Wiederentdeckt: Ilsa Barea-Kulcsar:Kein Anschluss

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Der lange vergessene Roman "Telefónica" von Ilsa Barea-Kulcsar über eine Österreicherin im Spanischen Bürgerkrieg und die Widersprüche von Liebe und Zensur.

Von Katharina Adler

Bis heute ist das prächtige Edificio Telefónica an der Gran Vía in Madrid ein Wahrzeichen. Fertig gebaut im Jahr 1929 war es mit vierzehn Stockwerken das erste Hochhaus Europas und der Firmensitz des Telekommunikationsunternehmens Telefónica mit dem Hauptschaltungsanschluss des gesamten spanischen Telefonsystems.

Dieses Gebäude ist der Schauplatz eines Romans der Österreicherin Ilsa Barea-Kulcsar, dessen Publikationsgeschichte allein bemerkenswert ist. Die Journalistin, Rednerin und Funktionärin in der österreichischen Arbeiterbewegung schrieb "Telefónica" im Jahr 1938 zu Ende, aber erst ein Jahrzehnt später, von März bis Juni 1949, kam der Text in der Wiener Arbeiter-Zeitung als Fortsetzungsroman heraus.

Geboren 1902 in Wien, war Barea-Kulcsar seit ihrer Jugend politisch aktiv. Erst für die Kommunisten und, nach einem Gefängnisaufenthalt, als Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Vermutlich war die Arbeiter-Zeitung - das offizielle Sprachrohr der österreichischen Sozialdemokratie - eher am politischen Inhalt von "Telefónica" interessiert als an dessen literarischer Dimension. Und so war es nach der kurzlebigen Erstveröffentlichung Barea-Kulcsars ausdrücklicher Wunsch, eine gebundene Ausgabe in Händen zu halten. Doch wieder vergingen Jahrzehnte, Barea-Kulcsar starb 1973 in Wien, und erst jetzt liegt das Buch endlich vor.

Das ist ein großes Verdienst des Verlags Edition Atelier, denn der Roman spielt zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs. Der wurde von Schriftstellerinnen und Schriftstellern weltweit immer wieder verarbeitet, in der österreichischen Literatur ist dieses Thema aber eine Seltenheit, obwohl überproportional viele Landsleute damals an den Kriegshandlungen teilnahmen.

"Ich bin natürlich hier wie wir alle, als Sozialistin und Antifaschistin."

"Telefónica" konzentriert sich auf vier Tage im Dezember 1936. Die franquistischen Truppen stehen vor Madrid. Das Hochhaus ist eines ihrer strategischen Angriffsziele. Die Verteidiger der Demokratie verschanzen sich dort und beobachten von den obersten Stockwerken aus die Gefechte an der Front. Eine der Hauptfiguren ist die Deutsche Anita Adam. Sie arbeitet dort, zensiert die Berichte ausländischer Journalisten, die über die Kommunikationskanäle der Telefónica ihre Artikel in die Welt schicken. Diese Anita Adam, das wollte Ilsa Barea-Kulcsar gar nicht verbergen, ist eine fiktionalisierte Version ihrer selbst. Schon ihr Name trägt Spuren der Zeit ihres Telefónica-Engagements. Aus Ilse wurde die hispanisierte Ilsa. Ihren zweiten Ehemann, den Schriftsteller Arturo Barea, lernte sie in der Pressezensur-Abteilung kennen.

Die brutale Niederschlagung der Soziademokratischen Arbeiterpartei (SDAP) während des Österreichischen Bürgerkriegs in den Februartagen 1934 und der darauffolgende Austrofaschismus, brachten Barea-Kulcsar dazu, sich an die Seite der Republikaner gegen den Angriff Francos zu stellen. Damit war sie nicht allein. An die 1 400 österreichischen Genossen formierten sich damals im "Bataillon 12. Februar" bei den Internationalen Brigaden, um zu verteidigen, was in der eigenen Heimat so bitterlich verloren worden war.

Auch Barea-Kulcsars Protagonistin Anita Adam treibt der politische Auftrag nach Spanien. Auf die Frage ihres Vorgesetzten, was sie in Madrid zu suchen habe, antwortet sie: "Ich bin natürlich hier wie wir alle, als Sozialistin und Antifaschistin oder wie Sie es nennen wollen. Jedenfalls als Genossin, die hier helfen will." Wie Barea-Kulcsar die Szene beschreibt, macht sie aber auch die selbstherrliche Irritation ihrer Figur darüber deutlich, dass man ihr eine solche Frage stellt, und sie reflektiert damit den blinden Fleck ihres Aktivismus: "Anita verstand sein Misstrauen nicht. Sie war bisher nur der spontanen Herzlichkeit ihrer Chauffeure und der überschwänglichen Höflichkeit der Ministerialbeamten gegenüber der ausländischen Journalistin begegnet und glaubte überdies in ihrem fanatischen Arbeitswillen und ihrer langen politischen Tätigkeit einen Freibrief für das republikanische Spanien zu besitzen."

Franco, seine Putschisten und Verbündeten, darunter Hitlers Legion Condor, spielen nur im Hintergrund des Romans eine Rolle. Sie sind eine gesichtslose Dauerbedrohung, die unvorhersehbar mit Fliegern und Granaten das Haus attackieren. Barea-Kulcsar erklärt schon im Vorwort die Intention ihres Romans: "Bald wird man nicht mehr verstehen, wie es war ... Ich habe in jenen Monaten in der Telefónica von Madrid gelebt. Ich will versuchen, diese Menschen - nicht die aktenmäßige, sondern die innere Wahrheit von uns allen - in einem Buch leben zu machen".

Im Zentrum der Erzählung stehen deshalb der Alltag im Hochhaus und die Personen, die dort tätig sind, oder eine Zuflucht gefunden haben. Um die fünfhundert Frauen und Kinder in den Kellergeschossen, auf den verschiedenen Etagen: Auslandskorrespondenten, Mitglieder der Militär- und Zivilverwaltung, Wach- und Geheimdienstler, Führer der politischen Parteien und Gewerkschaften, Telefonistinnen, Mitarbeiter der Zensurstelle.

In kurzen Kapiteln springt der Roman zwischen den Stockwerken und Figuren. Soziale Klassen und widersprüchliche Sichtweisen prallen aufeinander. Das allzu Menschliche spart Barea-Kulcsar dabei nicht aus. Misstrauen, Spionage und Verrat in den eigenen Reihen. Und Eifersucht. Ein roter Faden ist die Liebe Anita Adams zu dem Kommandanten des Hauses. Den plagt jedoch vom Keller aus seine unleidliche Ehefrau und eine Geliebte unter den Telefonistinnen, die Anita Adam beim militärischen Nachrichtendienst anschwärzt.

Mit dieser ménage à quatre unternimmt Barea-Kulcsar den Versuch, exemplarisch den Unterschied zu zeigen zwischen der unaufgeklärten Frau, die an den Rollen der Ehegattin oder Geliebten festhält, und einer emanzipierten Genossin, die in einer Krisensituation konstruktive Arbeit leistet, auf Augenhöhe mit den Männern. Dabei geraten Ehefrau und Geliebte im Gegensatz zur Figur der Anita Adam etwas schlicht. Barea-Kulcsar stilisiert die Deutsche zu einer Galionsfigur der Emanzipation. Wenn an Anita Adam Kritik geübt wird, dann nur von Figuren, die sich als rückständig oder als Verräter entlarven. Es mag sein, dass Barea-Kulcsar dieser Heroisierung selbst nicht ganz über den Weg traute, sie konterkariert sie jedenfalls, indem sie Anita Adam immer wieder als nicht besonders ansehnliche Person beschreibt. Aus heutiger Sicht geht dieses "Hässlichmachen" der weiblichen Hauptfigur nach hinten los. Es zeigt, wie sogar eine auf Selbstbestimmung pochende Schriftstellerin ästhetische Normen des weiblichen Körpers internalisiert hat, die sie durch abschätzige Beschreibungen reproduziert.

Nun ist "Telefónica" ein achtzig Jahre alter Text, von dem man nicht verlangen kann, neueren Diskursen zu genügen. Es gibt aber auch zeitlosere handwerkliche Mängel. Denn so freimütig Barea-Kulcsar erzählerisch zwischen den Stockwerken wechselt, so unvermittelt nimmt sie Tempus-Wechsel vor, Vergangenheit und historisches Präsens purzeln durcheinander. Ähnlich verfährt sie mit Perspektiven. Hat man sich auf den Gedankenkosmos einer Figur eingelassen, schleudert es einen unvermittelt in den Kopf eines anderen Protagonisten. Umso erstaunlicher ist es, wenn man von dieser teils brachialen Erzählweise absieht, welchen Sog der Roman entwickelt, wie außerordentlich gut man den zahlreichen Figuren trotzdem folgen kann. Geradezu modern liest sich die Montagetechnik der Kapitel. Man fühlt sich an den multiperspektivischen, weit verzweigten Plot einer Serie erinnert.

Ein Höhepunkt ist auch Barea-Kulcsars Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen journalistischer Berichterstattung. Da entsteht ein differenziertes Bild von Journalisten, die mit ihrer Neutralität hadern angesichts der Grausamkeit, die sie erleben. Reportern, die damit überfordert sind, das Gesehene niederzuschreiben. Dazu kommt der Druck, der von Auftraggebern ausgeübt wird, die ständige Auseinandersetzung mit der Pressezensur darüber, welche Informationen publiziert werden dürfen und welche aus taktischen Gründen zurückgehalten werden müssen. In diesem Zwiespalt entfaltet Anita Adams Perspektive ihre Stärke. Sie setzt sich über Vorgaben des Ministeriums hinweg und lässt mehr Informationen über die republikanische Seite des Bürgerkriegs nach außen gelangen, als es die Anweisungen erlauben. Sie mischt sich ein, die Journalisten, deren Texte sie zensiert, stachelt sie an, nicht ständig das Gleiche zu schreiben. "Wir alle wissen nicht, was mit uns hier geschieht. Aber ich versuche ganz einfach, bei der ausländischen Presse zu erreichen, dass sie die Welt da draußen zwingt, an Madrid zu denken", erklärt Anita Adam ihren Genossen. "Ihr kennt die Außenwelt nicht; ich kenne sie. Ich habe dazugehört. Aber jetzt gehöre ich zu euch, ich bin Teil des Hauses und ihr müsst mich zur Kenntnis nehmen."

Hier spricht wohl wieder Barea-Kulcsar im Gewand ihrer Hauptfigur und man glaubt sofort, dass es ihr gelungen ist, ihren Platz in der Telefónica zu erstreiten. Denn die Autorin kann erstaunlich subtil über die ideologischen Strömungen unter den Anhängern der jungen demokratischen Republik erzählen. Auch wenn es niemand direkt ausspricht, bleibt die Ahnung, dass die politischen Differenzen unter den Republikanern ihre Schlagkraft gegen die faschistischen Angreifer schwächen. Nicht umsonst versah Ilsa Barea-Kulcsar das Ende ihres Romans mit dem bedeutenden Datum 31. März 1939: Der letzte Tag des Spanischen Bürgerkriegs, bevor Franco seine Diktatur errichtete und der Faschismus Europa im Griff hatte.

"Telefónica" ist kein durchweg ausgereifter Roman, hier und da vielleicht auch thesenhaft, doch darüber will man sofort hinwegsehen. Denn die neue - übrigens wunderbar gestaltete - Ausgabe ist zusammen mit dem kenntnisreichen Nachwort von Georg Pichler ein würdiges Erinnerungsbuch für Ilsa Barea-Kulcsar, die von Spanien nach Großbritannien weiterzog, dort für den Abhördienst der BBC arbeitete, übersetzte und ein Sachbuch zur Geschichte der Stadt Wien in englischer Sprache schrieb, das im angelsächsischen Raum lange als Standardwerk galt. Mit "Telefónica" hat sie den Opfern des Spanischen Bürgerkriegs ein Denkmal gesetzt. Und auch sich selbst.

Ilsa Barea-Kulcsar: Telefónica. Roman. Hg. v. Georg Pichler. Edition Atelier, Wien 2019. 351 Seiten, 25 Euro.

© SZ vom 25.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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