Wim Wenders im Interview:"Wer hätte gedacht, dass sich das Kino selbst verabschiedet"

Regisseur Wim Wenders spricht im Interview über die deutsche TV-Kultur, Filmpreise, digitale Kanäle und 'Das Leben der Anderen'.

Christopher Keil

SZ: Herr Wenders, Kinowelt TV, ein digitaler Sender der Kinowelt-Gruppe, hat eine Reihe aufgestellt mit Filmen ehemaliger Mitglieder des Filmverlags der Autoren. Damit kommt etwas ins kommerzielle Fernsehen, was dort doch ursprünglich nie hin wollte?

Wim Wenders über Medien

"Die Akademie muss noch lernen, differenzierter draufzugucken."

(Foto: Foto: dpa)

Wim Wenders: Ursprünglich in der Tat nicht, aber das ist lange her. Tatsächlich war das Fernsehen in unserer Anfangszeit, zu Beginn der siebziger Jahre, fast so was wie der Feind.

SZ: Aber dann haben alle umgedacht?

Wenders: Als das Film-Fernsehen-Koproduktionsabkommen in Kraft getreten ist, konnten wir ja gar nicht mehr anders, als mit dem Fernsehen zu produzieren. Und die Öffentlich-Rechtlichen waren damals sehr wagemutig, geradezu verwegen. Später kamen die privaten Kanäle hinzu, aber die waren eher ungeeignet, unsere Filme zu zeigen - das ist inzwischen auch nicht mehr so. Und schließlich kam eine Zeit, in der der Deutsche Film im Fernsehen so gut wie nicht mehr stattfand. Das Fernsehen machte sein eigenes Zeugs: Serien, Talkshows, Games, alles Mögliche. Ich weiß nicht, wann ich letztmals einen meiner Filme im deutschen Fernsehen gesehen habe.

SZ: Paris, Texas läuft doch immer wieder, neulich auch mal der Amerikanische Freund mit Bruno Ganz.

Wenders: Die sind ja auch noch vom WDR mitfinanziert worden. Im Übrigen: Wer hätte gedacht, dass sich das Kino selbst verabschiedet - indem es seine Programmkinos begräbt?

SZ: Dafür gibt es jetzt TV-Spartenkanäle. Sind das nicht Programmkinos am anderen Ort mit anderer Technik?

Wenders: Durchaus. Man könnte auch sagen, dass das Programmkino heute das ist, was jeder sich selbst zusammenstellt mit seinen DVDs und all dem Extramaterial, was es da gibt. Ich finde es gut, wenn dieses fehlende Programmkinoangebot in Deutschland jetzt über ein Nischenprogramm wie KinoweltTV kommt. In Frankreich läuft jeder Kinofilm beim Pay-TV-Sender Canal plus. Da gibt's kaum eine Produktion, die nicht von Canal plus mitfinanziert worden ist.

SZ: Die ARD ist schwer eingestiegen bei Bernd Eichingers Der Untergang, mit drei bis fünf Millionen Euro.

Wenders: Klar. Aber heute einen Fernsehredakteur von der Kinoqualität eines Drehbuchs zu überzeugen, das ist kaum noch möglich.

SZ: Welche Argumente kommen da?

Wenders: Nicht die fürs Kino.

SZ: Zählt nur die Zielgruppe?

Wenders: Als ich meine ersten Filme mit dem WDR machte, mit Doktor Rohrbach (Günter Rohrbach, einst Fernsehspielchef des WDR; die Red.), nein, war das überhaupt nicht der Fall. Die wussten, dass ein guter Kinofilm gut für ihr Programm ist - also haben sie dafür gesorgt, dass es ein guter Kinofilm wurde. Die Redakteure, im meinem Fall Joachim von Mengershausen, hatten einen großen Entscheidungsspielraum. Oder ich habe mit dem ZDF den Film Im Lauf der Zeit gemacht, und dafür nicht mehr eingereicht als eine Seite Treatment.

SZ: Was stand auf dieser Seite?

Wenders: Unsere Reiseroute. Und die erste Szene, in der sich zwei Typen treffen: Der eine fährt in die Elbe, der andere steht da und rasiert sich. Das müsste man heute mal versuchen! Eine einzige Seite. Die würden einen für verrückt erklären.

SZ: Wie viele Ihrer Filme liegen noch im Filmverlag der Autoren, den die Kinowelt aufgekauft hat?

Wenders: Ich bin wie die meisten anderen Autoren aus dem Filmverlag rausgegangen, Ende der achtziger Jahre, und habe alle meine Filme mitgenommen.

SZ: Musste diese Selbsthilfegruppe am Kapitalismus scheitern?

Wenders: Viele gute Ideen von kooperativen Organisationen sind früher oder später gescheitert, wenn sie sich in der Geschäftswelt, im kapitalistischen Realismus behaupten mussten. Solange unsere Firma kein Geld verdiente, gab es keine Probleme. Die kamen erst mit dem Erfolg.

SZ: 1977 kam Rudolf Augstein, der Spiegel-Gründer, und beteiligte sich.

Wenders: Der Filmverlag der Autoren war von seiner Gründung an chronisch unterfinanziert. Erst als sich Augstein beteiligte, kam zum ersten Mal Kapital.

SZ: Warum sind Wenders-Filme Teil der Kinowelt-Reihe, obwohl Sie mit dem Filmverlag der Autoren nicht mehr viel zu tun haben?

"Wer hätte gedacht, dass sich das Kino selbst verabschiedet"

Wenders: Alle meine Filme werden als DVDs durch die Kinowelt vertrieben. Natürlich bin ich über die gemeinsame Geschichte ideell mit dem Filmverlag verbunden. Dass Kinowelt jetzt diese Reihe anbietet, finde ich deswegen so gut, weil es lange Zeit praktisch nicht mehr möglich war, Retrospektiven im Kino zu zeigen. Erst jetzt entsteht das wieder mit der Neuen Vision als Verleih.

SZ: Das deutsche Kino scheint sich neu zu definieren. Das Leben der Anderen, Erstling des 32-jährigen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck, gewann beim Deutschen Filmpreis nahezu alles. Man spricht von einer neuen Generation, die in internationaler Regiesprache deutsche Themen aufgreife.

Wenders: Interessant daran ist, dass in dem Augenblick, in dem die Deutsche Filmakademie als eigenständige Organisation gegründet wurde und keine Jury, sondern die Mitglieder selber - die Filmschaffenden- abgestimmt haben, sofort das Phänomen der amerikanischen Academy zum Zuge kam, dass nämlich en bloc abgestimmt wird.

SZ: Dass also ein Film, der herausragt, auch der große Sieger des Jahres wird?

Wenders: Genau. Ich bedauere es ein bisschen, dass dabei die Differenzierung verloren geht, die vorher eher da war. Schon im Jahr voher war Der Untergang komplett leer ausgegangen! Da sind alle Preise an einen kleinen, sehr guten Fernsehfilm gegangen: Alles auf Zucker von Dani Levy. Der war zunächst als Fernsehproduktion geplant, bis man merkte, das ist was fürs Kino.

SZ: Früher wurden Jury-Preise, die nach dem Gießkannenprinzip vergeben werden, stark kritisiert.

Wenders: Die Akademie ist wirklich unabhängig, da stimmen Menschen ab. Man kann denen nicht sagen, was sie wählen sollen. Doch die paar anderen Filme, die in Einzelkategorien Aufmerksamkeit verdient hätten, gehen leider unter. Dazu zähle ich zum Beispiel meinen Film Don't Come Knocking. Ich finde nicht, dass irgendein anderer Film den Preis für die Beste Kamera verdient hätte, weil niemand im vorigen Jahr so eine Arbeit vorgelegt hat wie der Franz Lustig eben mit Don't Come Knocking. Er hat ja auch den Europäischen Filmpreis dafür gewonnen. Die Akademie muss noch lernen, differenzierter draufzugucken.

SZ: Dem Untergang wurde möglicherweise die enorme Marketingkraft von Bernd Eichingers Constantin Film sowie der kommerzielle Erfolg zum Verhängnis. Preisverleihungen wollen gerne die deutschen Arthouse-Produktionen als künstlerisch wertvoll belohnen.

Wenders: Genau, und das ist ein bisschen paradox. Denn auf der anderen Seite wollen sie auch, dass die Filme erfolgreich sind und was gelten in der Welt. Eines muss man allerdings sehen: Die Akademie ist fernsehlastig - ästhetisch, dramaturgisch, in der Bildsprache, bei der Schauspielerei. Das Kino ist das Stiefkind des Fernsehens in Deutschland.

SZ: Die Sender, vor allem die öffentlich-rechtlichen, fühlen sich als der wichtigste Koproduzent des Kinofilms.

Wenders: Deswegen mochte ich zum Beispiel Requiem, den Film von Hans Christian Schmid, so gerne. Der hat sich nicht an die Fernsehästhetik gehalten, sondern ans Kino gedacht, zumindest von seiner Bildsprache her.

SZ: Hat Sie Das Leben der Anderen, die präzise, beklemmende Geschichte eines Stasioffiziers und eines Schriftstellers, den er überwacht, nicht überzeugt?

Wenders: Ich finde den Film sympathisch und war froh, dass es den gab. Ich war aber auch ein bisschen überrascht, wie der abgeräumt hat. Ich fand, dass er das im Nachhinein nicht ganz halten konnte. Er hat einen unglaublichen Bonus durch die Berlinale bekommen, dadurch, dass er dort nicht lief. Das hat ihn in den Augen vieler Leute zum Underdog gemacht, und das ist immer gut.

SZ: Wurde das Thema Stasi nicht sehr gut umgesetzt?

Wenders: Wenn man so will, klar. Aber keineswegs erschöpfend. Traurig bin ich ein bisschen darüber, dass das nun als der ultimative Film zu diesem Thema behandelt wird. Als ob es jetzt nichts mehr zu erzählen gäbe über die DDR. Das gleiche Gefühl hatte man nach dem Untergang: Damit war das Dritte Reich für lange Zeit abgegessen. Volker Schlöndorff hat das schmerzlich erfahren, seinen guten und wichtigen Neunten Tag wollte keiner mehr sehen. Das Leben der Anderen hätte ein Jahr früher, ein Jahr später herauskommen können, und keiner hätte ihn bemerkt. Er hat gerade einen Nerv getroffen.

SZ: Würde es Sie nicht reizen, mit den Möglichkeiten, die das Fernsehen zu bieten hat - solide Finanzierung, guter Sendeplatz, Millionenpublikum - einen Film fürs Fernsehen zu drehen?

Wenders: Ich habe oft darüber nachgedacht, in den Achtzigern oder Neunzigern. Aber letztlich ist das nicht mein Beruf. Solange ich etwas machen kann, das zuerst im Kino läuft, bleibe ich dabei.

SZ: Sie sind seit eineinhalb Jahren wieder in Deutschland, in Berlin: Wird Ihr nächstes Projekt ein deutscher Film?

Wenders: Ja, und weil ich seit zehn Jahren in Amerika lebe und Deutschland weniger kenne als Montana oder Nevada, reise ich im Moment viel rum. Da gibt es noch einige weiße Landstriche auf meiner eigenen Deutschlandkarte.

SZ: Welchen Stoff bereiten Sie vor?

Wenders: Bei mir ist es so, dass sich erst etwas kreuzen muss zwischen einem Ort oder einer Landschaft und einer Idee. Seit einiger Zeit schreibt der Peter Handke eine Geschichte für mich, oder mit mir. Wir haben über die Jahre ja ein paar mal gut miteinander gearbeitet, und an dieser Kontinuität und an unserer Freundschaft liegt mir sehr, sehr viel.

SZ: Wird das Ihr nächster Film?

Wenders: Vielleicht. Aber wer weiß, manchmal kommt auch ein Dokumentarfilm schneller, als man denkt. Buena Vista Social Club ist von einer Woche auf die andere entstanden. Aber auf jeden Fall möchte ich in Deutschland drehen! Und dann habe ich mit dem Peter Schwartzkopff (Wenders' Partner in der Produktionsfirma Reverse Angle; die Red.) ein Faust-Projekt - aber das wird sicher seine Zeit brauchen.

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