"Wir beide" im Kino:Zu lang gewartet

Lesezeit: 2 min

Eine lesbische Liebe im Alter: Filippo Meneghettis "Wir beide" erzählt von zwei Frauen um die Siebzig, die sich ihrer Umgebung nie offenbart haben.

Von Annett Scheffel

Kümmert sich denn heutzutage wirklich noch jemand um zwei alte Lesben? Der Makler ist zwar erstaunt von dieser zornigen Frage, unangenehm zu sein scheint ihm aber vor allem, dass er unabsichtlich in den Streit eines Liebespaares geraten ist. Dieses Paar, das sind Nina und Madeleine, zärtlich Mado genannt. Zwei Frauen in ihren frühen Siebzigern, nicht mehr jung, aber immer noch voller Sehnsucht füreinander. Seit Jahrzehnten schon - das erfahren wir etwas später - führen sie eine Beziehung im Verborgenen.

Nach dem Tod von Mados Ehemann ist Nina aus Berlin zu ihr in die französische Kleinstadt gezogen, ins Appartement gegenüber. Hinter der Fassade guter Nachbarschaft leben sie ihr eingespieltes Leben, tanzen abends eng umschlungen zu einer Schnulze von Petula Clark und reden über ihre Pläne: die Appartements verkaufen und nach Rom ziehen, wo sie sich einst kennenlernten. Nur dass Mado sich nicht wie verabredet durchringen kann, ihren erwachsenen Kindern davon zu erzählen.

Deshalb der Streit vor dem Makler. Zu lange hat Nina gewartet. Zu lange hat sich die zaghafte Mado (Martine Chevallier) in die Rolle der Mutter, Ehefrau und schließlich Witwe gefügt. Die Last des mühsam aufrechterhaltenen Scheins wiegt schwer auf den beiden. Noch schwerer wiegt nur das Geheimnis, wie sich kurz darauf herausstellt. Denn als Mado einen Schlaganfall erleidet, gerät das gemeinsame Leben aus den Fugen und Nina (Barbara Sukowa) findet sich von einem Tag auf den anderen in einer Situation wieder, in der sie aus dem Alltag ihrer Geliebten ausgeschlossen ist, reduziert auf die Rolle der guten Nachbarin.

Fortan spielt "Deux / Wir beide", der erste Spielfilm des aus Padua stammenden Italieners Filippo Meneghetti, in zwei sehr unterschiedlichen Welten der beiden nebeneinanderliegenden Wohnungen: In der einen sitzt die kranke Mado, die ihre Sprache verloren hat und abhängig ist von anderen - eine Gefangene im eigenen Zuhause, vollgestellt mit den Erinnerungsstücken ihrer bürgerlichen Biografie, mit den Hochzeitsfotos und der alten Stehuhr ihres Mannes. Und auf der anderen Seite Nina, plötzlich ausgesperrt und zurückgeworfen auf ihre Alibi-Wohnung, in der nur ein paar provisorische Möbel stehen und erst mal der Kühlschrank eingeschaltet werden muss. Wie hinkommen zur Geliebten, in die andere Wohnung, in der das gemeinsame Leben stattfand, von dem niemand etwas ahnt, weder die Kinder noch die neue, etwas misstrauische Pflegerin?

Die Emotionen dieses mit der Wahrheit hadernden Paares sind wunderbar beobachtet

Zwischen diesen Welten liegt schmucklos und unter kaltem Deckenlicht der Etagenflur, in dem die Türen plötzlich geschlossen sind und nur noch der Blick durch den Spion bleibt. Als Sinnbild für die gekappte Verbindung wird er zugleich zu einem wichtigen Schauplatz der Handlung. Nicht alles in Meneghettis Debüt ist schon perfekt. Etwas unbeholfen sind etwa die Versuche, sein Drama zwischenzeitlich auch in andere Genres hineinzuführen (das Katz-und-Maus-Spiel mit der Pflegerin wird zur schwarzen Komödie, ein nächtlicher Einbruch zum Mini-Thriller). Über weite Teile konzentriert er sich aber auf seine Stärke: Die Emotionen dieses mit der Wahrheit hadernden lesbischen Paares sind wunderbar beobachtet.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Beherrscht wird die zweite Hälfte des Films aber vor allem von Barbara Sukowas nuancierter und angriffslustiger Darstellung der Nina. Wild entschlossen und mit immer fragwürdigeren Mitteln versucht sie, sich an die Seite von Mado zurückzumanövrieren - erst durch freundliches Zureden und heimliche Besuche, später durch Bestechung und wütende Konfrontation. Sukowa bekommt von Filippo Meneghetti ein seltenes Geschenk: die Rolle einer hitzigen, liebenden, vielseitigen Frau, die mehr ist als eine schrullige Alte. Oft wird Schauspielerinnen um die siebzig so eine Figur nicht angeboten. Und Sukowa ist großartig in dieser Rolle: einnehmend, ohne sich je in den Vordergrund zu spielen. Durch sie wird aus einem Film über ein spätes Coming-out das Porträt einer großen, alterslosen Sehnsucht.

Deux , F/LUX/B 2019 - Regie: Filippo Meneghetti. Buch: Meneghetti, Malysone Bovorasmy, Florence Vignon. Kamera: Aurélien Marra. Mit Barbara Sukowa, Martine Chevallier . Weltkino, 95 Min.

© SZ vom 06.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: