Willem Dafoe auf der Berlinale:Hausmeister geschundener Seelen

Willem Dafoe auf der Berlinale: Willem Dafoe zeigt stolz seinen goldenen Ehrenbären.

Willem Dafoe zeigt stolz seinen goldenen Ehrenbären.

(Foto: AP)

Der US-Schauspieler schafft es, selbst den schaurigsten Film-Bösewichten noch einen Funken Menschlichkeit abzuringen. Kein Wunder, dass die Berlinale Willem Dafoe einen goldenen Ehrenbären verleiht.

Von Anke Sterneborg, Berlin

Er hat eines der markantesten Gesichter Hollywoods, wie von einem expressionistischen Bildhauer gemeißelt, aber nicht in Stein, sondern in einem auf magische Weise wandelbarem Material. Ein Gesicht, in dem alles ausgeprägt ist: die hohen Wangenknochen, die tief liegenden, blitzend blauen Augen, der breite Mund, der sich zu einem noch breiteren Lachen öffnet und die Lücke in einer ziemlich massiven Zahnreihe freigibt, dazu noch ein leicht vorgeschobener Unterkiefer, ein markiges Kinn und eine kantige Nase mit geblähten Flügeln.

Mit den Jahren sind noch einige, sehr tiefe Falten dazugekommen, Demarkationslinien in der Seelenlandschaft dieser aparten Physiognomie. Ein Gesicht, wie geschaffen für die schillernden Bösewichte des Kinos, in den frühen Rockerfilmen von Kathryn Bigelow und Walter Hill, "The Loveless" und "Streets of Fire", in denen der bleiche Alabasterteint einen harten Kontrast zur schwarzen Ledermontur bildete und ihm eine außerweltlich androgyne Aura verlieh.

In Comicverfilmungen wie "Spiderman", wo er den Green Goblin verkörperte, oder demnächst in "Aquaman" als Nuidis Vulko. Als abgründiger Vampirdarsteller in "Shadow of a Vampire", oder mit schwarz gefärbten und nach hinten gegelten Haaren und schmalem Oberlippenbärtchen als schmieriger Gangster Bobby Peru, der mit einem fiesen Lachen eine Reihe fauliger Zähne bleckt in "Wild at Heart" - ein Titel, der auch schon eine von vielen Beschreibungen dieses Ausnahme-Schauspielers ist, den die Berlinale mit einer Hommage ehrt und mit dem goldenen Ehrenbären ausgezeichnet hat.

Selbst den schaurigsten Bösewichten ringt Dafoe noch einen Funken Menschlichkeit ab

Eigentlich kein Gesicht, das hinter den Rollen verschwindet, sollte man meinen. Dass es Willem Dafoe trotzdem immer wieder gelingt, mit den unterschiedlichsten Figuren zu verschmelzen, hat mit der Mischung aus Demut und Abenteuerlust zu tun, mit der er an die Schauspielarbeit herangeht. Nehmen wir Bobby Hicks, den Hausmeister der geschundenen Seelen in einem schäbigen Motel in Sean Bakers "The Florida Project". So wie er da in verwaschenem T-Shirt und Arbeiter-Jeans mit Handwerkzeug am Gürtel übers Gelände der Motelanlage Magic Castle streift, nimmt man dem Hollywoodstar den einfachen Arbeiter sofort ab. Zugleich ist er aber auch das dramaturgische Gerüst für einen Film, der ergreifende Wahrhaftigkeit und entwaffnenden Charme aus den Lebensgeschichten bezieht, die Laiendarsteller und kleine Kinder mitbringen.

Sozialisiert in der kreativen "Hexenküche"

In doppeltem Sinne ist er hier die ordnende Kraft: als Hausmeister, der die Motelanlage in Schuss hält und das Lebenschaos der Bewohner verwaltet, aber auch als einziger Vollblutschauspieler in einer Geschichte, die schwindelerregend nah an der Wirklichkeit manövriert. Das ist es wohl, was Wim Wenders meinte, als er seine Ehrenbären-Laudatio an dem Attribut kind aufzog, an dieser inneren Güte und Liebenswürdigkeit, einem Humanismus, mit dem Dafoe auch den schaurigsten Bösewichten noch einen Funken Menschlichkeit abringt. Eigentlich habe er ja nicht viel übrig für Bösewichte im Kino, bekundete Wim Wenders, sie würden ihn schnell langweilen. Aber wenn Willem Dafoe sie spiele, dann sei das etwas ganz anderes. So wurde er in Wenders' Film "In weiter Ferne, so nah" als Emit Flesti zur personifizierten Zeit, zum Antagonisten der Engelschar.

Dass sich Willem Dafoe in "The Florida Project" mit derart uneitler Selbstverständlichkeit ins quirlige Chaos der Laiendarsteller einreiht, könnte damit zu tun haben, dass er schon als Teamplayer zur Welt gekommen ist, am 22. Juli 1955 in der Kleinstadt Appleton in Wisconsin als zweitjüngstes von acht Kindern. Dazu kam dann in Teenagerzeiten die schauspielerische Sozialisierung auf kleinen Theaterbühnen, die ihn schon mit 20 nach New York führte, wo er zusammen mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Elizabeth LeCompte die experimentelle Wooster Group gründete, die Dafoe als kreative "Hexenküche" beschreibt. Aus diesen Zeiten rührt auch sein sehr physischer, bisweilen geradezu tänzerischer Schauspielansatz. Der erste Film sollte dann eigentlich Michael Ciminos "Heaven's Gate" werden, doch der angespannte Regisseur war durch ein vorwitziges Lachen aus den hinteren Reihen so irritiert, dass er den Schauspieler kurzerhand feuerte, geblieben sind nur ein paar kleine Szenen im fernen Hintergrund.

Man spürt, dass ihn die vielen Standing Ovations ein wenig beschämen

In den Jahren danach hat Dafoe in Amerika und Europa zusammen mit vielen der wichtigsten Autorenfilmer - Oliver Stone, Paul Schrader, Martin Scorsese, David Cronenberg und David Lynch, Wim Wenders und Lars von Trier - alle Facetten des Guten und Bösen, Menschlichen und Übermenschlichen, Irdischen und Überirdischen ausgelotet. Dabei pflanzte er jeder seiner Figuren innere Widersprüche ein. Selbst eine Lichtgestalt wie Jesus hat bei ihm noch ein paar dunkle Schattierungen.

So wurde er der einzige Schauspieler, der mit der Darstellung eines Vampirs eine Oscar-Nominierung holte; und Wim Wenders erinnert daran, dass er auch der einzige ist, der Christus und Antichrist gespielt hat, "und jede menschliche Schattierung dazwischen". So sehr Willem Dafoe als Darsteller im Ensemble aufgeht, so sehr sind seine Figuren von der Aura des Loners umweht, von einer in sich ruhenden Selbstgenügsamkeit, die niemandem etwas beweisen muss. Fühlung nimmt er nicht nur mit den Menschen auf, sondern auch mit seiner Umgebung, ob das eine White-trash- Motelanlage in "The Florida Project" ist, oder die tasmanischen Wälder, in denen er auf der Jagd nach dem letzten Exemplar des legendären tasmanischen Teufels selbst zur Raubkatze wird. Er ist dabei im Einklang mit der Natur und im Widerspruch zu den Menschen, von deren Auftrag er sich immer stärker entfremdet - in "The Hunter", dem Film, den er sich bei der Ehrenbären-Verleihung gewünscht hat.

Was für ein Mensch Willem Dafoe ist, erschließt sich schon aus der Art, wie er am roten Teppich mit freundlicher Zugewandtheit und großer Effizienz so viele Autogramme wie möglich gibt. Man spürt, wie sehr er sich über die hohe Auszeichnung auf diesem Festival freut, wie ihn die zahllosen Standing Ovations aber auch ein wenig beschämen. Und am Ende versichert er sich vor dem Abtreten bei den Fotografen, dass sie haben, was sie für ihre Arbeit brauchen. Dazu passt es recht gut, dass er seine Oscar-Nominierungen bisher immer als Nebendarsteller geholt hat. Nach "Platoon" und "Shadow of a Vampire" stehen die Chancen gut, dass er am 4. März mit "The Florida Project" den Oscar endlich auch gewinnt.

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