Wittelsbacher Gründungsstädte:Jungfrauenlieb' und Lärchengesang

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"Stadt befreit": Die Landesausstellung in Friedberg und Aichach zeigt mit Uhren, Schwertern und Latrinensitzen, wie Bayern zum Städteland wurde.

Von Rudolf Neumaier

Kaum vergehen ein paar Jahrhunderte, schon ändert sich grundlegend das Image eines ganzen Adelsgeschlechtes. Als die Wittelsbacher sich anheischig machten, in Bayern Macht und Einfluss zu erlangen, galten sie als üble Strolche und waren unbeliebter als der heutige Ministerpräsident Markus Söder in seiner Zeit als CSU-Generalsekretär. Ein Eichstätter Chronist bezichtigte sie in den 1070er-Jahren "schlimmster Räubereien", und Bischof Otto von Freising notierte im 12. Jahrhundert mit einer für seine Gelehrtendiktion untypischen Pikiertheit in seine Weltchronik, aus diesem Geschlecht seien "zahlreiche Tyrannen hervorgegangen" und immer noch würden sie "in offener Gewalttätigkeit wüten" oder sich "Diebstahl und Straßenraub" hingeben. Ottos Zorn verhallte, die Wittelsbacher avancierten.

Aufstrebende Machtmenschen hier, argwöhnische Intellektuelle dort - wie sich das Mittelalter doch immer wieder in der Gegenwart spiegelt! Die Wittelsbacher machten ihre Sache gut, sie etablierten sich als feste Größe im Reich und konsolidierten sich innenpolitisch mit kluger Politik. Das Haus der Bayerischen Geschichte zeigt in Friedberg und in Aichach "Wittelsbacher Gründerstädte". Diese Landesausstellung mit dem Titel "Stadt befreit" ist nun mit sechs Wochen Verspätung geöffnet worden. Bislang hatte sich die große Gemeinde der Landesgeschichts-Connaisseurs mit dem Katalog begnügen müssen, der mit Aufsätzen des Freiburger Mediävisten Jürgen Dendorfer, des Münchner Rechtshistorikers Hans-Georg Herrmann und anderer glänzt.

Die Ahnen der späteren Herzöge, Kurfürsten und Könige waren aggressive Gesellen. Sie rafften an sich, was sich nicht wehrte. Sogar kirchliche Ländereien okkupierten sie. Das missfiel dem Papst, der erst den Salzburger Erzbischof zum Einschreiten veranlasste und dann Kaiser Konrad III. Von ihm bekam Pfalzgraf Otto, Oberhaupt der Wittelsbacher in der Mitte des 12. Jahrhunderts, gehörig eins auf den Deckel: Er belagerte Otto und nahm seinen ältesten Sohn als Geisel.

Die Wittelsbacher nutzten ihr "generatives Glück", und sie schufen Ordnung

Und weiß Gott, wenn der Kaiser nicht schon ein Jahr später gestorben wäre, dann wäre es mit den Wittelsbachern schon vorbei gewesen, ehe ihr Aufstieg begann. Jürgen Dendorfer verdeutlicht in seinem Katalogbeitrag, welch bedeutende Rolle die Faktoren Zufall und Dusel in den politischen Fährnissen des Mittelalters spielten. Während andere Adelsgeschlechter wie die Herren von Bogen und die Andechs-Meranier in Ermangelung erbfähiger Nachkommen erloschen, erfreuten sich die Wittelsbacher "kräftig erblühender Heldensöhne", wie der patriotisch gesinnte Bairische Eilbote im frühen 19. Jahrhundert schrieb. Was den Geschichtsschreiber Otto von Freising seinerzeit an der göttlichen Vorsehung zweifeln ließ, bezeichnet der heutige Geschichtsschreiber Jürgen Dendorfer als "generatives Glück".

Die Wittelsbacher wussten das Glück günstiger Fortpflanzungsresultate zu nutzen. Der Sohn Pfalzgraf Ottos, Otto II., wich Konrads Kaisernachfolger Friedrich Barbarossa nicht mehr von der Seite und erarbeitete sich das bayerische Herzogtum. Die Landesausstellung widmet sich mit den Stadtgründungen der Wittelsbacher einem Instrument, mit dem die Wittelsbacher ihre Herrschaft fundierten. Als emsigster Städtegründer tat sich Ottos Sohn Ludwig der Kelheimer hervor, der mit zehn Jahren Herzog wurde und das politische Geschäft schnell lernte. Er gründete unter anderem Landshut und Landau, in Straubing errichtete er die Neustadt. Ludwig starb im Jahr 1231.

Die Landwirtschaft lieferte mit den soeben entdeckten Vorzügen der Dreifelderwirtschaft wachsende Erträge, das Klima begünstigte die Produktion von Nahrungsmitteln, und "die Mühlen entwickelten sich zu den Fabriken des Mittelalters", wie Richard Loibl sagt, der Direktor des Hauses der Bayerischen Geschichte, der die Ausstellung von Peter Wolf kuratieren ließ. Die Bevölkerung wuchs. Mit der Gründung von etwa 20 Städten begegneten die Wittelsbacher dem demografischen Wandel. Und sie schufen Ordnung. Diese Kleinzentren brauchten die Herzöge als Residenz- und Handelsorte sowie für militärische Zwecke, um den Reichsstädten Regensburg und Augsburg und den Bischofsstädten die Stirn zu bieten, die alle nicht in bayerischer Hand waren. Die Differenzen zwischen diesen eigenständigen und vor allem eigensinnigen Kommunen im Bayernland würden sicher mal eine eigene Landesaustellung tragen.

Strukturell unterschieden sich die Gründungsstädte zunächst kaum von den Bauerndörfern ringsum. Die Stadtentwicklungs-Archäologen meinen, dass auch der Alltag der frühen bayerischen Kleinstädter im Wesentlichen dem der Dorfbewohner glich. Die ausgestellten Stadtmodelle machen die mittelalterliche Stadtplanung nachvollziehbar. Wobei die heute offenen zentralen Plätze wie etwa in Landshut oft mit Gebäuden bestückt waren.

Neben den beiden Teilen der Landesausstellung lohnen die Städte selbst einen Besuch. Richard Loibl bezeichnet sie als die größten Exponate. Friedberg zum Beispiel hat das alte und soeben fein renovierte Wittelsbacher-Schloss zu bieten, in dem das Haus der Bayerischen Geschichte nun gastiert, und das über ein unbedingt sehenswertes Stadtmuseum verfügt.

Die Orte für die Ausstellung sind gut gewählt. Schließlich stand die Stammburg der Wittelsbacher in der Aichacher Gegend, man spricht noch heute vom Wittelsbacher Land. Neben der politischen Geschichte ihrer Expansion, die bald auch die Pfalz am Rhein erreichte, beleuchtet die Ausstellung die Lebensformen in den mittelalterlichen Herzogstädten in allen Facetten. Mit einem Latrinenbrett erzählt sie von der Infrastruktur, mit einem Buchsbaumlöffel von frühbürgerlicher Kultur, mit einem mehr als zwei Meter langen Blasinstrument von der Organisation des Alltags: Auf den Türmen, die zu Zwecken des besseren Überblicks beim Erspähen von Aggressoren von außerhalb und von Bränden innerhalb der Stadtmauern und nicht zuletzt der Repräsentation halber kaum hoch genug sein konnten, bliesen die Türmer zur vollen Stunde die Uhrzeit und im Bedarfsfall Alarmsignale. Damit sie selbst zeitlich den Überblick behielten, hatten sie Türmeruhren, die rechtzeitig bimmelten. Schriftgut, mit dem das Land verwaltet und erfasst wurde, wie etwa mit dem zum Buch gebundenen Landvermessungs-Leitfaden, und Utensilien zur Ausübung der Herrschaftsgewalt machen das Mittelalter plastisch.

In das ausgestellte Richtschwert aus Straubing sind Sprüche wie "Fürchte Gott und liebe das Recht, dann sind die Engel deine Knecht'" und "Jungfrauenlieb' und Lärchengesang ist lieblich und währet nicht lang" gestanzt. So viel Frömmelei und makabrer Humor auf einer Scharfrichter-Klinge - waren das die alten Bayern?

Stadt befreit. Wittelsbacher Gründerstädte. Bayerische Landesausstellung in Schloss Friedberg und im Feuerhaus Aichach. Bis 8. November. Katalog (255 Seiten) 29 Euro.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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