Theater:Schwammerlsuche mit Handke

Theater: Und es war Sommer: Peter Maffay, gespielt von Christian Löber, kommt in Falk Richters Inszenierung auch vorbei.

Und es war Sommer: Peter Maffay, gespielt von Christian Löber, kommt in Falk Richters Inszenierung auch vorbei.

(Foto: Maurice Korbel)

Falk Richter bringt an den Münchner Kammerspielen mit technischem Maximalaufwand Wolfram Lotz' "Heilige Schrift I" auf die Bühne.

Von Egbert Tholl

Darum geht's: "Schreibend etwas Anderes zu suchen, das Feld zu öffnen nochmal neu." Doch Achtung, es droht eine "starke Zunahme des intensiv-schreibbedingten Außenweltverlusts". Wolfram Lotz, geboren 1981 in Hamburg und aufgewachsen im Schwarzwald, was hier vielleicht noch eine Rolle spielen wird, gilt seit gut zehn Jahren als einer der aufregendsten Theaterautoren. Er schreibt wenig, aber wenn er schreibt, dann so wundervolle Sachen wie "Die lächerliche Finsternis", das beste Stück des Jahres 2014.

Dann nahm seine Frau einen Job in einem kleinen Dorf im Elsass an, Lotz ging mit, ein Jahr, mit den beiden Kindern und ein paar Büchern. Lotz saß im "Fachwerkfreilichtmuseum" und schrieb alles auf. Vom Brokkoli im Alltag bis zu aberwitzigen Ausflügen des Geistes, völlig ungefiltert, dann löschte er alles wieder. Doch einen Teil des Tagebuchs hatte er zuvor einem Freund geschickt, der fand dann seinen Weg zum Fischer-Verlag, vor ein paar Tagen erschien "Heilige Schrift I". Und kaum ist das Buch mit seinen 900 Seiten raus, begegnen Teile des Textes einem dort, wo Lotz künstlerisch zuhause ist, im Theater, an den Münchner Kammerspielen, wo Falk Richter die "Heilige Schrift" in die Therese-Giehse-Halle hineininszeniert.

Das Buch umfasst die Gedanken und Beobachtungen der zweiten Jahreshälfte 2017, und es wäre eine wundervolle Vorstellung, Lotz säße einem an einem sehr langen Abend gegenüber und erzählte einem davon, nähme einen mit zu vollkommenem Unsinn und höchst geistreichen Ideen. So müsste es sein, ganz fein, ganz privat, wie die Lektüre des Buches. Gedanken, die im Moment entstehen und gleich wieder verschwinden, die nicht mehr wollen, als einmal kurz vorhanden gewesen zu sein. Aber das sieht Falk Richter ganz anders. Er inszeniert "Heilige Schrift", als wäre da ein bestimmter, zu bestimmter Artikel davor, als wäre es eine Bibel der Poetologie, des Welterklärungswirrwarrs. Und das ist Quatsch.

Erst einmal wird man verkabelt, erhält einen Kopfhörer und ein Handy, mit dem man auf die Suche nach QR-Codes gehen kann, später kann man noch eine VR-Brille aufsetzen und eine versprengte Poetentruppe dabei beobachten, wie sie im Wald einen Fliegenpilz findet. Also kein schreibbedingter Außenweltverlust, eher ein technoider. Aber zunächst: ein Hörspiel. Stimmen im Kopf erklären das Vorhaben (das von Lotz, nicht das von Richter), ein Dramaturg ruft an, will was, weiter: "Bin jetzt kurz mal bei beim Handke-Rein-Lektüren, vor dem Mittagessen."

Dann geht es hinein in eine Rauminstallation, Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Fernsehzimmer, acht Kammerspielschauspieler agieren, als hätten sie nie eine Ausbildung dafür erhalten, sie tönen und raunen und gleich beschleicht einen das Gefühl, Lotz' fabelhaftes Fabulieren wird hier aufgeblasen zu einer romantisierenden Dichternot, so groß, bis der Ballon der Bedeutung platzt. Schnell nimmt man in einem ICE-Sitz Platz, im Videofenster zieht Landschaft vorbei, im Kopf sagen Stimmen, dass Odysseus nun in Bietigheim-Bissingen angekommen und Miley Cyrus auch im Zug sei.

Lotz denkt sich in der Einsamkeit des Dorfes immer wieder in andere Menschen hinein, Peter Handke, Durs Grünbein, Frank-Walter Steinmeier. Die begegnen einem im dritten Teil ganz explizit, im Wald nämlich, und was als Performance angekündigt ist, ist eine Ansammlung bemerkenswerter Kabarettnummern der nun aufblühenden Darsteller, dazu dröhnt viel Video. Martin Weigel schaut nun aus wie Steinmeier und erklärt als solcher dessen Abscheu vor den "Zukunftsverknickern", die das postdramatische Theater ablehnen, Christian Löber zieht sich eine Peter-Maffay-Maske über und singt, dass es Sommer war, Edmund Telgenkämper erzählt, wie Lotz das Detheremin erfand, weil dieser das Theremin (berührungsloser Ur-Synthesizer) nicht mag und Bernardo Arias Porras berserkert frei herum. Und, ach ja, Goebbels findet Bruno Ganz als Hitlerdarsteller blöd.

Der hier beschriebene Abend ist die Voraufführung, weil die Premiere zeitgleich mit der in Oberammergau stattfindet. Bei den Passionsspielen können sie mit heiligen Schriften umgehen, an den Kammerspielen lassen sie die von Lotz zerknallen.

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