Wolfgang Rüb: Wohnquartett mit Querflöte:Die glücklichen Fremden

Lesezeit: 3 min

Hier wächst zusammen, was ersichtlich nicht zusammengehört: Wolfgang Rübs sehr amüsanter Roman über ein West- und ein Ost-Paar ist das einzige DDR-Buch, das uns noch gefehlt hat. Eine dringende Empfehlung.

Burkhard Müller

Manchmal kriegt man als Kritiker ein interessantes Buch noch gerade so zu fassen, bevor es durch den Rost der Aktualität fällt, um erst im Keller des Bestands und dann im Orkus der Vergriffenheit zu landen. Wenn ein Buch den unrichtigen Druckvermerk "2009" trägt, obwohl es faktisch erst im Frühjahr 2010 ausgeliefert wurde, muss man sich gegen Ende des Jahres 2010 ziemlich ranhalten. Denn zeigt der Kalender erst 2011 an, wird es zu spät sein, darauf hinzuweisen.

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Darum sei jetzt mit einiger Dringlichkeit auf den Roman Wohnquartett mit Querflöte von Wolfgang Rüb aufmerksam gemacht. Es handelt sich um ein sehr vergnügliches Buch mit einem hellen soziologischen Blick für die fortdauernden Differenzen der ost- und westdeutschen Gesellschaft. Der Ich-Erzähler und seine Frau Renate, beide schon länger arbeitslose DDR-Chemiker, entschließen sich, ihre ererbte, aber ziemlich heruntergekommene Jugendstil-Villa an ein erfolgsverwöhntes Yuppie-Pärchen aus den alten Bundesländern zu verkaufen, Franka und Gerrit (schon die Namen sagen eigentlich alles Nötige).

Sie sind nun reich, aber anfangen können sie mit ihrem Geld eigentlich nichts, das sind sie nicht gewohnt, und so ziehen in einen nahen Plattenbau. Aber dort erfasst sie Sehnsucht nach ihrem lieben alten Haus, und sie beginnen sich ihm wieder zu nähern. Erst müssen sie es insgeheim tun, wie Einbrecher; aber alsbald freunden sie sich mit dem Westpärchen an, die vier wachsen einander ans Herz und möchten sich, so verschieden sie sind, bald gar nicht mehr missen. Dennoch pflegt das Ostpaar gewohnheitsmäßig die alten Heimlichkeiten.

"Abends machten wir unseren Spaziergang, bei dem wir an der Villa vorbeikamen. Dann gingen wir in den Garten und guckten uns die beiden durchs Fenster an, wie man sich sonntags durchs Schaufenster Dinge anschaut, die man sich am Montag kaufen wird. Sie taten uns leid, so ganz ohne uns. Sie waren mit uns fröhlicher miteinander."

Man achte darauf, wie die Metapher die neue Lage mit dem Altbekannten verknüpft. "Ich" und Renate neigen sich Franka und Gerrit mit der Zärtlichkeit zu, die im alten Regime den immer knappen und raren Konsumartikeln vorbehalten war. Und doch spricht daraus, ganz ohne Arg und Ressentiment, eine fast kindliche Art der Einfühlung.

Raffinierte Einfalt

Hier wächst zusammen, was ersichtlich nicht zusammengehört, aber genau deswegen einander umso höher als unerwarteten Fund schätzt. Nicht zwei Scherben fügen sich längs einer gezackten, aber passgenauen Bruchlinie zum altneuen Topf, sondern man verweilt voreinander mit warmem Erstaunen und ist am Fremden glücklicher, als man es je im Eigenen war und wäre.

Das läuft zum Beispiel so: "Franka und Gerrit wünschten, dass wir in tiefere Tiefen unserer Erziehung eindringen sollten. Als sie mit gezielten Fragen kamen nach familienstrategischer Konfliktbewältigung, gemeinsam beschlossenen Programmen für Schule, Hobby und Studium, demokratischer Planung von Familienerlebnissen und Reisen unter Berücksichtigung des Kindgemäßen, Stärkung des Ich-kann-Gefühls und Austausch von Zärtlichkeiten, kam es uns beiden vor, als hätten wir von unseren Eltern lediglich zu essen bekommen."

Das Buch steckt voll von wunderbaren Einfällen und Betrachtungen. Wie zum Beispiel verschafft man sich Ruhe vor Mitmenschen, die bemängeln, man vernachlässige seinen Garten so, dass eine bestimmte Unkrautsorte völlig überhand nimmt? Man erklärt eben diese zum seltenen Goethekraut, dessen Ableger man eigenhändig in Goethes Weimarer Garten stibitzt habe. Goethe schafft Respekt; und man kann sich nunmehr den wirklich wichtigen Dingen zuwenden.

Der erlittene Kummer, wenn der nagelneue Wartburg durch die Westöffnung finanziell und ideell plötzlich entwertet scheint, lässt sich teilweise mildern, indem man mit dem Fahrzeug ruppiger umgeht und es nach Gehör in die Garage fährt, also erst stoppt, wenn es kracht: So tröstet man sich durch die Vorstellung seines drastisch erhöhten Gebrauchswerts.

Ein wirklich gelungenes Weihnachtsgeschenk kommt so zustande, dass das Ostpaar für das Westpaar auf dessen Kosten, aber nach eigenem, erzgebirgisch geprägtem Geschmack eine komplette Weihnachts-Dekoration aussucht und kauft. "Und sie (Renate) freute sich über einen spontan angebotenen kleinen Rabatt auf eine Summe, bei deren Nennung sie früher tot umgefallen wäre." Gerrit und Franka werden zu bescherten Kindern, die an Heiligabend im Büro arbeiten dürfen, bis der Christbaum fertig geschmückt ist.

Man sollte gerechterweise auch die kleine Schwäche nicht verschweigen, die das Buch für den Kalauer und den Slapstick hegt, etwa wenn es um den etwas übertrieben schwuchtelhaften Geliebten des Nachbarn, des titelgebenden Querflötisten, geht. Aber das alles ändert nichts am Befund: dass dieses überaus originelle Buch mit seiner raffinierten Einfalt das einzige ist, das uns nach zwanzig Jahren deutscher Vereinigung wirklich noch gefehlt hat.

WOLFGANG RÜB: Wohnquartett mit Querflöte. Roman. Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2009 (recte 2010), 349 Seiten, 19,95 Euro.

© SZ vom 19.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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