"Who Am I" im Kino:Die Lümmel von der Datenbank

"Who Am I" im Kino: Elyas M'Barek mit Anonymus-Gedächtnis-Maske im Berliner Hacker-Thriller "Who Am I".

Elyas M'Barek mit Anonymus-Gedächtnis-Maske im Berliner Hacker-Thriller "Who Am I".

(Foto: Sony)

Ein anständiger deutscher Genrethriller steht auf Platz eins der hiesigen Kinocharts: "Who Am I". Elyas M'Barek, Wotan Wilke Möhring und Tom Schilling hacken sich beim BND ein. Handwerklich schick inszeniert, das größte Problem aber sind die Dialoge.

Von David Steinitz

Die Aktienhändler stehen mit offenem Mund auf dem Parkett: Auf der Anzeigentafel der Frankfurter Börse klettert der Dax erst in kleinen und dann in einer Riesenwelle ganz nach oben, um ebenso schnell wieder wellenförmig zu fallen - der Index hat sich zum Stinkefinger geformt. Ein kleiner antikapitalistischer Gruß der Hacker-Gruppe Clay, die in einem wilden Mix aus Idealismus, Partylust und Ritalin-Rausch Systemkritik an Politik und Wirtschaft betreibt.

"Who Am I" heißt dieser Thriller im Berliner Hacker-Milieu - tatsächlich ohne Fragezeichen, denn der Titel ist keine Sinnfrage, sondern vielmehr eine Sinnantwort: WhoAmI ist der Nickname des schüchternen Hackers Benjamin (Tom Schilling), der im echten Leben Pizzas ausliefert und einen roten Kopf bekommt, sobald ein Mädchen den Raum betritt - aber mit Computern kommt er bestens zurecht.

Sorgfältig für alle Zielgruppen ausgewähltes Allstar-Team

Durch Zufall kommt er in Kontakt mit ein paar anderen mehr oder weniger alltagsuntauglichen Nerds, gespielt von einem sorgfältig für alle Zielgruppen ausgewählten Allstar-Team des deutschen Films: Elyas M'Barek, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot jr. Gemeinsam gründen sie die Hacker-Gemeinschaft Clay, um sich mit digitalen Mitteln für die in der Realität erlittenen, lebenslangen Erniedrigungen zu rächen. Und um auch im echten Leben ein bisschen Spaß zu haben - da kostümieren sie sich dann mit Anonymus-Gedächtnis-Masken oder legen Hauspartys lahm. Dann aber hacken die Jungs sich beim BND ein und legen sich außerdem mit einem gefährlichen Hacker-Star namens MRX an, bis sie plötzlich einen gänzlich analogen Mord am Hals haben. Die Spielerei eskaliert.

Auf der einen Seite würde man sich wirklich gerne freuen über einen anständigen deutschen Genrethriller, zumal wenn er handwerklich so schick inszeniert ist wie dieser. Regisseur Baran bo Odar ist Absolvent der Münchner Filmhochschule und hat zuletzt die Krimiverfilmung "Das letzte Schweigen" (2010) gemacht.

Er weiß besser als so mancher Kollege, wie man aus den in Deutschland nun mal begrenzteren Budget-Mitteln Hochglanzkino mit ordentlich Tempo machen kann, ohne dass es im Vergleich zu Hollywood mickrig aussähe. In Rückblenden aus dem Verhörraum, wo Hacker Benjamin einer Kommissarin seine Geschichte erzählt, inszeniert er den Film als Thriller-Puzzle in lässiger Videoclip-Optik. So darf sich die Branche jetzt über die Meldung freuen, dass der Film aktuell auf Platz eins der hiesigen Kinocharts steht - als erster deutscher Thriller seit den Achtzigerjahren.

Expressionistisches Internet-Theater

Auch für die Bebilderung der digitalen Kommunikation - eine der großen Herausforderungen für Filmemacher heute, wo menschliche Interaktionen sich immer mehr in Chat-Fenster verlagern - hat er eine kinoaffine Lösung gefunden. Und zwar indem er die Sache mit dem anonymen Datenverkehr einfach bildlich-ironisch nimmt, das digitale Spiel mit maskierten Männern in einer U-Bahn als expressionistisches Internet-Theater nachstellt.

Dann aber fragt man sich zugleich, warum er und sein Ko-Autor Jantje Friese beim Drehbuch nicht mit der gleichen Sorgfalt gearbeitet haben, sondern systematisch verhindern, dass man irgendetwas an diesem Film ernst nehmen kann. Das liegt ein bisschen an der Story, deren Psychothriller-Wendungen nicht ganz so überraschend und überwältigend daherkommen, wie die Filmemacher sich das vielleicht vorgestellt haben. Auch dass wirklich jedes Hacker-Klischee in den Film einfließen muss, wirkt beim Versuch, alles ganz authentisch zu machen, eher kontraproduktiv.

Im Supermarkt kaufen die Hacker-Jungs natürlich nur Tütensuppen und Chips. Und daheim, im versifften Hauptquartier, schlucken und schnupfen sie ordentlich Tabletten und Pülverchen, um auch ja wach zu bleiben. Nur warum? Sie haben eigentlich alle keine Jobs mehr und könnten durchaus auch mal ausschlafen.

Dialogsätze wie Ziegelsteine

Das größte Problem aber ist die Sprache des Films. Einmal fragt ein Student seine lernunwillige Kommilitonin, ob sie etwa "durch die Prüfung rasseln" wolle. Oder der junge Hacker Benjamin bezeichnet ein Gebäude als "so sicher wie Fort Knox". Nur rasselt seit Hansi Kraus und seinen "Lümmeln von der ersten Bank" niemand mehr durch Prüfungen - und Fort-Knox-Vergleiche zieht auch kaum ein Mensch, der nach der Premiere des James-Bond-Films "Goldfinger" von 1964 geboren wurde.

Aber Baran bo Odar - mit 36 Jahren wirklich kein Greis - und sein Team glauben offenbar, dass Menschen unter 30 so miteinander sprechen. Das treibt dem Film trotz aller sonstigen formalen Bemühungen auch das letzte bisschen Realitätsbezug zum Zeitgeist des Jahres 2014 aus.

Auch den älteren Protagonisten werden Dialogsätze wie Ziegelsteine in den Mund gelegt. Ein Kommissar auf dem Revier attestiert dem geständigen Benjamin, dem er zutiefst misstraut: "In seiner Geschichte sind Löcher, so groß wie der Todesstern." Das sagt er zweimal.

Und die Ermittlerin, die Benjamin verhört, sagt tatsächlich mit ernster Miene zu ihm: "Versprich mir, nie wieder zu hacken." Benjamin antwortet daraufhin reumütig: "Ich verspreche es."

Danke.

Who Am I - Kein System ist sicher, D 2014 - Regie: Baran bo Odar. Buch: Jantje Friese, Baran bo Odar. Kamera: Nikolaus Summerer. Mit: Tom Schilling, Elyas M'Barek, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot jr., Trine Dyrholm, Hannah Herzsprung. Sony, 105 Minuten.

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