Wiederentdeckt:Draculas Rückkehr

Das Münchner Papiertheater-Festival führt nach Transsilvanien und in den fernen Osten. Eine Begleitausstellung zeigt Miniaturbühnen aus drei Jahrhunderten

Von Barbara Hordych

Wenn Rüdiger Koch derzeit in Berlin die Kulissen und Figurinen seiner "Dracula"-Inszenierung in einen Koffer packt, um zum Papiertheater-Festival in den Süden Bayerns zu fahren, dann ist das für ihn auch eine Reise in seine eigene Vergangenheit: "Das Stück nach Bram Stokers Vampirroman entstand 1999, die Musik komponierte mein Cousin Thomas Hell", sagt Koch über die Inszenierung, die seinerzeit als "Meilenstein des Papiertheaters" in einer Fachzeitschrift gefeiert wurde. Der Cousin ist heute Dozent für Klavier an der Musikhochschule in Stuttgart, zu der Inszenierung des Papiertheaters "Invision" gibt es einen zehnminütigen Trailer auf Youtube, den Düsseldorfer Designstudenten als Abschlussarbeit erstellt haben.

Zehn Jahre lang habe er die Inszenierung sehr häufig gespielt, dann nahm sein Leben mit Heirat, drei Kindern und einem Engagement als technischer Leiter an der Berliner Schaubude eine andere Wendung. Kein "Dracula" mehr, zehn Jahre lang - bis Liselotte Bothe kam. Die Gründerin und Organisatorin des PapiertheaterFestivals im Bürgerpark Oberföhring, das von 17. bis 20. Oktober Künstler aus Deutschland und Österreich in dem Kleinen Theater im Pförtnerhaus versammelt, wünschte sich das in plastischen Bildern erzählte Grusical für ihr Festival. Geradezu ideal passe die schaurige Reise nach Transsilvanien zur dritten Festival-Ausgabe, die unter dem Motto "Ostwärts - Der aufgehenden Sonne entgegen!" steht. "Wer Frau Bothe kennt, weiß, wie hartnäckig sie sein kann", sagt Rüdiger Koch und lacht. Am Ende war er überzeugt und beschloss, die alten Unterlagen zum Stück wieder hervorzuholen.

Wiederentdeckt: Die Inszenierung "Dracula" setzt Bram Stokers Klassiker der Vampirliteratur in eine Vielzahl plastischer Bilder um.

Die Inszenierung "Dracula" setzt Bram Stokers Klassiker der Vampirliteratur in eine Vielzahl plastischer Bilder um.

(Foto: Papiertheater Invisius)

"Papiertheater ist ja heute eine eher unbekannte Kunstform. Will man es erleben, muss man zu Festivals reisen, beispielsweise zum Internationalen Preetzer Papiertheatertreffen in Schleswig Holstein. Immer wenn ich dort mit Künstlern und Liebhabern des Genres ins Gespräch kam, schwärmten sie mir von ,Dracula' vor", sagt Bothe. Von daher sei sie sich sicher, dass Kochs Auftritt am Eröffnungsabend am 17. Oktober "der Clou des Festivals" werde. Nicht zuletzt, weil er die - männlichen - Figuren im Stück live spreche, während eine Mitspielerin die weiblichen Rollen übernehme. Nur der Cousin sitzt heute nicht mehr am Flügel, um seine Kompositionen live zu spielen, stattdessen kommt die Musik vom Band.

Um die Vielfalt des Genres zu zeigen, hat Bothe an den vier Tagen möglichst unterschiedliche Inszenierungen eingeladen. Die Bandbreite reicht von Gabriele Brunsch aus Kitzingen, "die für ihre Stücke keine alten Ausschneidebögen verwendet, sondern wirklich nur mit eigenen Entwürfen arbeitet", bis zu Hannes Papirnik, der seine Miniaturkunstbühnen auf einer Art selbstgebauter Bollerkarre installiert. "Er konstruiert detailgenaue Theaterhäuser in Klein, mitsamt Fluchtwegen für die Puppen und Feuerlöschern", sagt Bothe. Bei seiner Inszenierung des "Fliegenden Holländer", die im letzten Jahr in München zu sehen war, "setzte er eine Windmaschine ein, die so kräftig blies, dass es die Zuschauer in den ersten Reihen beinahe von den Bänken gerissen hat", erinnert sich Liselotte Bothe. Dieses Jahr ist er mit dem orientalischen Märchen "Abbu Hassan" vertreten.

Ursprünglich hatte Liselotte Bothe das Papiertheater-Festival als einmaliges Event zum 30-jährigen Bestehen ihrer Kasperlbühne 2016 organisiert. Der Zuspruch war aber so groß, dass das Kulturreferat sie bat, das Festival auch im darauffolgenden Jahr auszurichten. "Nach Jahrzehnte langem Dämmerschlaf erlebt das Papiertheater in jüngster Zeit so etwas wie eine Renaissance", sagt Bothe.

Eine Ausstellung mit Miniaturkunstbühnen aus drei Jahrhunderten begleitet die Aufführungen. Und zeigt, dass die Blütezeit des Papiertheaters eindeutig im Biedermeier liegt, erklärt Liselotte Bothe. Sie gibt beim Eröffnungsabend einen Überblick zur Geschichte dieser Kunstform, die populär wurde, als Bürger Theater besuchen durften und zu Hause im Familienkreis nachspielten, was sie dort gesehen hatten. Oft waren es Opern und Dramen wie der "Freischütz", "Wilhelm Tell", "Fidelio" und die "Zauberflöte", die in Kurzfassungen aufgeführt wurden. Dank der Erfindung der Lithografie, mit der sich preisgünstig und schnell farbige Drucke in großer Zahl herstellen ließen, wurden Papiertheater zum Familienspielzeug, "vergleichbar etwa mit den Modelleisenbahnen im Wohnzimmer", sagt Bothe. Der Erfolg des "Freischütz" 1821 ermunterte etwa 16 Firmen dazu, 25 verschiedene Figurenbögen allein zu dieser Oper herauszubringen. Spätestens das Aufkommen des Mediums Fernsehen bereitete dem heimischen Minitheater im Guckkasten-Format jedoch ein Ende.

3. Münchner Papiertheaterfestival, Do., 17., bis So., 20. Okt., Kleines Theater im Pförtnerhaus, Bürgerpark Oberföhring

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