Vorwurf der Kindesmisshandlung:Ballett brutal

Lesezeit: 2 Min.

Die Wiener Staatsoper am Opernring, in der auch die Ballettakademie beheimatet ist. (Foto: dpa)

In der Tanzakademie der Wiener Staatsoper sollen Kinder misshandelt worden sein. Jetzt ermittelt eine Sonderkommission.

Von Peter Münch, Wien

Bei der Wiener Staatsoper wird gern darauf verwiesen, dass die Wurzeln der hauseigenen Ballettakademie zurückreichen bis ins Jahr 1771. Das ist gewiss ein Grund zum Stolz, doch Anlass zu großer Sorge ergibt sich nun, weil die Lehrmethoden offenbar irgendwo im 19. Jahrhundert stecken geblieben sind. Die elitäre Ausbildungsstätte für das klassische Ballett sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert: Es geht um brutalen Druck und Züchtigung bis hin zum sexuellen Missbrauch. Aufgedeckt hat dies nun das Wiener Wochenblatt Falter - und die Verantwortlichen bei der Staatsoper zeigen sich höchst erschrocken. Sie geloben eine "lückenlose Aufklärung".

Die traditionsreiche Kultureinrichtung bildet derzeit 110 Schülerinnen und Schüler im Alter von zehn bis 18 Jahren aus. Sie kommen aus der ganzen Welt, und nach dem Ende der achtjährigen Ausbildung finden die Absolventen oft Zugang zu den bekanntesten Tanzkompanien. Beim Opernball oder beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dürfen die Eleven alljährlich das Publikum erfreuen. Hinter den Kulissen aber spielen sich nach den Recherchen des Falter schauerliche Dramen ab. Über eine "Sklavenmentalität", die sich breitgemacht habe, klagt Jolantha Seyfried, ehemals Erste Solotänzerin an der Staatsoper und Ex-Leiterin der Ballettakademie. Die Kinder seien "hier nur eine Ware, um die Oper zu bespielen". Die frühere Ballerina Gabriele Haslinger spricht von "sowjetischem Drill und zaristischer Pädagogik", die von einigen Vertretern der "russischen Schule" in die Akademie gebracht worden seien.

Schülerinnen der Akademie berichten davon, wie sie an den Haaren gezogen, gekniffen und blutig gekratzt oder getreten worden sind. Zu den laufenden Demütigungen gehörten Sätze wie "Du tanzt wie eine Hausfrau" oder "Du hast Hasenzähne". Fast systematisch seien die Kinder in Essstörungen getrieben worden mit Empfehlungen, eine Woche lang nur Wasser und Kiwis zu sich zu nehmen oder nur eine Semmel am Tag zu essen.

"Wir wurden psychisch zerbrochen. Wir wurden zertrampelt."

Das Gewicht wurde öffentlich vor den Mitschülern überprüft. Eine japanische Schülerin habe am Ende bei einer Körpergröße von 1,70 Meter nur noch 37 Kilogramm gewogen und sei nach Hause geschickt worden, heißt es. Eine andere junge Tänzerin gibt zu Protokoll: "Wir wurden psychisch zerbrochen. Wir wurden zertrampelt." Die Berichte über sadistisches Verhalten beziehen sich vor allem auf eine Lehrerin, die schon vor Jahren auffällig geworden war, der aber erst nach mehrmaligen Ermahnungen im Januar 2019 gekündigt wurde. Überdies zitiert der Falter aus dem Protokoll eines Schülers, der einem Lehrer vorwirft, ihm Pornos gezeigt, ihn geküsst und vor ihm onaniert zu haben. Der Lehrer wurde suspendiert.

Intern ist ein Großteil der Vorwürfe offenbar schon länger bekannt. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft der Stadt Wien geht dem schon seit Monaten nach. "Im Grunde hätten wir diesen Laden sofort zusperren müssen", sagte einer der Beamten unter dem Schutz der Anonymität. Staatsopern-Chef Dominique Meyer räumt selbstkritisch ein, er "bedauere, dass wir langsam agiert haben in dieser Geschichte". Er verspricht schnelle Verbesserungen, die Einrichtung einer Ombudsstelle zum Beispiel und die Fortbildung der Lehrer in Sachen Ernährung und Gesundheitspädagogik. Doch der Fall hat längst weitere Kreise gezogen und auch die Politik auf den Plan gerufen. Kulturminister Gernot Blümel spricht von "vollkommen unakzeptablen" Vorgängen. Er hat zur Aufklärung nun die Bildung einer Sonderkommission angeordnet.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Musikhochschule
:"Alte Loyalitäten dürfen dem Opferschutz nicht entgegenstehen"

Nach den Missbrauchsfällen sieht eine Kommission die Musikhochschule auf dem richtigen Weg. Dennoch empfiehlt sie weitere Maßnahmen.

Von Sabine Buchwald

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: