Süddeutsche Zeitung

Pionier der Graphic Novel: Will Eisner:Feuertreppe des Lebens

Ein opulenter Band versammelt das Werk des genialen Comic-Künstlers Will Eisner und erinnert an seinen bescheidenen Superhelden "Spirit".

Von Fritz Göttler

Die Geschichte der Brüder Herbie und Marty Gritt hat etwas Tragisches, zwei Boxer, die nach vielen Jahren und mancher Manipulation gegeneinander im Ring stehen, der eine überlebt nicht. Ein düsteres Großstadtmelodrama, komprimiert auf sieben Comic-Seiten, New Yorker Noir. Eine Folge aus der Serie um Will Eisners Superhelden "The Spirit", aber der greift, wie es sich für einen heldenhaften semi-deus ex machina gehört, an keinem Punkt ins Geschehen ein.

Die kleine Boxer-Story ist komplett abgedruckt im großartigen Buch, das Alexander Braun dem Comic-Genie Will Eisner (1917 - 2005) widmet - ähnliche Superbände hatte er bereits über Winsor McCay und seinen Little Nemo in Slumberland und über George Herriman und Krazy Kat herausgebracht. Eisner schuf den Spirit 1940, in der großen Zeit der Superhelden, aber ohne die gewohnte Ausstattung, Strumpfhose und Cape, nur eine kleine Augenmaske erinnert an die Heldenkollegen von Marvel und DC, Captain America oder Superman. Und auch der ambitionierte Aufschwung fehlt - in jedem einzelnen Bild macht Will Eisner den kleinbürgerlichen, ja proletarischen Untergrund seiner Geschichten spürbar.

Die Gritt-Geschichte erschien in amerikanischen Sonntagsbeilagen, zum ersten Mal in der Ausgabe vom 3. Dezember 1950. Da waren die Höhenflüge der Superhelden, befeuert von Depressionszeit und Faschismus in Europa, längst vorüber. Die Geschichte war ein Teil des "Fun Book", der wöchentlichen Comicbeilage, die "Action, Mystery, Adventure" versprach. (Nur bedingt bei Will Eisner.) Mit der wöchentlichen Produktion solcher Fun Books hatte Eisner 1936 seine Laufbahn begonnen, am Ende seiner Teenagerjahre. Er gründete mit seinem Freund Jerry Iger eine Firma, die Woche für Woche diverse amerikanische Zeitungen belieferte, ein Wahnwitz an Produktivität. Die Arbeit war strikt spezialisiert, Seiten, die gerade in Arbeit waren, wurden zwischen den Kollegen hin- und hergereicht zum Zeichnen und Kolorieren, Tuschen und Texten, das schuf Freiraum, wie im Hollywood-Studiosystem. Und Will Eisner nutzte sie für atemberaubende Extravaganzen, man kann sich nicht sattsehen an der Choreografie seiner Spirit-Titelseiten, in denen die Schrift Teil der Action wird. Und Hitler kühn mit Machiavelli konfrontiert wird.

Eisner liebt den Blick von oben auf die Gesellschaft in ihrer Diversität

Die Auftraggeber dagegen waren not amused über Eisners wildes Experimentieren, das die Kadragen der Bilder sprengt, die Gesetze des Genres infrage stellt und die der Gesellschaft, die es abbildet. 1952 war dann erstmal Schluss mit dem Spirit. Will Eisner aber hatte sich durch ungewöhnliche Verträge abgesichert, hatte die Rechte an seiner Figur behalten und die Druckplatten der Comics. Als er 1942 zum Militärdienst eingezogen wurde, mussten die Mitarbeiter ohne ihn den Spirit am Leben erhalten. Eisner wurde abkommandiert, militärische Bedienungsanleitungen in Comicform zu gestalten. Das ging in Bildern effektiver, mit dem schusseligen Joe Dope, über den man nur fassungslos sein kann, und immer in Limericks. Solche pragmatischen Comics machte Eisner dann, bis Anfang der Siebziger, fern der Comicwelt.

Die Comics waren nach dem Krieg zum Jugendmedium mutiert und unter Generalverdacht geraten, die Jungen zu verderben. Die Branche zensierte sich eilfertig selber, keine Gewalt, keine Spur von Sex. Den brachte dafür die Underground-Comicproduktion ins Spiel, demonstrativ schmutzig und subversiv. Das Medium gewann Selbstbewusstsein, die ersten Comic Conventions wurden organisiert. Will Eisner ging in die andere Richtung mit "A Contract with God" von 1978, der allerersten graphic novel. Er scheute keine Mühe, das mehrhundertseitige Buch als Roman zu deklarieren, brachte es nicht in einem Comic-Verlag heraus, sondern im kleinen Buchverlag Baronet. Die Misere des Frimme Hersh, eines orthodoxen Juden in New York, eine traurige, von Regenschauern geschüttelte Existenz.

Viele der großen Comic-Autoren der Dreißiger, gerade auch jene, die die legendären Superhelden schufen, kamen aus jüdischen Familien, aber keiner hat diese Herkunft so in den Mittelpunkt seines Erzählens gestellt wie Will Eisner. In den späten Jahren, in zahlreichen graphic novels, wurden seine Geschichten stark autobiografisch, er erzählte von der Vielvölkerstadt New York und von den Widerwärtigkeiten des Antisemitismus. In einem letzten großen Werk ging es dann um die "wahre Geschichte der Protokolle der Weisen von Zion", jenes ominösen Buchs um eine angebliche zionistische Superverschwörung, das auch dem Nationalsozialismus antisemitische Argumente lieferte.

Dieser scheußlichen Geschichte geht Will Eisner sehr lakonisch nach, die Bilder folgen einander fast gleichmütig. Die Erzählung bleibt ganz im Rahmen, ohne Turbulenzen und Dramatik. Die zeichnerische Romankunst Will Eisners war immer vertikal orientiert, er liebt den Blick von oben, der auch unscheinbare Nebenschauplätze am Rand erfasst. Die Gesellschaft in ihrer Diversität, Leben auf der Feuertreppe. Die graphic novel ist bei Will Eisner nie durch das Vorwärts der Action programmiert, sondern vielschichtig und vielgestaltig, ein wirklich moderner Roman, denen der Kollegen Joyce und Döblin vergleichbar. Und der Spirit ist oft nur Nebenfigur, Beobachter am Rande, ganz Kontemplation, blickt er durch seine Maske wie durch ein optisches Gerät.

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