Zum Tod von Wilfried F. Schoeller:Der Lesekindheit treu

Wilfried F Schoeller GER Berlin 20160413 Lesung mit Wilfried F Schoeller Biographie von Franz M

Er schrieb nicht nur, er sendete auch: Wilfried F. Schoeller (1941-2020).

(Foto: imago/Gerhard Leber)

Er war Literaturkritiker, Hörfunkredakteur, Kulturhistoriker, Biograf und Autor, einer der Modernisierer des Literaturbetriebs: Nun ist Wilfried F. Schoeller gestorben.

Nachruf von Lothar Müller

Er entwarf gern Lebensbilder. Eines seiner letzten war Friedrich Luft gewidmet, im Nachwort zu dem Band "Über die Berliner Luft". Darin hatte Wilfried F. Schoeller in kundiger Auswahl Zeitungsfeuilletons des großen Theaterkritikers versammelt. Im November 2018 stellte er das Buch vor, in der Villa, in der Friedrich Luft gelebt hatte, nahe am Nollendorfplatz in Berlin, und während er das Lebensbild nicht etwa vorlas, sondern gesprächsweise zeichnete, waren hinter ihm, im Fenster, die U-Bahnen zu sehen, die hier zu Hochbahnen werden.

1941 im oberschwäbischen Illertissen geboren, gehörte Wilfried F. Schoeller zu den Kriegskindern, zur ersten Generation, die in der noch jungen Bundesrepublik erwachsen wurde. Wie Friedrich Luft, der im RIAS die "Stimme der Kritik" verkörperte, war er ein Mann sowohl des Rundfunks wie der Literatur und der Bühne. Er schrieb nicht nur, er sendete auch. Mit Anfang dreißig wurde er Literaturredakteur beim Hessischen Rundfunk, erfand dort später die erste Literatursendung im Fernsehen, "Bücher, Bücher" und war Mitbegründer des Magazins "Titel, Thesen, Temperamente".

In München, wo er Germanistik, Philosophie und Geschichte studierte, erlebte er 1962 die Schwabinger Krawalle. Promoviert hat er 1968 über Heinrich Mann. Er gab die Werke von Oskar Maria Graf heraus, aber auch Berlin-Reportagen, schrieb über Autoren aus der DDR wie Christa Wolf und Franz Fühmann. Viele Archivstunden des Kulturhistorikers, der in diesem Feuilletonisten steckte, mündeten 2011 in die monumentale Biografie Alfred Döblins. In seinem Lebensbild Franz Marcs bündelte er sein Interesse am Expressionismus in Literatur und Bildender Kunst.

Die Modernisierung des Literaturbetriebs prägte ihn, und er prägte sie mit, als Moderator, Redakteur und Autor nicht nur von Büchern, sondern auch von Drehbüchern und Hörspielen, etwa über Friedrich Hölderlin. Wenn er sich mit Hubert Fichte oder Uwe Johnson befasste, entstanden nicht nur Texte, sondern auch Features, Ausstellungen, Veranstaltungen. Als er, von 2002 bis 2009 dann auch noch Generalsekretär des Pen-Zentrums Deutschland war, erschien er manchen Nachgeborenen, als Inkarnation des Betriebs.

Seine Produktivität kam aber aus einem inneren Antrieb. An Friedrich Luft interessierte ihn der Aufbruch mit der Katastrophe in den Knochen. In der Anthologie "Diese merkwürdige Zeit: Leben nach der Stunde Null" versammelte er Texte aus der Neuen Zeitung von 1945 bis 1955. Das Kind, das er selbst damals war, las B. Travens "Totenschiff". Seine Lesekindheit hat er nie vergessen. Am Montag ist Wilfried F. Schoeller im Alter von 78 Jahren in Berlin gestorben.

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