Süddeutsche Zeitung

Wolfram Kastner:Spuren des Brandes

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Der Künstler und das Erinnern auf dem Königsplatz

Von Antje Weber, München

"Menschenmassen strömten die Linden entlang, Musikkapellen spielten, es herrschte Feiertagsstimmung." So schildert Elisabeth Castonier die Nacht vom 10. Mai 1933 in Berlin; die Nacht, in der die Nationalsozialisten in vielen Städten die Bücher missliebiger Autoren verbrannten. "Fackelzüge marschierten auf, Studenten umstanden den Scheiterhaufen, warfen ihre Fackeln in die Flammen, hochbeladene Lastwagen brachten das Brennmaterial, die deutsche Literatur."

Elisabeth Castonier hat, ebenso wie Erich Kästner, in dieser Nacht miterlebt, wie ihre eigenen Bücher verbrannt wurden; sie wollte Zeugin sein, "dergleichen sieht man nur einmal im Leben". Die jüdische Autorin emigrierte nach Wien, Italien und London, 1975 starb sie in München. Ihre Autobiografie "Stürmisch bis heiter", in der sie von den Bücherverbrennungen erzählt, war in den Sechzigerjahren ein Bestseller. "So ein Text gehört in jedes Schulbuch!", findet der Aktionskünstler Wolfram Kastner. Doch wer kennt heute noch Elisabeth Castonier? "Die Nazis haben ja bei vielen erreicht, was sie wollten: dass sie bis heute unbekannt sind", sagt Kastner.

Wolfram Kastner arbeitet in München seit vielen Jahren gegen das Vergessen an. Vor allem erinnert er seit 1995 jährlich auf dem Königsplatz an die Bücherverbrennung, organisiert Lesungen, brennt einen Fleck in den Rasen, seine "Brandspur". Zunächst waren seine Aktionen verboten, seit 2004 sind sie mit Auflagen genehmigt. Die Sperrung des Platzes zum Beispiel sei immer wieder umstritten, sagt Kastner. Wenn Autos führen, höre man bei den Lesungen schlecht; dieses Jahr muss es wohl trotzdem ohne Sperrung gehen.

Davon abgesehen ist Kastners Stimmung kurz vor dem Jahrestag "positiv". Auch dieses Jahr hätten sich wieder so viele gemeldet, um fünf Minuten lang öffentlich aus den Werken verfemter Autoren zu lesen, dass er sogar etlichen absagen musste. Von 11 bis 18 Uhr werden sich also wieder prominente und weniger prominente Bürger an den Mikrofonen abwechseln; Liedermacher Konstantin Wecker hat sich Erich Mühsam ausgesucht, Schriftsteller Johano Strasser hat Stefan Zweig gewählt. Schüler diverser Schulen sind angekündigt, sogar eine Grundschule. Die Neunjährigen lesen Erich Kästner - "das wird für sie ein bleibendes Erlebnis, das wird nachhaltig sein", da ist sich Kastner sicher.

Mit der Nachhaltigkeit ist es nicht immer so einfach. Ein dauerhaftes Mahnmal am Ort der Münchner Bücherverbrennung ist erst in Planung; im vergangenen Jahr wurde im Stadtrat ein Wettbewerb beschlossen, für den eine Jury aus Politikern, Verwaltungs- und Fachleuten zehn Künstler einladen soll. Diese "Geheimdemokratie" eines Einladungswettbewerbs hält Kastner für einen "Skandal"; ein Kulturreferats-Pressesprecher entgegnet, aus Erfahrung halte man einen offenen Wettbewerb in diesem Fall nicht für zielführend.

Bis ein Denkmal auf dem Königsplatz steht, wird es allerdings noch lange dauern: Die Jury hat erst ein Mal getagt, es gibt auch noch keinerlei Zeitplan. Einstweilen wird Wolfram Kastner weiterhin an jedem 10. Mai einen Brandfleck in den Rasen auf dem Königsplatz brennen. Dann kann wieder Gras über die Sache wachsen. Bis zum nächsten Jahr.

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Quelle:
SZ vom 10.05.2017
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