Wie Hilfsorganisationen werben:Plagative Sprüche

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Schmuddelige Kinder und schwülstige Botschaften: Spendenaufrufe bevölkern in der Adventszeit die Reklametafeln. Ein Rundgang durch die Werbung der Hilfsorganisationen.

Burkhard Müller

Niemandem werden sie dieser Tage entgangen sein, an den Ausfallstraßen, an den Bushaltestellen, wo immer Reklame im öffentlichen Raum erscheint: die Plakate, die für die großen Organisationen zur Linderung weltweiter Not werben. Man erkennt sie meist schon von weitem an ihrer buntschwarzen Anmutung: Schwarz oder mindestens dunkel sind die Menschen, die es hier zu sehen gibt, bunt ihre Kleidung und das, was sie tun.

Kapitalismusvokabular im Spendenappell: Die Hilfsorganisation Adveniat ruft auf zu einer ethischen Investition. (Foto: Foto: Isabelle Rupprecht)

Die Bilder sind erheblich leichter zu verstehen als die Worte, die sie begleiten. "Auf Wiedersehen, Mama!" steht neben einem schwarzen Kindergesicht zu lesen, das anstelle der Pupillen gespenstische weiße Scheiben aufweist; das "Wieder" ist in einer dunkleren, wackligen Schrift gehalten. Und darunter: "Jeder zweite Blinde in Afrika ist heilbar." So glaubt die Christoffel Blindenmission ihre Sache zu befördern.

Man möchte es für schauerlich halten, für unwillkürlich zynisch sogar, wenn man sich nicht sagen müsste, dass keinem der Autofahrer der vertrackte Beinah-Witz in der einen Sekunde, in der er vorbeidüst, irgend aufgehen kann. Der Passant zu Fuß, der sich herverirrt, um die Sache näher in Augenschein zu nehmen, ist ein Fremdkörper hier und wird, wenn er zehn Minuten braucht, um ans andere Ufer einer Kreuzung zu gelangen, vor allem über die monströse Ungangbarkeit jener städtischen Zonen belehrt, wo diese Werbeflächen vor allem prangen.

Beschämende Phrasen

Die evangelische Diakonie verlässt sich auf den Wiedererkennungswert der Serie. "Hoffnung_geben", "Überleben_sichern", "Zukunft_schenken", immer mit dem dummen Tiefstrich dazwischen, der die Scham über die philanthropische Phrase wegwischen und durch den ausdruckslosen Ton der E-Mail-Adresse ersetzen soll.

Die Wahl der Bilder ist geprägt von der Angst, dass sie nicht auf Anhieb dort einsortiert würden, wo sie hingehören; und so hat man zur Illustration östlicher oder südlicher Bedürftigkeit genommen: einen moldawischen oder weißrussischen Cellisten im zerschlissenen Wintermantel, wie sie in Fußgängerzonen musizieren; und eine schwarze Frau, die sich kniend um den eben gesetzten Schössling kümmert, ein Anblick, wie er den Älteren unter uns noch vom 50-Pfennig-Stück her erinnerlich sein dürfte.

Überhaupt sieht man diese auswärtigen Bevölkerungen zumeist bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten, ungeachtet dass die Hälfte von ihnen inzwischen in städtischen Ballungsräumen wohnt, sie pflügen, säen, befassen sich mit Korbwaren oder steigen höchstens in ein gemauertes Behältnis, das der Erzeugung von Bio-Gas dient. Offenbar sollen solche Anzeichen der Verwurzelung Vertrauen wecken und die Furcht beschwichtigen, alle diese zusätzlichen Dunkelhäutigen im Straßenbild kämen sonst am Ende wirklich hierher.

"Ihre Saat geht auf", verkündet Brot für die Welt, hingegen "Ihre Spende wirkt" die Welthungerhilfe, und zeigt, zufällig vorn im Bilde liegend, zwei Säcke mit Saatgut oder Ähnlichem mit der Aufschrift: "Powered by YOU". Das nimmt sich sein Vorbild an dem berühmten Rekrutierungsplakat der US Army, macht sich aber wenig Gedanken über ikonografische und kommunikative Implikationen. Ach ja, und unten drunter schreibt die Welthungerhilfe noch: "Der Anfang einer guten Entwicklung."

Dabei haben wir doch schon das Ende jener Epoche erlebt, als diese Länder, gerade frisch unabhängig geworden, noch hoffnungsfroh Entwicklungsländer hießen; Dritte und bald Vierte Welt nannte man sie dann, zum Zeichen, dass man hier statt dynamischer Vorgänge wohl eher eine finale Hierarchie am Werk sah. Und heute? Es scheint, dass sie inzwischen nicht einmal mehr einen Namen haben.

Lesen Sie auf Seite 2, wie wenig die Spendenaufrufe an die Barmherzigkeit der Menschen appellieren.

"Lebensretter - Sie für Ihr Patenkind. Ihr Patenkind für seine Welt. Ihre Patenschaft bewegt. Werden Sie Pate!" Man spürt noch die Hirnkrämpfe, die in die Abfassung dieses Texts der Kindernothilfe eingegangen sind. Der Gedankengang mag wohl so laufen: Wenn Sie eine Patenschaft übernehmen, helfen Sie nicht nur diesem einen Kind, sondern durch die Ausbildung, die es erhält, wird es zum Multiplikator in seinem sozialen Umfeld, das heißt: die Rendite dieser ethischen Investition liegt noch bedeutend höher, als es zunächst den Anschein hat. Aussichtslos, dem in der dunklen Eisenbahnunterführung, wo das Plakat hängt, Geltung verschaffen zu wollen; nur das dunkle Kind mit seiner Blechtasse lässt sich einigermaßen erkennen.

Man sollte glauben, das Wort "Investition" würde in diesem Zusammenhang eher gemieden, da es zur adventszeitlichen Besinnlichkeit nicht recht passen will. Die evangelische Organisation Adveniat jedoch ermuntert ausdrücklich, begleitet vom riesigen Porträtfoto eines schmuddelig-niedlichen Kindes aus Lateinamerika: "Investieren Sie in Liebe!" Soll man es begrüßen, dass hier die Gefühlsduseligkeit zugunsten des nüchternen Ausdrucks verabschiedet wird?

Hässlicher Bruch

Wohl eher nicht. Der Appell an den selbstlosen Affekt kann Wirkung zeitigen. Ruft man jedoch den egoistischen Instinkt des Kapitalismus an, so verwickelt man sich in einen inneren Widerspruch, der nach außen als ein hässlicher Bruch zutage tritt. Der Investor will (sonst wäre er keiner) den Ertrag seines Einsatzes selbst kassieren; die Liebe aber meint den anderen als solchen, und darum investiert sie nicht: sie schenkt. Und der weitere Text weiß dann auch mit der Investition nichts anzufangen, sondern bewegt sich fort auf der vertrauten Schiene: "Unterdrückten Recht verschaffen / Benachteiligte weiterbilden / Für Ausgeschlossene da sein / Vergessene aufsuchen und Schwache stärken."

Verglichen mit den klassischen leiblichen Werken der Barmherzigkeit fällt auf, wie vage die Handlungsanleitung ausfällt: Spricht die Bibel davon, Gefangene zu befreien, weiß man, was man tun soll, nämlich die Eingeschlossenen rausholen; aber "für Ausgeschlossene da sein", da bleibt der Passant ratlos zurück.

Dennoch, man sollte den Begriff der Investition als einen Vorschlag zur Güte aus dem Geist der Sozialdemokratie nicht gänzlich verachten. Es steckt darin die Zuversicht, es ließen sich die gegenwärtigen Zustände unter Wahrung von Kontinuität und unter Verwendung zeitgenössischer Mittel doch irgendwie zum Besseren lenken.

Brot für die Welt hat sich ein anderes Motto ausgesucht: "Den Armen Gerechtigkeit." Nimmt die Rede von der Investition den Habitus des Sachlichen an, so dieses Wort den Gestus der Forderung, beide mit derselben Absicht, der Würdelosigkeit des alten "Nickenegers" zu entrinnen, den es noch in den sechziger Jahren in katholischen Kirchen gab: eine Sparbüchse in Gestalt eines sitzenden Mohrenknaben, man warf seinen Obolus hinein, die Münze streifte einen Hebel, und der Kopf des Knaben begann sich in Dankbarkeit zu senken, wieder und wieder.

Erbarmen genügt nicht, obwohl es doch eigentlich ein klares und realistisches Ziel verfolgt, nämlich zu verhindern, dass die Armen aus ihrer stabilen Armut in die labilen Gefilde der eigentlichen Hungersnot abdriften. Mehr soll es sein - und mit diesem Mehr beginnen die Unklarheiten.

Plakatwände der Wohltätigkeit

Man fasse diese Wendung genau ins Auge. "Den Armen Gerechtigkeit": Welch ein Ausbund und Abgrund ist sie! Gerechtigkeit, wussten die Römer, bestehe nicht darin, jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine zu geben, suum cuique. Was aber wäre Gerechtigkeit für die Armen? Wären sie noch die Armen, wenn sie Gerechtigkeit erführen? Denn arm sein heißt doch, nicht nur wenig, sondern zu wenig zu haben (wenn man nicht geradezu mit Rilke der Ansicht ist, Armut sei ein großer Glanz aus innen) - und wäre dies nicht eben die Ungerechtigkeit, dass sie arm sind? Zugleich aber sind die Armen hier als identifizierender Begriff gesetzt, als wären sie verdammt, es immer zu bleiben, ja als hätten sie ihren Anspruch nur, solang sie es blieben; was einigermaßen paradox ist.

In diesem Paradox, und nur in ihm, gedeihen die Plakatwände der Wohltätigkeit in unseren vorweihnachtlichen Städten. Ihnen werden rund 10 % der verfügbaren Flächen überlassen (nicht eben die besten 10 %, wie ein Blick auf die geografische Verteilung lehrt), so wie es im Mittelalter einen Zehnten für die Armen gab, welcher ja auch dazu diente, die Armen zu erhalten und nicht etwa die Armut abzuschaffen. "Brot für die Welt - die Wurst bleibt daheim": So sprayte einst ein übler Zyniker auf die Mauer des Gelnhausener Doms.

Wer bittet, wer bettelt, der darf vor allem eines nicht: dem Gebetenen und Angebettelten die Festlaune verderben. Das nimmt er übel und sperrt den Geldbeutel. Diese Plakate folgen der Logik des Bettlers im Osterspaziergang des "Faust": "Lasst hier mich nicht vergebens leiern, / Nur der ist froh, der geben mag. / Der Tag, den alle Menschen feiern, / Er sei für mich ein Erntetag."

In seinem demütigen Appell an die Freiwilligkeit ist das aber mit dem Modus der Gerechtigkeit, in seiner agrarischen Metaphorik mit der Praxis der Investition unvereinbar. Darein müssen die Hilfswerke sich fügen: Die Mittel zur geforderten Veränderung bekommen sie nur bewilligt unter der Bedingung, dass sie alles lassen, wie es ist.

© SZ vom 13./14.12.2008/jb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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