Süddeutsche Zeitung

Wiener Burgtheater:Wie die Linken lügen

Lesezeit: 2 Min.

Sally Potters Film "The Party" macht als beißende Satire auf die Liberalen am Wiener Burgtheater auch in der Bühnenversion Spaß.

Von Wolfgang Kralicek

Wenn sich im Theater jemand übergibt, kann das sehr unangenehm oder sehr komisch sein. Es kommt nur darauf an, wo sich der Vorfall ereignet: Im Zuschauerraum möchte man es nicht erleben; auf der Bühne ist es ein sicherer Lacher. Man denke nur an jene Szene aus Yasmina Rezas "Der Gott des Gemetzels", in dem sich eine Frau auf einen kostbaren Bildband des Gastgebers erbricht. Im Wiener Burgtheater läuft jetzt die deutschsprachige Erstaufführung einer Komödie, in der gleich mehrere Figuren immer wieder kotzen müssen. "The Party" ist aber nicht nur deshalb ein gelungener Abend.

Das Stück basiert auf Sally Potters Kino-Kammerspiel von 2017, das die englische Filmemacherin selbst für die Bühne adaptiert hat. Es spielt im Londoner Häuschen der Oppositionspolitikerin Janet, die gerade zur Gesundheitsministerin eines Schattenkabinetts ernannt wurde und das im kleinen Kreis feiern möchte. Geladen sind ihre besten Freundinnen April und Martha, jeweils mit Begleitung. Auch Janets neue Assistentin, die angeblich hinreißend schöne Marianne, wird erwartet, lässt aber auf sich warten.

Das Stück ist ein Lehrbeispiel für Erzählökonomie: Gerade einmal 90 Minuten (im Film waren's nur 71) genügen, um sämtliche Paarbeziehungen an die Wand zu fahren. Das Frau-Knecht-Verhältnis zwischen der zynischen April (Regina Fritsch) zu ihrem deutschen Lebensgefährten, dem esoterischen Gottfried (Markus Hering), ist für Außenstehende gar nicht als Liebesbeziehung zu erkennen; und ob die lesbische Ehe von Martha (Barbara Petritsch) und der viel jüngeren Jinny (Katharina Lorenz) die bevorstehende Geburt von Drillingen (lauter Jungen!) überstehen wird, erscheint äußerst fraglich.

Der Gatte der Gastgeberin verkündet, er sei a) unheilbar krank, und habe b) ein Verhältnis mit einer anderen Frau

Vor allem aber stellt sich heraus, dass die Ehe der Gastgeber am Ende ist. Janet (Dörte Lyssewski) hat einen heimlichen Liebhaber; ihr Mann, der Historiker Bill (Peter Simonischek), boykottiert die Party, indem er stoisch auf einem Sitzsack thront und sich seiner Vinylsammlung widmet, die eine ganze Wohnzimmerwand füllt. Mit der Partystimmung, die ohnedies nie so recht aufkommen wollte, ist es endgültig vorbei, als Bill verkündet, dass er a) unheilbar krank ist und b) seine letzten Tage mit einer anderen Frau zu verbringen gedenkt - er habe nämlich schon seit längerem ein Verhältnis mit Marianne.

Im Film wird Bill von Timothy Spall als halb totes Wrack dargestellt, dem man eine leidenschaftliche Affäre schon physisch kaum zutrauen würde. Peter Simonischek hingegen ist ein zwar in die Jahre gekommener, aber durchaus vitaler Stenz von einem Mann. Spalls Performance ist existenzieller, brutaler; Simonischek legt es leichter, komödiantischer an.

Diese Akzentuierung markiert den entscheidenden Unterschied zwischen Film und Bühnenversion: Während der in Schwarzweiß gedrehte Film etwas Surreales, Künstliches, Gebrochenes hat, stellt die - erstmals in Wien engagierte - Regisseurin Anne Lenk die Weichen in Richtung Komödie. Das funktioniert nicht zuletzt deshalb so gut, weil das ganze Ensemble hoch motiviert bei der Sache ist. Und weil die Bühnenbildnerin Bettina Meyer für die Herausforderung, die schnellen Szenenwechsel der filmischen Vorlage möglich zu machen, eine ebenso spektakuläre wie funktionelle Lösung gefunden hat: Die Nebenräume - Bad, Küche, Flur -, die sich eigentlich alle auf einer Ebene befinden, sind auf der Bühne vertikal angeordnet.

Nach Bills Geständnis ist jedenfalls klar, warum Mariannes fiebrig-nervöser Mann Tom (Christoph Luser) einen Revolver dabei hat. Er schießt dann zwar nicht, schlägt Bill aber bewusstlos. Als dieser reglos am Boden liegt, denkt zum Glück niemand daran, einen Notarzt zu rufen; die hilflosen Erste-Hilfe-Maßnahmen von Tom und Gottfried zählen nämlich zu den lustigsten Minuten des kurzen Abends.

Im Englischen bedeutet "Party" auch "Partei", der Doppelsinn des Titels lässt sich nicht ins Deutsche übersetzen. Dass das Stück eine beißende Satire auf die Lügen und Geheimnisse von Linksliberalen ist, versteht man aber auch so. Es ist zum Kotzen, also sehr komisch.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2019
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