Süddeutsche Zeitung

Wie wichtig Kunst ist:"Künstliche Blödheit"

Wenn primitivste Bots und einfache Softwareschnipsel in sozialen Medien eingesetzt werden können und heute schon reichen, um Stimmungen und Wahlen zu beeinflussen, müssen Künstler das Unsichtbare wieder sichtbar machen.

Von Hans Ulrich Obrist

Viele zeitgenössische Künstler verfolgen die Entwicklung der künstlichen Intelligenz mit großer Aufmerksamkeit. Sie artikulieren ihre Zweifel an den großen Versprechungen der KI und erinnern uns daran, den Begriff "künstliche Intelligenz" nicht ausschließlich mit positiven Begriffen zu besetzen. Zu den aktuellen Diskussionen um die KI tragen sie spezifische Perspektiven bei, insbesondere bei Fragen der Bildfindung, Kreativität und Programmierung von Code als Mittel künstlerischen Ausdrucks.

Hito Steyerl, eine Künstlerin, die mit Dokumentationen und Experimentalfilm arbeitet, bringt hier zwei Schlüsselaspekte ein, die man im Hinterkopf haben sollte, wenn man über die Konsequenzen der künstlichen Intelligenz für die Gesellschaft nachdenkt. Zuerst: Die Erwartungen an die sogenannte KI, so Steyerl, sind oft überzogen und das Substantiv "Intelligenz" führt hier in die Irre. Um dem zu begegnen, spricht sie lieber von "künstlicher Blödheit". Zum anderen hebt sie hervor, dass Programmierer versuchen, eigentlich unsichtbare Algorithmen durch Bilder sichtbar zu machen. Um diese Bilder zu verstehen und interpretieren zu können, benötigt man die Expertise von Künstlern.

Steyerl arbeitet schon seit Jahren mit Computern, ihre jüngsten Arbeiten haben sich mit Überwachungstechniken, Robotern und Computerspielen beschäftigt. Um ihre Vorstellung von "künstlicher Blödheit" zu erklären, verweist Steyerl auf die inzwischen weit verbreiteten Twitter-Bots.

Forschung ist zu einem Subgenre der Geschichte der Kunst geworden

Sie sagt: "Es ist üblich geworden, bei Wahlen Twitter-Armeen einzusetzen, um die öffentliche Meinungen zu manipulieren, populäre Hashtags zu diskreditieren und so weiter. Doch hier wird eine künstliche Intelligenz von sehr geringer Qualität eingesetzt. Nichts daran ist raffiniert. Doch die sozialen Implikationen dieser Art von künstlicher Blödheit sind in der globalen Politik gewaltig." Man hat den Einsatz dieser Technologie während der US-Wahl 2016 und beim Brexit-Referendum davor erleben können. Wenn aber schon so "blöde" KI unsere Wahlen und die Politik beeinflussen kann, dann stellt sich die drängende Frage, wie mächtig werden avanciertere Technologien in der Zukunft werden können?

Der Künstler Paul Klee sprach davon, dass Kunst, das Unsichtbare sichtbar mache. Die meisten Algorithmen bleiben unsichtbar. Doch in jüngster Zeit hat es ein interessantes Comeback des Sichtbaren im Prozess des maschinellen Lernens gegeben, etwa in Googles "DeepDream". Die Schwierigkeit in der Wahrnehmung dieser Bilder liegt nach Hito Steyerl nun darin, dass sie für realistische Repräsentationen der inneren Prozesse in den Maschinen gehalten werden.

Sie sagt zur Ästhetik dieser Visualisierungen: "Für mich beweist dies, dass Wissenschaft ein Subgenre der Kunstgeschichte geworden ist. Wir verfügen nun über zahlreiche abstrakte Computermuster, die vielleicht nach Paul Klee oder nach Mark Rothko aussehen. Der Unterschied besteht meines Erachtens darin, dass sie im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs als Repräsentation der Realität wahrgenommen werden, fast wie dokumentarische Bilder, während in der Kunstgeschichte ein sehr differenziertes Verständnis von Arten der Abstraktion besteht."

Es ist klar, dass diese Bilder nicht absichtsvoll in ästhetische Traditionen gestellt werden. Sie haben aber unzweifelbar ästhetische Implikationen. Man könnte sagen, dass Programmierer diese Bilder verwenden, um Algorithmen besser zu verstehen, dass wir aber das Wissen von Künstlern benötigen, um die Ästhetiken der KI besser zu verstehen. Steyerl hat darauf hingewiesen, dass solche Visualisierungen manchmal als "wahre" Repräsentationen von Prozessen verstanden werden. Wir sollten jedoch auf die Implikationen ihrer jeweiligen Ästhetik achten, die kritisch und analytisch betrachtet werden müssen.

Hans Ulrich Obrist ist der Kurator der Serpentine Gallery in London und wird regelmäßig zu einer der einflussreichsten Figuren der Kunstwelt gewählt.

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SZ vom 19.01.2018
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