Zum Tod des Fotografen William Klein:Der professionelle Amateur

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William Klein (1928-2022) (Foto: Zhong Weixing/AP)

Er sagte immer ja: William Klein, der Fotograf, Filmemacher und Chronist des 20. Jahrhunderts, ist gestorben.

Von Till Briegleb

Wer als Künstler etwas Besonderes erreichen möchte, hält sich am Besten an die Lebensregel von William Klein: "Ich fühlte mich immer frei zu tun, was ich wollte, und hatte nie das Gefühl, etwas Revolutionäres zu machen." Mit dieser Einstellung hat Klein der Fotografie einen Realismusschub verpasst, der ihm den Titel "Godfather of Street Photography" einbrachte. Er kümmerte sich nicht um Konventionen, als er nach dem Krieg mit dem Fotografieren begann, deswegen sahen seine Fotos nicht aus wie die Kompositionen deutscher oder französischer Bildästheten. "Ich habe keinen Bezug zur europäischen Fotografie", sagte der seit 1948 in Paris lebende Bildrevolutionär einmal: "Sie ist mir zu poetisch und anekdotisch."

Kleins Schnappschüsse von Alltagsszenen waren dagegen zudringlich, originell bis zur Albernheit, manchmal verwischt, verwackelt oder merkwürdig beschnitten. Vor allem aber waren sie ganz nah dran am Mensch. "Ich bin fasziniert von Gesichtern", sagte Klein, "deswegen zog es mich immer in die Masse." Er fotografierte Schwarze in New York, als die USA noch ein Apartheitsstaat war, Models im Straßengewühl Roms, während die Modefotografie als Studioinszenierung künstlicher Posen entstand, und er porträtierte mitten im Kalten Krieg das Alltagsleben in Moskau als Symphonie einer gut gelaunten Großstadt.

Gutgelauntes Alltagsleben in Moskau, und das mitten im Kalten Krieg: "Bikini, Moskva (River), Moscow" (1959). (Foto: © William Klein, Courtesy Howard Greenberg Gallery/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Klein wurde 1926 in New York als Sohn orthodoxer Juden geboren, kam als GI 1947 nach Europa, verliebte sich in "die schönste Frau von Paris" und blieb dort. In der Hauptstadt der Kunst versuchte er zunächst Maler zu werden - Fernand Léger war sein Lehrer -, gewann dann beim Pokern eine Leica und wurde Fotograf. Er folgte einer Einladung zurück nach New York, um für die dortige Ausgabe der Vogue zu arbeiten und flanierte viel in der Stadt herum, allerdings lieber in Harlem und der Bronx als auf der Fifth Avenue. Die Fotos spielender Kinder vor Hausruinen oder mit Waffen in der Hand, von Trubel in armen Straßen und unscharfen Gesichtern in maximaler Distanzlosigkeit wollte in New York allerdings niemand drucken. Da sehe die Stadt ja aus wie eine Slum, sagten die Verleger. Also erschien das Buch in Paris.

"Eine Fotografie zu machen bedeutet für mich, eine Anti-Fotografie zu machen."

Dort wurde "New York" zum Sensationserfolg und Auftakt einer ganzen Reihe von Stadtporträts, bei denen die Sehenswürdigkeiten die Menschen sind. Es sind speziell diese Bände mit ihren Aufnahmen ungeschönten Straßenlebens, die Kleins Einfluss auf spätere Generationen begründeten. Die Nahsicht auf das Unspektakuläre, das sich in seiner Auswahl als das Wesentliche des Menschseins entpuppt, prägte den Blick unzähliger Kollegen und gab ihnen den Mut, selbst Konventionen zu ignorieren.

Kleins Schnappschüsse von Alltagsszenen waren oft verwischt, verwackelt oder merkwürdig beschnitten: So auch "Moves and Pepsi, Harlem, New York" (1955). (Foto: © William Klein, Courtesy Howard Greenberg Gallery/VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Doch der sich so frei fühlende Fotograf bewahrte sich seine Freiheit auch im Wechsel des Sujets. Klein fotografierte Prominente wie Muhammad Ali, Serge Gainsbourg oder Elizabeth Taylor, dokumentierte die Demonstrationen 1968 in Paris und drehte nach eigenen Drehbüchern Kinofilme, etwa die anti-imperialistische Komödie "Mr. Freedom" über einen durchgedrehten Superhelden, der Frankreich vor dem Kommunismus erretten möchte. Dabei lehnte Klein es kategorisch ab, als Profi bezeichnet zu werden. "Ich habe immer das Amateurhafte der Fotografie geliebt", sagte er über seine Methode: "automatisches Knipsen, zufällige Fotos mit unzentrierten Kompositionen, abgeschnittene Köpfe." Gefragt nach seinem Ziel, antwortete er: "Eine Fotografie zu machen bedeutet für mich, eine Anti-Fotografie zu machen."

Kleins überwiegend in Schwarz-Weiß gehaltene Bildererzählungen waren gerade in einer großen Retrospektive in New York zu sehen. Sie trug den Titel "Yes", weil Klein immer zu allen Vorschlägen "Ja" gesagt hat. Zwei Tage vor dem Ende seiner großen Lebensbilanz in New York ist William Klein mit 96 Jahren in seiner Wahlheimat Paris gestorben. Offensichtlich war er so frei, dass er auch zum Tod "Yes" sagen konnte.

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