Süddeutsche Zeitung

Autobiographische Schnitzeljagd von Wiglaf Droste:Hier war ich noch nie

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Sehr lustig und sehr angriffslustig: Das Buch "Chaos, Glück und Höllenfahrten" mit Texten von und über Wiglaf Droste.

Von Peter Laudenbach

Als der Dichter Wiglaf Droste schon krank war und ahnte, dass er nicht mehr lange zu leben hatte, machte er, was er eigentlich immer machte. Er spielte mit den Worten und dachte sich schöne Sätze aus. Wenn die Welt schon hässlich, elend und meistens eine Zumutung ist, kann man sich ja immer noch an der Schönheit der Sprache erfreuen. Zum Beispiel mit der Frage, was sich wohl gut auf dem eigenen Grabstein machen würde. Wie wäre es zum Beispiel mit: "Hier war ich noch nie." Was erstens stimmt, zweitens angemessen lakonisch ist und drittens eine gewisse Neugierde darauf erkennen lässt, wie das wohl so sein wird, im Jenseits. Und das, obwohl Droste für Religionen aller Art eigentlich nur Spott übrig hatte: "Geglaubt werden musste zu Hause nicht", notiert er in einer Kindheitserinnerung. "Der liebe Gott hatte bei uns nicht viel zu tun und konnte sich um andere kümmern, die ihn nötiger hatten."

Statt sein Heil in Glaubensgewissheiten oder den Heilsbotschaften von Betonideologen zu suchen, blieb der freischaffende Anarchist den Freuden der Subversion treu: Wir spielen, bis der Tod uns abholt, und dann noch ein bisschen länger. Wozu sind Scherze, erst recht finale Scherze wie der Einfall für den Gruß vom Grabstein, auch sonst gut, wenn nicht, um der Bitterkeit ein Schnippchen zu schlagen. Zuschlagen konnten Wiglaf Drostes Texte übrigens auch. Oft war bei ihm die Steigerung von lustig: angriffslustig.

Vor ziemlich genau zwei Jahren, am 15. Mai 2019, ist der Satiriker, Sänger, Weinkenner und Kreuzberg-Hasser gestorben, mit gerade mal 57 Jahren. Man kann sagen, er hat sich nicht geschont. Und die anderen erst recht nicht, weshalb auch. Jetzt hat Drostes Freund und Verleger Klaus Bittermann in einem sehr schönen und sehr lustigen Buch "eine autobiographische Schnitzeljagd" veranstaltet: Texte von der Jugend des Dichters in der westfälischen Provinz bis zu den Abenteuern in Berlin, Palermo und den neuen Bundesländern, die ihm immer ziemlich suspekt geblieben sind.

Droste reist mit Max Goldt nach Finnland, mit Joachim Król zu einem Fußballspiel nach England, mit dem Sternekoch Vincent Klink zwecks Verkostungsfreuden nach Portugal und mit Wolfgang Neuss ins Nirwana. Davon, dass Droste so überfließend herzlich wie leicht anstrengend sein konnte, zeugen Gastbeiträge befreundeter Autoren. Hans Zippert, Anfang der 1990er-Jahre als Chefredakteur der Titanic kurz sein Vorgesetzter, erinnert sich an die interessante Arbeitsmoral des Borderlineredakteurs: "Wenn man Pech hatte, begann Wiggis Arbeitswoche Dienstagnachmittag und endete Dienstagabend". Wenn er mal da war, "setzte er den Rest der Redaktion durch regelmäßige Alkoholinfusionen außer Gefecht. Wäre Droste tatsächlich jeden Tag zur Arbeit erschienen, hätte er das Blatt in drei Monaten ruiniert."

Bei allem Rabaukentum war der Dichter vor allem: eine empfindsame Seele. Auch traumatische Erfahrungen sparen seine intimen Bekenntnisse nicht aus, etwa die Verheerungen, die Keith Jarretts Klavierspiel in zarten Seelen anrichten kann: "Schwarze Tasten, weiße Tasten / Töne, die das Herz belasten / Junge Menschen wurden Greise / Wenn Keith Jarrett klimperte / Auf dem Flokati litt ganz leise / Wer vorher fröhlich pimperte." Wenn es Grabsteine gibt, die gute Laune machen, ist dieses Buch genau das.

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