Winterfestival Berlinale:Sexy geht anders

63rd Berlin Film Festival  - Promised Land

Berlin am 8. Februar 2012: Die Berlinale macht's ihren Gästen nicht leicht.

(Foto: dpa)

Cannes und Venedig liegen bekanntermaßen im Süden, doch ausgerechnet die mitteleuropäische Berlinale findet im Winter statt. Daher ein Vorschlag zur Güte: Wie es uns allen besser gehen würde.

Von Paul Katzenberger, Berlin

Wenn es etwas in Berlin gibt, das uneingeschränkt als super bezeichnet werden kann, dann ist das der Sommer. Bei dem schon leicht kontinental modulierten Klima ist er überaus stabil und heiß, die Tage sind nordisch lang, das Leben spielt sich hingegen südländisch vor der Tür ab, wie es sich für eine Kommune gehört, in der so viele Türken leben, dass sie eine eigene Großtstadt aufmachen könnten.

Wenn es in Berlin etwas gibt, das mit Fug und Recht als hundsmiserabel bezeichnet werden kann, dann ist das der Winter. Die in der kalten Jahreszeit nordisch kurzen Tage werden von der ständigen Inversionswetterlage ihres wenigen Tageslichts beraubt. Und da permanentes Grau-in-Grau beim Menschen bekanntlich zu Mangelerscheinungen des Lebenselixiers Licht führt, wirken die Hauptstädter spätestens im Januar angegriffen. Zumindest scheinen sie sich nach Berchtesgaden zu wünschen, wo es ja tatsächlich noch so etwas wie ein Wintermärchen gibt, oder in die oberrheinische Tiefebene, in der der Winter regelmäßig ausfällt. Oder wie ließe sich sonst der Zedernbestand auf der Insel Mainau erklären?

Dies vorausgeschickt, wird klar: Es gibt keinen schlechteren Zeitpunkt für die Berlinale als den Februar, aber genau in diesem garstig-grauen Monat findet Deutschlands größtes Filmfestival nun schon seit 35 Jahren statt. Für die aktuellen Rahmenbedingungen bedeutet das: Zum Auftakt von Deutschlands größtem Filmfest herrschten Temperaturen um den Gefrierpunkt, für die nächsten Tage soll sich da wenig ändern, nur der steife Westwind soll noch etwas böiger werden.

Den ausländischen Festivalbesuchern präsentiert sich Deutschland also genau so, wie es dem Klischee entspricht: kalt und unwirtlich, obwohl die Hauptstadt ja trotzdem "arm aber sexy" sein soll. Doch das ändert nichts daran, dass die Gäste aus aller Welt das Wetter allem Anschein nach als ungastlich empfinden: Die dick eingepackten Cineasten aus aller Welt, die sich aus dem zugigen U-Bahnhof "Potsdamer Platz" zu den Festivalkinos durchkämpfen, wirken gestresst. Während der kalte Wind scharf über die Brache der Gabriele-Targit-Promenade pfeift, hasten sie von hinten über die Alte Potsdamer Straße zu den Festivalkinos. Für die Leichtigkeit, die die Hauptstadt am Wegesrand demonstrieren will, etwa mit der Robert- Rauschenberg-Skulptur "Riding Bikes", haben sie hingegen keinen Blick - es ist schlicht zu ungemütlich für Muße.

Muss das sein? Schließlich ist die Berlinale von ihrer Herkunft her ein Sommerfestival - bis 1977 war der lauschige Juni für sie reserviert; Berlin konnte seine erwähnten Stärken ausspielen. Doch das war schlecht fürs Geschäft, denn die noch altehrwürdigeren Filmfestspiele von Cannes finden im Wonnemonat Mai statt. Da war es im Juni natürlich schwierig, weltbeste Filmemacher ins Programm zu bekommen, wenn die ihre neuesten Filme notorisch am liebsten an der Croisette vorstellen.

Win-win-Situation für Cannes und Berlin

Aber wäre es nicht eine Win-Win-Situation für sowohl Cannes als auch Berlin, die Plätze im Kalender einfach zu tauschen? Denn wintergeschädigte Kinofans würden im Februar aus nördlichen Breiten womöglich noch lieber an die Côte d'Azur reisen als im Mai - neben dem Filmgenuss böte sich schließlich auch eine zehntägige Verkürzung der unwirtlichen Jahreszeit.

Aber halt, das geht ja nicht! Neben dem Nachteil, sich stets im schwächsten Moment präsentieren zu müssen, weist Berlin ja noch ein Manko gegenüber Cannes auf: Die Oscar-Verleihung findet kurz nach der Berlinale statt, was stets dazu führt, dass jene Aspiranten die Berlinale meiden, die auf den Academy Award schielen. Schließlich werden spätere Oscar-Gewinner im fernen Hollywood höchstens dann wahrgenommen, wenn sie ihre Weltpremiere weit vor den Oscars platziert hatten. Die mehr als 6000 Akademie-Mitglieder brauchen schließlich Zeit, um sich eine Meinung zu bilden. Zwei Wochen reichen da nicht aus.

Um der Rochade zuzustimmen, bräuchte Cannes also das Zugeständnis der Academy of Motion Picture Arts and Sciences, dass die Oscars gemeinsam mit der Berlinale in den Juni umziehen. Das zu erwirken, sollte für Berlin aber kein Problem sein. Zwar ist Hollywood ganz und gar nicht Sundance. Doch über allem steht in Amerika die Nation. Und die liebt bekanntermaßen Superlative. Die Amerikaner wären also sicher einverstanden, wenn ihr Sundance-Festival, das im Januar ausgerichtet wird, zum weltweit wichtigsten Filmfestival des Winters aufsteigen würde.

Leider wird diese Ehre - zumindest vorläufig - immer noch Berlin zuteil. Ich ziehe mich jetzt mal warm an und fahre zum Potsdamer Platz.

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