Süddeutsche Zeitung

Bildband:Bindungsprobleme

Woong Soak Tengs Bilder von der Baumpflege in Singapur zeigen, wie der Mensch die Natur kultiviert und manipuliert.

Von Jesper Klein

Einen Baum anzubinden, das ist ein pragmatischer, aber kein stilvoller Akt. Es ist keine Kunst, die Pflanze mit ein paar Handgriffen an einem Stock zu befestigen. Die Fürsorge, die der Mensch der Natur entgegenbringt, gilt der Pflanze, dem zu schützenden Objekt. Die unterstützende Konstruktion ist Mittel zum Zweck. Auf den Bildern von Woong Soak Teng, einer jungen Künstlerin aus Singapur, wird sie zur Hauptsache. In einer Fotoserie widmet sie sich den vernachlässigten Stützen der Pflanzenwelt.

"Ways to Tie Trees" - das klingt zunächst wie ein Erklärstück. Es gibt Wege zum Ruhm oder zum Glück, zu Gott oder zu sich selbst. Aber gibt es überhaupt so viele Wege, einen Baum zu befestigen? Für Woong Soak Teng sind es dreißig, und sie sind vielfältig und eigenwillig.

Ihre Fotoserie ist aber mehr ist als ein bildlicher Ratgeber für eine vermeintlich unbedeutende Handlung. Selbst wenn die Künstlerin für die puristischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen den Fokus fast dokumentarisch auf das hier Wesentliche richtet: auf Stämme, auf Stöcke, auf Seile.

Wäre es die Absicht von Woong Soak Teng, mit ihren Aufnahmen zu zeigen, welch verborgene Kunst in der Baumbefestigung liegt, sie würde kaum überzeugen. Das ist die erste Erkenntnis: Auch in Singapur, wo die Fotografien entstanden, wird dem Vorgang offensichtlich keine große Bedeutung beigemessen. Das Potenzial der Fotos liegt allerdings auch nicht darin, in die Feinheiten des Bindens und Schnürens einzuführen.

Woong Soak Teng löst die Pflanzen aus ihrem natürlichen Umfeld und isoliert sie als ästhetische Objekte. Der Baum steht hier für sich, nicht im Park oder an der Straße, seine Umgebung spielt keine Rolle. Stattdessen: ein weißer, nüchterner Hintergrund. So wird der Baum zum abstrakten Objekt, nur auf einem einzigen Bild erinnern Blätter an seine ursprüngliche Bestimmung. Knoten und Schnüre hingegen werden überhöht zum verbindenden Element, zum Kleber zwischen Mensch und Natur.

In dieses Verhältnis zoomt die Künstlerin an einer ungewöhnlichen Stelle hinein. Die These: Für eine lebenswerte Umgebung wird die Natur durch den Menschen kultiviert und manipuliert. Das wäre an anderen Orten womöglich eine allzu naheliegende Aussage - in Singapur erscheint sie in einem anderen Licht. Denn kaum eine Stadt investiert so viel in ihre Grünflächen, Singapur ist auf dem Weg, eine der grünsten Städte der Welt zu werden: Der botanische Garten zählt zum Weltkulturerbe, die riesige Parkanlage "Gardens by the Bay" ist eine Touristenattraktion.

Wenn Woong Soak Teng also die Bäume entlang der Straßen in Szene setzt, dokumentiert sie schlaglichtartig die Entwicklung des Stadtstaates hin zu einem möglichst grünen Lebensraum mit hoher Lebensqualität. Wie sich aus dem Einzelnen ein Ganzes ergibt (oder auch nicht), lässt die Künstlerin im Unklaren. In jedem Fall braucht es für das Streben nach mehr Natürlichkeit die Kontrolle durch Menschenhände. Diesen vermeintlichen Widerspruch arbeitet Woong Soak Teng, ohne auch nur einen einzigen Menschen abzulichten, eindrücklich heraus.

Woong Soak Teng: Ways to Tie Trees. Steidl Verlag, Göttingen 2018. 30 Seiten, 45 Euro.

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SZ vom 08.02.2019
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