Süddeutsche Zeitung

Wilhelm-Busch-Bilder aufgetaucht:Ein spät aufgegangener Kuchenteig

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Sensationsfund in der Provinz: In Sulzbach-Rosenberg wurde eine bisher unveröffentlichte Bildergeschichte von Wilhelm Busch entdeckt: "Der Kuchenteig" erinnert stark an "Max und Moritz". Die Süddeutsche Zeitung zeigt die zehn Bilder erstmals und exklusiv - vier von ihnen auch hier bei sueddeutsche.de.

Lothar Müller

Also lautet ein Beschluss: dass man alles prüfen muss. Denn natürlich macht die Pünktlichkeit stutzen, wenn just im Jubiläumsjahr von Wilhelm Busch, dessen hundertster Todestag am 8. Januar begangen wurde, in einem Provinzarchiv eine ungedruckte, bisher unbekannte Folge von zehn Busch-Zeichnungen auftaucht, eine vollständige Bildergeschichte, die ihre Verwandtschaft mit dem sechsten Streich der bösen Buben Max und Moritz schon auf den ersten Blick nicht verleugnet.

Der Sulzbach-Rosenberger Stadtarchivar Johannes Hartmann hat die Zeichnungen in den Beständen zur Geschichte des örtlichen Verlags- und Druckereihauses Seidel gefunden, zusammen mit dem kleinen Umschlag, auf dem Busch handschriftlich den Titel der Bilderfolge vermerkte: "Der Kuchenteig".

Experten bürgen für Echtheit

Am gestrigen Freitag wurde der Fund in Sulzbach-Rosenberg präsentiert, und natürlich war, bevor dies geschah ausführlich geprüft worden. Auf dem Podium der Pressekonferenz bürgte die Kunsthistorikerin Ruth Brunngraber-Malottke vom Wilhelm-Busch-Museum in Hannover für die Echtheit der Zeichnungen.

Der Direktor ihres Hauses und Herausgeber der erst 2007 erweitert aufgelegten kritischen Wilhelm Busch-Gesamtausgabe, Hans-Joachim Neyer, ist im Gespräch mit dieser Zeitung nicht weniger deutlich: "Wir legen unsere Hand dafür ins Feuer, dass die Zeichnungen echt sind."

Dass er nun die Gesamtausgabe noch einmal vervollständigen muss, macht ihn nicht unglücklich. Er hofft, die Bilderfolge im Rahmen seiner für den Herbst geplanten Ausstellung über Carl Spitzweg und Wilhelm Busch zeigen zu dürfen.

Und natürlich hofft er auch, dass sie am Ende dauerhaft den Weg in sein Haus nehmen. Andreas Strobl, Fachmann für die Bestände aus dem 19. Jahrhundert an der Staatlichen Graphischen Sammlung in München, hat den "Kuchenteig" mit zahlreichen in München befindlichen Entwurfszeichnungen von Busch verglichen. Und auch er ist mit den Mitteln der Stilanalyse zu dem Schluss gelangt, die Bilder seien echt.

Verlagshaus Seidel spielt Schlüsselrolle

Eigentümer des "Kuchenteigs" sind die Erben des Verlagshauses Seidel, das in dieser Geschichte einer Bildergeschichte die Schlüsselrolle spielt. Denn nur, weil der Begründer des Verlages, Johann Esaias von Seidel (1758-1827), wie Wilhelm Busch in diesem Jahr in der Oberpfalz mit Ausstellungen und Publikationen als Jubilar gefeiert wird, ist das Verlagsarchiv gründlich durchsucht worden.

Kurz, es hat bei diesem Fund der lokale Gedenktagskalender dem nationalen zugearbeitet, und das ist nicht nur deshalb eine charmante Pointe, weil so viele Anekdoten zur Geschichte der Deutschen als Kulturnation in der Provinz beginnen oder enden. Sondern auch, weil die Produktion - und der durchaus überregionale Vertrieb - von Kalendern zu den Spezialitäten des Seidelschen Verlagshauses im 19. Jahrhundert gehörte.

Der Verlagsgründer Johann Esaias von Seidel, evangelisch, aus Sulzbach gebürtig, war ein rühriger Mann und hatte den Grundstein für die überregionale Ausstrahlung des Hauses gelegt.

Künstlerkollege Buschs war Mittelsmann

In Amberg hat er im Sommer 1800 die erste Buchhandlung der Stadt eröffnet, die örtliche Leih- und Lesebibliothek übernommen. 1807 zog er nach Sulzbach um, wo er das Schloss gekauft hatte, und er unterstrich seine Ambitionen dadurch, dass er darin Druckerei, Verlag und Buchhandlung zu einer Geschäftseinheit verschmolz, deren Filialen über Nürnberg hinaus bis München reichten.

Der Wilhelm Busch-Forscher Hans Ries rekonstruiert in der in Kürze erscheinenden, vom Stadtheimatpfleger Markus Lommer herausgegebenen Festschrift für Seidel (Johann Esaias von Seidel. Zum 250. Geburtstag eines Bayerischen Verlegers, Sulzbach-Rosenberg 2008), wie der Zeichner und der Sulzbacher Verlag zusammenkamen, der sich zwischen 1854 und 1877 im Besitz des Regensburger Druckers Friedrich Pustet befand.

Mittelsmann war demzufolge Buschs Künstlerkollege Ernst Küster (1834-1907), der dem Verlag 1863 die Zeichnungen anbot und ein Honorar von insgesamt 50 Gulden, also fünf Gulden pro Bild verlangte.

Busch hatte es auf Abdruck in Kalender abgesehen

Bei Seidel in Sulzbach erschienen nicht nur der "Volks-Kalender" und der "Kalender für den Bürger und Landmann", sondern auch der "Münchener Hauskalender", und auf einen Abdruck in diesem ausdrücklich auf das Publikum der bayerischen Metropole zielenden Organ scheint es Küster im Auftrag von Busch abgesehen zu haben.

Dem Verlag aber, der die Zeichnungen wie ein unverlangt eingesandtes Manuskript behandelte, dürfte die Honorarforderung zu hoch gewesen sein. Jedenfalls druckte er die Geschichte nicht, schickte sie aber auch nicht an den Anbieter zurück.

Im Original sind die Zeichnungen klein, mit einer Breite zwischen 84 und 95 mm und einer Höhe zwischen 45 und 54 mm viel kleiner, als sie hier reproduziert werden, damit der Leserblick es leicht hat sich auf die Einzelheiten zu heften. Aber ein Leser muss er hier gar nicht sein, denn diese Bildergeschichte ist, anders als die von "Max und Moritz", in die sie mündete, eine Geschichte ohne Text.

Grotesk-komische Mischwesen

Wer sie betrachtet, dem fallen sogleich die Elemente auf, die in den Backstuben-Streich der beiden Serientäter eingegangen sind: der Sturz in den Teig, die kraft der zähen Materie sich vollziehende Verwandlung in grotesk-komische Mischwesen, die Entdeckung der Missetat. Aber reizvoller als die Suche nach Übereinstimmungen ist das Sinnieren über den Unterschieden.

Hier ist nicht die Backstube eines zünftigen Handwerkers der Schauplatz, sondern ein Privathaushalt, in dem die Mutter den Backtrog bewirtschaftet. Und es sind hier nicht zwei Buben am Werk, ein Kind reicht aus, um auf Naschideen zu kommen.

Und eine Vater-Mutter-Kind-Geschichte reicht aus, um die Grundelemente einer Missetat im bürgerlichen Alltag zur Darstellung bringen zu können. Ja, vielleicht setzt die Ansiedelung des Geschehens im familiären Nahbereich der Entwicklung der Geschichte - vor allem ihrem Ende - sogar das Maß.

Den Teig vor Augen

Es ist hier kein Einbruch durch den Kamin in abgeschlossenes Fremdeigentum zu vollbringen. Und es bedarf auch nicht der Vorstellungskraft, um von der Verlockung angezogen zu werden.

Das naschende Kind hat den Teig vor Augen, und dessen Reiz kann der drohende Finger der Mutter nicht in Schach halten. So nimmt die Geschichte vom Sturz in den Gegenstand der Verlockung ihren Lauf - aber wie anders ist ihr Schluss, sieht man ihn von "Max und Moritz" her.

Denn dort entkommen die Missetäter, weil sie noch Streiche vor sich haben, ihrer Strafe. Wundersamerweise überleben sie in ihrer Mimikry mit Backfiguren ihre Höllenfahrt durch die Glut im Ofenloch.

Mustergültiger Vater-Mutter-Kind-Schluss

Hier aber hat die Geschichte einen geradezu mustergültigen Vater-Mutter-Kind-Schluss: Unmittelbar auf die Missetat erfolgt die Strafe. Erst wird dem Kind der Kopf gewaschen (und nicht nur der), sodann greift der Vater zum Stock. Aber diese Strafe fällt geradezu gutbürgerlich aus, verglichen mit dem gnadenlosen Zerschrotetwerden, das Max und Moritz am Ende ihrer Streiche blüht.

Das naschende Kind in dieser Geschichte überlebt, immerhin. Aber es ähnelt schon unverkennbar seinen Nachfolgern - und je länger man es betrachtet, nicht nur Moritz (siehe Schopf), sondern auch Max (siehe Physiognomie). Vielleicht hat Wilhelm Busch den Helden dieser Geschichte am Schlafittchen gepackt, auseinandergezogen und in das berühmte Duo zerlegt.

Alle zehn Bilder der Geschichte sind in der aktuellen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 14./15.06.2008
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