Süddeutsche Zeitung

Wong Kar-Wai im Interview:Endlich Nicht-Lover

Lesezeit: 3 min

Kann man sich eine Liebe wie das Rauchen abgewöhnen? Im Gespräch sucht Wong Kar-Wai nach Antworten und erzählt, warum Norah Jones eine Kinostimme hat.

Tobias Kniebe

SZ: Könnte es sein, dass eine positive Wendung in Ihrem Schaffen eingetreten ist? In "My Blueberry Nights" sieht es zum ersten Mal so aus, als könnte eines Ihrer gebrochenen Herzen geheilt werden ...

Wong Kar-Wai: Vielleicht. Aber ich würde auf keinen Fall sagen, dass ich jetzt ein Happy End erzähle. Es geht um die Kunst des Abgewöhnens. Kann man sich eine Liebe abgewöhnen, wie man sich das Rauchen abgewöhnt? Wirkt sie wie eine Sucht, von der man sich nur langsam befreien kann? Das sind die großen Fragen dieses Films.

SZ: Alle Figuren scheinen in der Tat süchtig nach etwas zu sein, nach anderen Menschen vor allem - ersatzweise aber auch nach Blaubeerkuchen.

Wong: In der Tat. Und dann beginnt eine lange Phase des Abgewöhnens, die über große Umwege führt - und in manchen Fällen auch nicht gelingt. Ein glücklicher Moment ist für mich der, wenn Jude Law auf seine Exfreundin trifft, die von Can Marshall gespielt wird. Nicht, weil sie wieder zusammenkommen könnten, sondern weil sie auseinander gefunden haben. Sie sind glücklich damit, was aus ihnen geworden ist, sie bereuen nichts, und sie sind andere Menschen als damals. Die Wärme und das Verständnis, das man in dieser kurzen Begegnung spürt - das ist ein Happy End für mich.

SZ: Aber auch die letzte Szene, zwischen Norah Jones und Jude Law, scheint ein Versprechen zu enthalten...

Wong: Das würde ich ein "Happy Beginning" nennen. Nichts ist sicher, aber diese Szene könnte Ausgangspunkt für etwas Neues und Schönes sein. Doch das ist dann wieder ein ganz anderer Film.

SZ: Zugleich drehten Sie zum ersten Mal in englischer Sprache und in den USA. Was wollten Sie dabei entdecken?

Wong: Nichts, was ich vorher hätte benennen können. Der Moment, an dem ich zum ersten Mal einen fremden Ort erlebe, ist sehr wichtig für mich, sehr privat und sehr persönlich. Du wachst vielleicht gerade auf, nach 18 Stunden im Flugzeug, du gehst nach draußen, du atmest tief durch - und du reagierst auf den Ort. Ich habe versucht, solche Momente, die ich bei den Vorbereitungen erlebt habe, mit einer Fotokamera festzuhalten, um sie für den Film dann neu zu erschaffen.

Auf der nächsten Seite erzählt Wong Kar-Wai, wie Norah Jones zu ihrer Rolle kam.

SZ: Es wirkt, als hätten Sie ein Land, das im Grund schon fast zu Tode fotografiert ist, ganz neu gesehen.

Wong: Vielleicht. Aber das geschieht nicht bewusst. Ich habe mich jedenfalls nicht gescheut, auf die Bilder, die wir alle von Amerika im Kopf haben, zu reagieren. In Memphis zum Beispiel musste ich oft an Tennessee Williams denken - und so ist dieser Teil der Geschichte auch eine Art Tennessee-Williams-Story geworden. In Nevada fühlte ich mich dann wie in einem John-Ford-Film, und ich glaube, das spürt man auch.

SZ: Gibt es amerikanische Filme, die Sie besonders geprägt haben?

Wong: Das kann ich nur schwer sagen. Ich bin als chinesisches Immigrantenkind in Hongkong aufgewachsen, meine Mutter war verrückt nach Film. Manchmal saß ich jeden Tag mit ihr im Kino, und all diese Filme, die ich damals gesehen habe, sind mir noch bruchstückhaft in Erinnerung. Zusammen ergibt das ein gewaltiges Mosaik, in dem ich allerdings keine einzelnen Filmtitel mehr auseinanderhalten kann.

SZ: Wie kamen Sie auf die Idee, der Musikerin Norah Jones, die keinerlei Ambitionen in Richtung Kino hatte, einfach die Hauptrolle anzuvertrauen?

Wong: Ich erinnere mich sehr genau an den Moment. Es ist Jahre her, ich war in Taipeh, der Abend kam, die Straße war von Autos verstopft. Und auf einmal war diese Stimme im Radio, es war Norah Jones, und sie hat mich sofort berührt. Es war eine Kino-Stimme, wenn Sie verstehen, was ich meine?

SZ: Eine Stimme, die Bilder in Ihrem Kopf erzeugt hat?

Wong: Genau. Ich sah plötzlich die Geschichte eines Mädchens vor mir, das ein Problem mit seiner Vergangenheit hat - aber auch schon den Weg, wie es dieses Problem lösen könnte. Also habe ich sie angerufen und gefragt, ob sie einen Film mit mir machen würde.

SZ: Angeblich haben Sie Ihr auch gleich verboten, Schauspielunterricht zu nehmen und sich vorzubereiten?

Wong: Das ist wahr. Ich habe etwas in ihr gesehen, was schon da war, das durfte ich nicht verlieren. Ich wollte ihre Persönlichkeit, ihr Selbstvertrauen, ihre Spontaneität auf die Leinwand holen. Und ich denke, es hat funktioniert.

SZ: Auch Schauspielerinnen, die man schon oft auf der Leinwand gesehen hat, scheinen in Ihren Filmen noch einmal ganz neu aufzublühen. Wie machen Sie das?

Wong: Ich versuche nie, ihnen irgendwelche Vorstellungen aufzuzwingen. Und außerdem habe ich den Verdacht, dass mein Kostüm- und Szenenbildner William Chang eine bestimmte Magie ausübt. Wenn er erst einmal das richtige Kleid gefunden hat, dann ist eine Frau nicht mehr dieselbe wie vorher.

SZ: Wie haben Sie ihren eigenen enigmatischen Stil, die wuchtige Sonnenbrille, gefunden?

Wong: Durch Zufall. Früher in Hongkong habe ich manchmal 24 oder 48 Stunden nonstop gedreht, da musste ich meine Augen schützen. Heute ist diese Brille wie eine Uniform: Sie zeigt an, dass ich zur Arbeit gehe. Brillenlos kennen mich nur meine Frau und meine Kinder.

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Quelle:
SZ vom 24.1.2008/kur
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