Süddeutsche Zeitung

Festival-Revival:"Woodstock 50": eine Chronologie des Scheiterns

50 Jahre nach 1969 wollte der Woodstock-Organisator den Geist des legendären Festivals zurückbringen. Nun, zwei Wochen vor Beginn, kommt die Absage. Man hätte es kommen sehen können.

Von Quentin Lichtblau

Einzigartiges neu auflegen - eigentlich schreit einen das Paradoxe dieser Idee ja schon an. Michael Lang, Organisator des Ur-Woodstock 1969, betonte trotzdem ständig, den "Geist von Woodstock" zurückbringen zu wollen, gerade jetzt, wo die USA ähnlich gespalten seien wie vor 50 Jahren. Der Wiederbelebungsversuch zum 30. Jubiläum war 1999 mit brennenden Bühnen, Plünderungen und Gruppen-Vergewaltigungen geendet. Woodstock 50 sollte besser laufen, laut Lang wollte man diesmal "zurück zur Ursprungsidee" und "alles unter Kontrolle haben". Nun, zwei Wochen vor dem geplanten Beginn am 16. August, wurde das Festival abgesagt. Eine Chronologie des Scheiterns:

Februar 2019: Die Produktionsfirma Superfly weist daraufhin, dass der geplante Veranstaltungsort, eine Rennstrecke in Watkins Glen, Upstate New York, nur für maximal 65 000 Besucher geeignet ist. Michael Lang hält dagegen: Eine solche Begrenzung sei weder aus Sicherheitsgründen noch für den Besucherkomfort nötig. Sein Ziel: 100 000 bis 125 000 Besucher. In seiner Mail an die Geschäftspartner ruft er zu mehr Zuversicht und Elan auf, es sei ja doch eh schon alles sehr kurzfristig. Außerdem dürfe man die Agenturen der gebuchten Künstler nicht verunsichern: "Wie ihr wisst, müssen wir morgen die Bands ausbezahlen, um unsere Glaubwürdigkeit zu bewahren."

März 2019: Erste Gerüchte kommen auf, dass viele Künstler noch kein Geld gesehen haben. Lang dazu: "Es gab schon immer viele Gerüchte rund um Woodstock." Und: "Es wird ein Once-In-A-Lifetime-Event."

April 2019: The Black Keys, geplant als Samstags-Headliner, ziehen ihre Zusage zurück - angeblich wegen Terminschwierigkeiten. Gleichzeitig zitieren lokale Medien den zuständigen Bezirksverwalter Tim O'Hearn, demzufolge noch keinerlei Genehmigung für eine Massenveranstaltung in Watkins Glen vorliegt.

Einer der Hauptfinanziers des Festivals, die Agenturgruppe Dentsu Aegis Network, sagt Woodstock 50 daraufhin eigenmächtig ab. Laut dem Branchenblatt Billboard sind zu diesem Zeitpunkt bereits 30 Millionen Dollar für das Artist-Booking geflossen. US-Medien berichten in der Folge, dass mit dem Ausstieg von Dentsu auch die abgeschlossenen Verträge mit den Künstlern hinfällig sind. Michael Lang protestiert: "Woodstock hat nie Dentsu gehört, Woodstock gehört den Menschen. Und so wird es für immer sein. Woodstock 50 wird stattfinden und es wird der Hammer!" Auch die Produktionsfirma Superfly steigt daraufhin als Partner aus.

Und Dentsu und Michael Lang treffen sich vor Gericht wieder. Lang und sein Team werfen der Agenturgruppe "Verrat" vor, und reichern dies mit einem Hauch von Verschwörungstheorie an: Die japanischen Unternehmer hätten die Künstler überredet, nicht bei Woodstock 50 aufzutreten, und im Gegenzug Kontakte zu den Veranstaltern der Olympischen Spiele 2020 in Tokio versprochen. Außerdem fordert Lang 17,8 Millionen Dollar zurück, die Dentsu angeblich veruntreut habe. Die Richter entscheiden, dass Dentsu das Festival nicht eigenmächtig hätte absagen dürfen. Lang feiert die Entscheidung, steht aber weiterhin ohne Finanziers da - die 17,8 Millionen Dollar bekommt er auch nicht.

Juni 2019: Nach zahlreichen Absagen hat Lang neue Geschäftspartner gefunden: Die Investmentbank Oppenheimer & Co als Finanzier, CDI Entertainment als neue Produktionsfirma. Das nächste Problem kommt dafür nun von anderer Seite: Die Betreiber der Rennstrecke kündigen ihre Vereinbarung mit den Woodstock-Organisatoren. Im Nachhinein kommt heraus, dass Lang und sein Team den Betreibern 150 000 Dollar schuldeten. CDI Entertainment zieht sich wieder aus der Produktion zurück. Das Woodstock-Team lässt verlauten, dass man sich bereits in Gesprächen mit alternativen Veranstaltungsorten befände und darauf freue, einen neuen Schauplatz zu verkünden, wenn "in den kommenden Wochen" der Ticketverkauf beginnt. Ende des Monats scheint der Ort gefunden: Die Pferderennbahn Vernon Downs, ebenfalls im Staat New York. Sie bietet allerdings höchstens Platz für 45 000 Besucher.

Juli 2019: Bei einem Stadtratstreffen in Vernon nennt der Bezirkschef der dortigen Rettungsdienste die Festival-Pläne ein "Rezept für ein Desaster", der Bezirkssheriff schlägt vor, die Planungen um ein Jahr zu verschieben, da man in den verbleibenden 39 Tagen keine sichere Veranstaltung garantieren könne. Die Woodstock-Organisatoren bedanken sich per Pressemitteilung für das "ehrliche Feedback", man werde die Einwände in der "finalen Planungsphase" des Festivals berücksichtigen und sei weiterhin zuversichtlich, ein "Weltklasse-Festival" auf die Beine zu stellen.

Am 9. Juli bestätigt der Verwalter des Bezirks Oneida, dass die Genehmigung für das Festival abgelehnt wurde. Was die Veranstalter bisher vorgestellt hätten, habe "kaum eine der Voraussetzungen" erfüllt. Mitte des Monats äußert sich Michael Lang nun erstmals weniger optimistisch: "Woodstock 50 ist enttäuscht, dass die Stadt Vernon sich mit der Ablehnung unseres durchdachten und robusten Konzepts gegen die Gelegenheit entschieden hat, das historische 50. Jubiläum auszurichten."

Am 25. Juli dann die Überraschung, die New York Times schreibt: "Woodstock 50 ist gerettet!" Das Festival werde laut den Veranstaltern nach Maryland verlegt, genauer gesagt in ein Amphitheater in Columbia, den Merriweather Post Pavilion. Allerdings haben viele Künstler in den vergangenen Tagen abgesagt, darunter Jay-Z, Miley Cyrus sowie die Woodstock-Urgesteine Santana, John Fogerty von Creedence Clearwater Revival und Country Joe McDonald. Letzterer sagte der Baltimore Sun, dass ihm weder ein Flug gebucht noch ein Hotelzimmer reserviert worden sei: "Ich bin nicht daran interessiert, auf ein sinkendes Schiff zu steigen, und ich sehe keine Anzeichen dafür, dass dieses Schiff nicht sinkt."

Verbleibende Headliner wie The Killers oder Imagine Dragons haben zwar nicht offiziell abgesagt, führen das Festival aber auch nicht in ihren Tourdaten auf. Außerdem ist in besagtem Amphitheater für den letzten Festivaltag bereits ein anderes Konzert von The Smashing Pumpkins und Noel Gallagher geplant. Das Magazin Variety zitiert Quellen aus Veranstalterkreisen, laut denen das Festival auf einen einzigen Tag zusammengeschrumpft werden solle - als Charity-Event mit Gratistickets für Normalbesucher und teure VIP-Tickets, die das Festival letztendlich finanzieren.

Nun also doch das finale Scheitern.

Mit dem dürfte auch die letzte verbleibende offizielle Zusage hinfällig sein - die von The Zombies. Deren Manager hatte gegenüber der Website Pollstar gesagt: "Was die da machen, fühlt sich ein bisschen an, wie vor 50 Jahren - das einfach total starrköpfig durchziehen zu wollen, trotz all der Hindernisse. Ich mag diesen Spirit!" Auch 1969 hatte man schließlich in letzter Minute den Veranstaltungsort gewechselt und das Festival schließlich am zweiten Tag zu einem Gratiskonzert umfunktioniert. Man kann Michael Lang also sicherlich einiges vorwerfen, Missmanagement, Hochstapelei, das große Chaos, nun das Scheitern. Nur eines nicht: Dass er sich damit von seinen Ursprüngen entfernt hätte.

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