Wissenschaftler über Jackson:"Ein ganz normaler Geschäftsmann"

"Seltsam, surreal und auch überraschend": Der Wissenschaftler Karlheinz Brandenburg hat Michael Jackson im Jahr 2003 zweimal besucht.

Wolfgang Luef

Karlheinz Brandenburg, der Miterfinder der MP3-Technologie, ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnik im thüringischen Ilmenau. Er hat Michael Jackson im Jahr 2003 zweimal geschäftlich in Neverland besucht: Der "King of Pop" interessierte sich für ein vom Fraunhofer-Institut entwickeltes Surround-System - eine Technik, die bei Rockkonzerten bis heute einzigartig wäre. Aus dem Geschäft wurde nichts: Kindesmissbrauchs-Vorwürfe führten zur Absage der Tournee. Im Interview erzählt Brandenburg von seinen Begegnungen mit Michael Jackson.

Wissenschaftler über Jackson: Zu Besuch in Jacksons Neverland: "Ich hatte das Gefühl, dass er mir sehr genau zuhört."

Zu Besuch in Jacksons Neverland: "Ich hatte das Gefühl, dass er mir sehr genau zuhört."

(Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Wie kam es, dass Michael Jackson ein Sound-System aus Deutschland wollte?

Karlheinz Brandenburg: Ein deutsches Unternehmen wollte im Jahr 2003 eine Europa-Tour veranstalten und hatte folgende Idee: Wenn es eine neue Technologie gibt, die einem Pop-Konzert einen ganz besonderen Kick verschaffen könnte, wäre das für Michael Jackson genau das Richtige. Diese Firma hat alles arrangiert, auch die Besuche in Neverland.

sueddeutsche.de: Wie oft haben Sie ihn besucht?

Brandenburg: Zwei Mal. Bei dem ersten Treffen ging es darum, die Technologie genau zu erklären. Michael Jackson zeigte sich sehr interessiert - er war begeistert. Danach haben Techniker das Iosono-System in seinem kleinen Musikstudio installiert. Nur eine Woche nach dem ersten Besuch bin ich noch einmal nach Neverland, um die Technologie vorzustellen.

sueddeutsche.de: Wie war Ihr Eindruck von der kalifornischen Zauberwelt-Ranch?

Brandenburg: Beim ersten Mal wurde ich von einer Limousine in Los Angeles abgeholt. An der Pforte in Neverland gab es natürlich erst mal Sicherheitskontrollen. Ich musste unterschreiben, dass ich von dort nichts mitnehme und auch keine Fotos mache. Danach ging es mit der Limousine noch ein ganzes Stück rein auf die Ranch, wo uns die Hausbediensteten empfangen haben. Es gab dann eine Führung durch das Gelände. Wir haben sein privates Kino gesehen, das sehr luxuriös eingerichtet war, das kleine Tonstudio und verschiedene Einrichtungen wie etwa den kleinen Zoo. Es war etwas surreal für mich: Das ganze Gelände war wie ein riesiger Kinderspielplatz.

sueddeutsche.de: Im Spiegel haben Sie die Treffen mit Jackson als "seltsam" beschrieben.Warum?

Brandenburg: Wir haben in einer Art Wohnzimmer im Hauptgebäude auf ihn gewartet. Seltsam daran war vor allem der Kitsch überall. Es gab eine Bücherwand, in der jedes Buch mit Ornamenten verziert war, viele Statuen, Kerzenhalter mit Figuren drauf, einen sehr schweren, prunkvoll verzierten Schreibtisch. Es kam mir vor wie im Barockstil eingerichtet - aber eben ein Barockstil des 20. Jahrhunderts. Das Gespräch selbst war dann sehr überraschend. Nach all dem, was man damals gelesen hat, war ich auf allerlei Macken vorbereitet. Er hat aber auf mich wie ein ganz normaler, sehr interessierter Geschäftsmann gewirkt.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Brandenburg: Ich hatte das Gefühl, dass er mir sehr genau zuhört. Natürlich ist in jeder Sekunde mitgeschwungen, dass er der große Michael Jackson ist, der von uns ein Angebot bekommt - das war ja völlig verständlich. Aber er hat sich die Erklärungen über die Technologie genau angehört und hat uns dann auch eine Vermarktungsidee präsentiert: Er schlug uns vor, auf die Lautsprecher neben unserer Marke "Iosono" auch noch "by Michael Jackson" draufzuschreiben, dann wäre das für ihn noch ein Zusatzgeschäft.

sueddeutsche.de: Was macht diese Technologie so besonders?

Brandenburg: Jeder kennt herkömmliche Surround-Anlagen mit fünf Lautsprechern. Die haben für einen einzigen Punkt in der Mitte des Raumes das richtige Lautstärkeverhältnis - dort klingt es nach Surround. Sobald man sich wegbewegt, verschwindet aber dieser Effekt. Iosono hingegen versucht die Rekonstruktion eines natürlichen Schallfeldes. Alle 17 Zentimeter wird ein Lautsprecher installiert, sodass der komplette Raum von einem Ring aus Boxen umgeben ist. Im Anklang an die Holographie hat man das auch schon "Holophonie" genannt.

sueddeutsche.de: Ist das System heute - sechs Jahre später - anderswo im Einsatz?

Brandenburg: Die Münchner Bavaria-Filmstadt hat so eine Installation, die Bregenzer Seebühne ebenfalls. Es gibt auch ein ähnliches System am Hollywood Boulevard und in Disneyworld. Für Popkonzerte wäre das allerdings heute noch völlig neu.

sueddeutsche.de: Die geplante Michael-Jackson-Tournee wurde schließlich abgesagt.

Brandenburg: Ja. Wir haben nach dem zweiten Treffen noch in den USA in der Zeitung gelesen, dass es diese neuerlichen Kindesmissbrauch-Vorwürfe gab. Danach ist der Kontakt zunächst sehr spärlich geworden und dann komplett abgerissen. Damit war die Sache erledigt. Das System haben wir Jahre später zurückbekommen.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?

Brandenburg: Ich habe das noch in der Nacht gehört und war zunächst einmal geschockt. Natürlich denkt man viel darüber nach, wenn eine Person stirbt, die man persönlich gekannt hat, aber ansonsten war das kein besonders persönliches Ereignis für mich. Ich habe seine Lieder gerne gehört, aber ich glaube, ich habe nicht einmal eine CD von ihm. Auch die Feierlichkeiten zu seinem Tod habe ich mir nicht im Fernsehen angesehen - der ganze Rummel ist zwar verständlich, weil ein großer Künstler gestorben ist. Aber irgendwie ist das nichts für mich.

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