Wohnen und Architektur:Union und SPD werden die Wohnungskrise weiter verschärfen
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Was bei der neuen Regierung in Glas, Stahl und Beton geplant ist, dürfte die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich weiter vorantreiben - und die frivole Spekulation mit Eigentum stärken.
Analyse von Laura Weissmüller
Das Bau-Ressort muss wieder wandern: Weg von Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, wo das Ministerium seit 2013 auch schon eher unglücklich angesiedelt war, hin zu Heimat und Inneres. Als ginge es beim Bauen wirklich nur um Zierrat - und nicht um etwas, das unser Land für Jahrzehnte prägen wird.
Dass eines der wichtigsten Ministerien mal diesem und mal jenem Minister zugeschlagen wird, ist Ausdruck dafür, dass der Politik und nun auch der großen Koalition zum Thema Wohnungsbau kaum etwas einfällt. Das aber ist verantwortungslos, denn nirgendwo sonst lässt sich die soziale Gerechtigkeit einer Gesellschaft so sehr studieren wie in ihrer gebauten Umwelt. Was da gerade in Glas, Stahl und Beton entsteht, dürfte die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich weiter vorantreiben.
Unübersehbar wird der Verdrängungskampf in deutschen Metropolen und Universitätsstädten härter. Und die Politiker wollen an diesem Zustand offenbar nichts ändern, anders sind die beschlossenen Maßnahmen der großen Koalition nicht zu erklären. Etwa beim Mieterschutz. Die nun angekündigte Mietpreisbremse dürfte genauso wirkungslos sein wie die alte. Warum? Weil Vermieter, die sich darüber hinweg setzen, vom Gesetz nicht bestraft werden. Bei Sanierungen darf der Vermieter nun zwar in geringerem Umfang, aber weiterhin die Kosten dauerhaft auf seine Mieter umlegen. Sie zahlen also den Aufzug im Treppenhaus oder die neuen Fenster bis zu ihrem Auszug ab. Und die zwei Milliarden Euro, die den sozialen Wohnungsbau unterstützen sollen, sind viel zu wenig. Hamburg etwa stehen davon elf Millionen Euro pro Jahr zu. Mehr als ein Mehrfamilienhaus gibt es dafür nicht.
Die Privatbauten der Mittelschicht werden die Wohnungsnot nicht beenden
Geradezu fatal aber ist die Vorstellung der großen Koalition, man könnte die Wohnungskrise lösen, indem man die private Bauwirtschaft durch steuerliche Anreize und Geldgeschenke stärkt. Das Gegenteil ist der Fall. Das wird klar, wenn man sich das neu beschlossene "Baukindergeld" anguckt. Das Wort klingt nicht nur nach eingemottetem Familienbild der Fünfzigerjahre, offenbar stand auch eine solche Vorstellung hinter diesem Konzept. Eine Familie mit einem zu versteuernden Haushaltseinkommen von bis zu 75 000 Euro im Jahr soll künftig zehn Jahre lang 1200 Euro pro Kind und Jahr erhalten, wenn sie ein Haus baut oder kauft.
Was man dagegen haben kann, wenn der Staat jungen Familien dabei hilft, sich ein Haus zu leisten? Sehr viel. Es ist die falsche Antwort auf die Frage, wer bezahlbaren Wohnraum vorrangig braucht. Das ist nicht die Mittelschicht, das sind die Wenigverdienenden, Alleinstehenden und Alleinerziehenden. Das sind arme Alte, Auszubildende und Geflüchtete.
Außerdem stützt der Bund durch eine solche Förderung genau jenes System, das die Wohnkrise überhaupt erst ausgelöst hat: die Spekulation mit Immobilien. Die private Bauwirtschaft wird einfach einen Zuschlag erheben, den dann der Steuerzahler begleichen muss. Genau dies hat die abgeschaffte Eigenheimzulage gezeigt. Die Spekulation mit Eigentum nun wieder zu subventionieren, ist deshalb frivol.
Und schließlich: Jedes neue Eigenheim versiegelt ein Stück Boden. Deutsche Städte wachsen jetzt schon ins Adipöse. Immer neue Wohnquartiere hängen sich an ein Zentrum. Es sind Schlafburgen, die sich morgens leeren, um erst abends wieder zum Leben zu erwachen. Sie schaffen mehr Stau und bringen die öffentliche Infrastruktur an ihre Grenzen.
Für das Land ist der Bauboom genauso schädlich. Selbst in Dörfern und Kleinstädten, wo die Bewohnerzahlen schrumpfen, wird ständig neues Bauland ausgewiesen. Die Kommunen sehen darin einen Beweis ihrer Attraktivität. Bei Gewerbegebieten handeln sie ähnlich. Also wird betoniert, was das Zeug und der Bauarbeiter hergibt, als wäre der Boden ein nachwachsendes Gut. Ist er aber nicht. Das Versiegeln immer größerer Flächen in Deutschland dürfte spätestens für die kommende Generation ein Problem werden. Für die Natur ist es das schon lange. Dabei gibt es zumindest im Wohnungsbau eine einfache Lösung: Umbauen. Alte Häuser lassen sich hervorragend sanieren. Häufig erhält man dadurch eine Lebensqualität, die ein Neubau gar nicht haben kann.
Die Wohnfrage in Deutschland muss endlich als ästhetische Aufgabe begriffen werden
Deutschland braucht weder in der Stadt noch auf dem Land weitere Einfamilienhaussiedlungen, die so trost- wie einfallslos sind. Was das Land braucht ist bezahlbarer Wohnraum in Häusern, die im Sinne des Gemeinwohls entworfen, gebaut und gepflegt werden. Häuser also, in denen die Gesellschaft sich begegnet, weil es Gemeinschaftsräume gibt, Wohnungen für Singles, Familien und Wohngemeinschaften und ein Erdgeschoss, das dem Viertel offensteht - und nicht dem Eigentümer, der sich die Gartenparzelle leisten kann.
Es gibt hierzulande Genossenschaften, die gezeigt haben, wie so etwas geht. Ihre Häuser führen auch vor, wie sich auf wenig Raum angenehm wohnen lässt, weil die Grundrisse durchdacht sind und die Bedürfnisse der Bewohner reflektieren. Ein hochverdichtetes Bauen dieser Art ist das Einzige, was den Flächenfraß stoppen kann. Doch es gelingt nur, wenn die Architektur ihre Bewohner ernst nimmt und nicht weiter an überholten Lebensmodellen festhält.
Das alles zeigt: Die Krise des Wohnens ist auch eine der Gestaltung. Es ist wichtig, wie Häuser aussehen. Denn sie geben vor, wie die Menschen darin leben. Dass es nicht reicht zu rastern, haben schon die Plattenbausiedlungen der Nachkriegszeit gezeigt. Deswegen muss die Wohnfrage in Deutschland endlich als ästhetische Aufgabe begriffen werden. Das geht nur, wenn der Staat darüber bestimmt, mit welchen Zielen gebaut wird - für die Gemeinschaft oder fürs private Konto. Und dafür muss er über den Boden verfügen. Das bedeutet: Die Wohnkrise entscheidet sich am Umgang mit dem Boden. Eine Regierung, die das noch länger ignoriert, handelt grob fahrlässig.