Wirkmacht von Nachrichtenbildern:Obama bin Laden ist tot?

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Während der meist gesuchte Terrorist der Welt erschossen wurde, entstand im Situation Room des Weißen Hauses ein bereits legendäres Foto. Doch die Leiche war unsichtbar. Was blieb waren Versprecher - und die ewige Frage nach der Glaubwürdigkeit von Nachrichtenbildern. Die stellte sich auch bei einer Tagung im Münchner Haus der Kunst.

Burcu Dogramaci

Das Misstrauen gegenüber der vermeintlichen Wahrheit fotografischer Bilder ist so alt wie die Fotografie selbst. Dennoch hat gerade die Fotografie als Nachrichtenübermittlerin eine ungeahnte Wirkmacht entwickeln können. Der Fotojournalismus revolutionierte, besonders früh und intensiv im Deutschland der Weimarer Republik, die Medienlandschaft; das Bild verdrängte den Text, wurde zur global dekodierbaren Lingua franca und führte zur Geburt von bildlastigen Magazinen wie die "Berliner Illustrierte Zeitung" oder "Life".

Ist diese Szene inszeniert, in Anlehnung an ein Gemälde von Rembrandt? (Foto: dpa)

Historische Ereignisse kondensierten fortan verstärkt in Fotografien, das Ereigniskontinuum ist oftmals in ein einziges Bild gebannt. Wie fragil die Glaubwürdigkeit von Bildern ist, zeigen die Debatten um manipulierte Fotografien im digitalen Zeitalter und Nachrichtenbilder, die uns das, was wir selbst nicht mit eigenen Augen sehen können, als Fakt übermitteln.

Eine zweitägige, prominent besetzte Tagung im Haus der Kunst in München umkreiste die Verflechtungen von Bild und Politik und bezog sich auf künstlerische Gegenbilder. Das Symposium mit auffallend vielen männlichen Sprechern war ein Auftakt für zwei Ausstellungen, die zeitgleich im Haus der Kunst und unter ihrem Leiter Okwui Enwezor eröffnet wurden.

Die Vorträge des ersten Tages zum Thema "Image Counter Image" diskutierten die Repräsentation gewalttätiger Konflikte und Kriege in den Medien. Im Fokus gleich mehrerer Redner stand Pete Souzas berühmtes Foto aus dem "Situation Room" des Weißen Hauses, Barack Obama und das nationale Sicherheitsteam der amerikanischen Regierung, während der Erschießung von Osama Bin Laden durch ein amerikanisches Kommando in der Nacht des 1. Mai 2011.

W. J. T. Mitchell (Chicago) verwies in seinem Eröffnungsvortrag auf das sorgfältige Arrangement der Gebärden und Körperhaltungen. Während die Geste der Außenministerin Hillary Clinton mit der Hand vor dem Mund die Erregung zeichenhaft ausdrückte, wirkt Obama als Oberbefehlshaber der Aktion im Hintergrund seltsam zusammengesunken. Grotesk ist dabei, wie Mitchell in seinem humorvollen wie intelligenten Vortrag exponierte, dass amerikanische Nachrichtensprecher an jenem Tag wiederholt verkündeten, soeben sei "Obama bin Laden" getötet worden.

Rembrandt im Situation Room

Auch der Kunsthistoriker Michael Diers (Berlin) sprach über den Situation Room und sah in einer gewagten, aber nicht uninteressanten ikonografischen Deutung Verweise auf Rembandts "Die Anatomie des Dr. Tulp" (1632) - nur dass die Leiche bin Ladens eben unsichtbar bleibe.

Die Weigerung der Regierung, den toten Terroristen zu zeigen, führt zur Frage der fehlenden Bilder, die besonders eindringlich im Werkvortrag des New Yorker Künstlers Alfredo Jaar reflektiert wurde. Jaar beschäftigt sich bereits seit 1994 kontinuierlich mit dem Völkermord in Ruanda. Ergreifend führte er vor, dass einflussreiche Medien wie Newsweek und Time trotz mehrerer hunderttausend Opfer eben nicht über die afrikanische Krisenregion berichteten. Erst nach mehreren Monaten des Mordens zeigten sie im August 1994 Bilder aus den überfüllten Flüchtlingslagern.

Die Nicht-Berichterstattung legitimierte ein vermeintliches Nicht-Wissen - wo kein Bild, da auch keine Nachricht. Jaar selbst fertigte in Ruanda viele tausend Fotografien von massakrierten Menschen, die unweigerlich zu der von Mieke Bal (Amsterdam) artikulierten Frage führen: "Is the artist a witness?"

Am zweiten Tag zu den "Geschichten im Konflikt" war die eigene Historie des Hauses, die ideologische Macht von Ausstellungen und Architekturen wie auch der Umgang mit diesem Erbe ein zentrales Thema der Vorträge. Benjamin Buchloh (Cambridge) brachte mit der Münchner Femeausstellung "Entartete Kunst" (1937) und der Pariser "Exposition Internationale du Surréalisme" (1938) zwei Schauen zusammen, die vermutlich mehr trennt als verbindet.

Dennoch waren seine Reflexionen über Möglichkeiten des Ausstellungsdesigns zur Involvierung des Rezipienten nicht ohne Reiz. Vor dem Hintergrund, dass der Pariser Exposition die Emigration vieler surrealistischer Künstler in die USA folgte, durfte man auf das Podium zu "Exile and the Return of the Avant-garde" gespannt sein. Doch leider boten sich keine neuen Erkenntnisse, der Stand der Exilforschung der letzten zehn Jahre wurde schlichtweg ignoriert.

Ums Exil ging es nur peripher: Karen Fiss (San Francisco) sprach über den Deutschen Pavillon auf der Pariser Weltausstellung 1937. Aus den Ausführungen von Walter Grasskamp (München) zur Documenta I ließ sich schließen, dass nur ein Bruchteil der nach 1933 vertriebenen Künstler überhaupt in dieser ersten großen Kunstausstellung des befreiten Deutschlands wahrgenommen wurde.

Wie problematisch und ungelöst der Umgang mit Architektur ist, die als politisches Instrument errichtet oder umgebaut wurde, verdeutlichte sich in zwei weiteren Podien. Als ehemaliger Leiter des Hauses der Kunst stellte Chris Dercon (London) noch einmal seine "kritische Rekonstruktion" vor, den Rückbau und die Sichtbarmachung der NS-Architektur. Dercons Bestreben, die Bäume vor dem Haus entfernen zu lassen (sie wurden in den 1950ern gepflanzt, um das ungeliebte NS-Denkmal zu verdecken), hatte keinen Erfolg.

Der radikale Vorschlag des Architekten Stefan Braunfels, das Gebäude in die Luft zu sprengen, wurde ebenfalls nicht umgesetzt. Die vom Auditorium artikulierte Kritik an der zeitgleich eröffnenden Ausstellung "Geschichten im Konflikt", sie banalisiere das Böse, zeigte einmal mehr, wie schwierig die Arbeit in einem Haus ist, das aus einem Gestus des Machtgebarens und der Zerstörungslust geboren wurde.

Hans Haacke, der zur Rückschau auf seine Arbeit für den Deutschen Pavillon auf der Biennale zu Venedig 1993 geladen war, fand damals eine aufsehenserregende Lösung. Er riss den Boden des Pavillons auf, schlug Wunden in den NS-Bau, der einst Repräsentant eines menschenverachtenden Staates gewesen war. Wie also heute verfahren? Um Alfredo Jaars Vortragstitel zu zitieren: "It is difficult."

© SZ vom 14.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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