahr kein Nibelungen-Stück, sondern "Luther", geschrieben vom Schweizer Autor Lukas Bärfuss, weil im Jahre 1521, vor genau 500 Jahren also, Martin Luther auf dem Reichstag zu Worms erklärte, er werde nicht widerrufen, er könne nicht anders, und außerdem sollten die päpstlichen Theologen ihm erst einmal beweisen, dass er im Unrecht sei. Konnten sie nicht, und die Reformation nahm ihren Lauf.

Die Nibelungenfestspiele begannen 2002 mit einer Überschreibung der Saga durch Moritz Rinke, dann folgte auch mal Hebbel im Original, Dieter Wedel fuhrwerkte herum und prunkte mit Film- und Fernsehstars, bis es den Wormsern zu viel wurde. 2015 begann man, unter Intendant Nico Hofmann, weiterführende Nibelungen-Varianten in Auftrag zu geben, bei Albert Ostermaier, Thomas Melle oder Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Worms wurde zu einem Uraufführungsfestival, die Aufführungen waren Spektakel und Diskurs zugleich. Und nun also "Luther". Vor rund 700 Zuschauern, der Hälfte der möglichen, gäbe es kein Corona.

So grell die Farben dieses Historiengemäldes auch sind, es bleibt reine Oberfläche

Lukas Bärfuss streift in seinem Text theologische Fragen und entwirft ein historisch belegtes (Elefant!), bizarres Panoptikum der Zeit, bevölkert mit närrischen Figuren. Ohne Luther, der ist die absente Bezugsfigur. Im Kern geht es um den Ablasshandel, ein päpstliches Geschäftsmodell. Man kauft für ein paar Gulden einen Ablassbrief und glaubt sich gegen das Fegefeuer gefeit. Dagegen wetterte Luther und zweifelte auch die Wirksamkeit eines solchen Ablasses an.

Schon bei der Lektüre wundert man sich über das Ping-Pong aus brillant scharfen und lustigen Szenen, denen solche von bemerkenswerter Plumpheit gegenüber stehen. Und es sind viele Szenen. Die Regisseurin Ildikó Gáspár nimmt sich des redundanten Textangebotes beherzt an und etabliert erst einmal alle Figuren mit einem leicht aberwitzigen Budenzauber. Joachim, der Kurfürst von Brandenburg (Jan Thümer), heiratet Elisabeth, Prinzessin von Dänemark (Julischka Eichel); sie wird eine der ersten protestantischen Fürstinnen werden, er mutiert zu einem brutalen, sexuell irrlichternden Ehedespoten. Daneben treten Raubritter und Idioten auf, besteht Joachims Kammerdiener aus einer Zweieinigkeit lustiger Spielgesellen im Blaumann, vergrößert das Live-Video die Darstellenden und macht Flora Lili Matisz live oft coole Musik.

Dem schaut man eine Zeit lang gern zu, in dem Moment allerdings, in dem man sich denkt, jetzt müsste der Irrsinn richtig abheben, geht dem Treiben vollkommen die Luft aus, und die Aufführung schleppt sich weitere zwei Stunden bloß von Loch zu Loch. Nur zwei Darstellerinnen können ein Interesse an ihren Figuren aufrecht erhalten, die päpstliche Melles und Barbara Colceriu. Die ist, in ihrem Erstengagement am Theater Basel, fabelhaft munter, strahlend und klug und spielt Friedrich, Kurfürst zu Sachsen, Freund Luthers, auch deshalb, weil der Ablasshandel sein Wittenberger Reliquiengeschäft ruinieren würde. Sonst interessiert hier niemand. Die Zielrichtung ist klar, überall Geld, Macht, Gier, alle leihen sich was beim Fugger, die Kaiserwahl ist eine große Bestechungssause auf Rollerscates. So grell die Farben dieses Historiengemäldes auch sind, es bleibt reine Oberfläche.

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