Whistleblower:Den Hals in der Schlinge

LuxLeaks whistleblower trial in Luxembourg

Ob der Lux-Leaks-Whistleblower Antoine Deltour weiter fröhlich vor sich hinträllern wird, ist äußerst fraglich. Ein neues EU-Gesetz macht Menschen wie ihm das Leben schwer.

(Foto: dpa)

Ein EU-Gesetz soll Geschäftsgeheimnisse auf europäischer Ebene schützen. Das ist im Zeitalter der Patente und neuen Technologien wichtig. Doch liest man den Entwurf, gefährdet es auch Whistleblower und Medien, die Skandale aufdecken.

Von Andreas Zielcke

Seit Dienstag muss sich Antoine Deltour vor einem luxemburgischen Gericht wegen Geheimnisverrats und Diebstahls verantworten; das Urteil wird im Mai fallen. Deltour ist der Whistleblower, der vor zwei Jahren für die Aufdeckung des Lux-Leaks-Steuerskandals verantwortlich war. Interessant, um nicht zu sagen dubios ist hier die Rolle des Europäischen Parlaments. Letztes Jahr hatte es Deltour wegen dieser Enthüllung den Europäischen Bürgerpreis verliehen.

Mitte April dieses Jahres aber billigte das Parlament eine neue EU-Richtlinie, die den Schutz von Geschäftsgeheimnissen in einem anderen Sinn regelt. Tritt sie in Kraft, müssen künftig Whistleblower, aber auch Presseorgane, die vertrauliche Dokumente über unlauteres Geschäftsgebaren ans Tageslicht bringen, damit rechnen, das Schicksal von Deltour zu teilen. Dass kurz vor dem Beschluss des EU-Parlaments die Panama Papers ans Licht kamen und weltweit politische Erschütterungen auslösten, beeindruckte die Mehrheit der Parlamentarier nicht.

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Noch muss der EU-Ministerrat zustimmen. Da er aber in die Beschlussfassung einbezogen war, gilt das als Formsache. Die Richtlinie wird also kommen, und sie wird dafür sorgen, dass der Schutz von Geschäftsgeheimnissen in allen 28 Mitgliedsstaaten verschärft wird.

Natürlich lässt sich gegen die Absicht eines europaweiten Schutzes von Geschäftsgeheimnissen nichts einwenden. Je mehr die Ökonomie auf Wissen, Patenten, Know-how, auf Forschung und Entwicklung, auf Expertise und exklusiver Sachkenntnis basiert, je mehr also Unternehmen um amortisierbare Wissensvorsprünge konkurrieren, desto stärker ist der Anreiz für unredliche Zugänge zu diesem Wissen.

Und da mit der Multinationalisierung die Schutzbedürftigkeit des unternehmerischen Wissens nicht an nationalen Grenzen haltmacht, ist das Vorhaben der EU, wenigstens im europäischen Raum ein einheitliches Schutzniveau zu installieren, folgerichtig. So weit und unbestreitbar die ökonomische Vernunft.

Die Richtlinie bürdet Whistleblowern unzumutbare Risiken auf

Aber sie hat, wenn man ihr so rigide gehorcht wie jetzt die EU, ihre Kehrseite. Ein lückenloser Schutz würde zwar keine Strafverfolgung wegen krimineller Machenschaften verhindern, die sich hinter Geschäftsgeheimnissen verbergen. Die bedeutenden Erkenntnisse der letzten Jahre über illegale oder unethische Aktivitäten in Unternehmen wurden aber nicht durch die Strafjustiz publik, sondern durch zivile Akteure, durch Whistleblower, Verkäufer von CDs mit Steuerdaten oder investigative Journalisten. Und ihnen bürdet die Richtlinie unzumutbare Risiken auf.

Die Befürworter der Richtlinie bestreiten das. Ihr Hauptargument ist, dass die Richtlinie in Artikel 4 genau für solche Fälle Ausnahmen vom strengen Geheimnisschutz vorsehe. In der Tat dürfen nach dem Wortlaut dieses Artikels Geschäftsgeheimnisse offengelegt werden "zum Zwecke der Aufdeckung eines ordnungswidrigen Verhaltens, einer strafbaren Handlung oder einer illegalen Tätigkeit", vorausgesetzt, "der Beklagte handelt im öffentlichen Interesse". Ergänzend erlaubt ein weiterer Absatz die Offenlegung, wenn sie dem "Schutz eines legitimen Interesses" diene. Garantieren diese Ausnahmeregeln den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die Missstände enthüllen, dass sie ungeschoren davonkommen? Bei Weitem nicht.

Zum einen: In vielen Fällen ist gar nicht ausgemacht, ob es sich bei den enthüllten Skandalen um ordnungswidrige, illegale oder gar strafbare Tätigkeiten handelt. Wie die Panama Papers und auch Lux-Leaks zeigen, gibt es nur allzu viele geschäftliche Aktivitäten, die durch Gesetze irgendeines Landes gedeckt, aber dennoch ausgesprochen unethisch oder politisch verwerflich sind. Womöglich ist das der Grund, warum die englische Fassung des Artikels 4 von "misconduct" spricht, wörtlich übersetzt also von "Fehlverhalten" und nicht, wie in der missglückten deutschen Fassung, von "ordnungswidrigem Verhalten". Fehlverhalten kann trotz Anstößigkeit legal sein, eine Ordnungswidrigkeit aber nicht, sie fällt unter den Begriff des "Illegalen".

Doch selbst, wenn man die englische Version zugrunde legt und das Durchbrechen des Geheimnisschutzes auch bei legalem Fehlverhalten zulässt, bleibt immer noch völlig offen, was darunter zu verstehen ist.

Whistleblower als verklagenswerter Eindringling?

Soll damit tatsächlich ein Verhalten gemeint sein, das sich zwar auf die Buchstaben des Gesetzes berufen kann, aber dennoch ersichtlich unmoralisch oder asozial ist, dann müsste dies die Richtlinie klarstellen. Vor allem aber müsste sie dafür präzisierende Kriterien nennen. Ohne justiziable Kriterien lässt sich die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit derjenigen, die sich mit dem Blick hinter die Kulissen um gesellschaftlich gebotene Aufklärung bemühen, nicht wahren. Ab welcher Schwelle ist Fehlverhalten, von dem die Welt bekanntlich voll ist, so eindeutig vorwerfbar, dass seine Enthüllung das berechtigte Interesse am Geheimnisschutz überflügelt?

Es ist kein Zufall, dass die zitierte Ausnahmeregel die enthüllenden Akteure "Beklagte" nennt. Eine verräterische Formulierung, die das ganze Dilemma der Vorschrift offenbart. Sie geht vom überragenden Schutz des Geschäftsgeheimnisses aus, der Whistleblower gilt ihr grundsätzlich als verklagenswerter Eindringling und Geheimnisverräter. Allenfalls zur Not kann er seinen Hals aus der Schlinge ziehen, falls er sich ausnahmsweise rechtfertigen kann und das Glück hat, dass das Gericht die äußerst vagen Ausnahmeregeln zu seinen Gunsten auslegt.

Denn, und das führt zum zweiten Punkt, das Prozessrisiko des Ausnahmerechts trägt ausschließlich der Whistleblower. Dass dies faktisch auf ein juristisches Vabanquespiel hinausläuft, bei dem er als der stets in die Defensive gedrängte Geheimnisverräter die schlechteren prozessualen Karten hat, liegt aber nicht nur an der Unberechenbarkeit der Auslegung. Es liegt vor allem auch daran, dass die Richtlinie ihm die Beweislast für die Ausnahmefaktoren auferlegt. Er muss beweisen, dass es sich bei dem aufgedeckten Verhalten um Fehlverhalten oder Illegales handelt. Und er muss beweisen, dass er "im öffentlichen Interesse gehandelt hat".

Dieser letztere Punkt hat es zusätzlich in sich. Was soll der Whistleblower hier beweisen, was fällt unter "öffentliches Interesse"? Geht es um seine Motive? Oder darum, wie die Öffentlichkeit die enthüllten Fakten wahrnimmt? Oder um einen objektiven Wertmaßstab? Und wie lässt sich das eine oder das andere beweisen? Beweislast bedeutet, dass der "Beklagte", wenn ihm der Beweis misslingt, definitiv als rechtswidrig handelnder Geheimnisverräter gilt und dafür die volle Haftung trägt - strafrechtlich und zivilrechtlich. In der Tat, so wenig sich die Richtlinie Mühe gibt, die Position des Whistleblowers zu stärken, so ausführlich regelt sie zugunsten der Unternehmen den Schadensersatz, den er im Falle seiner Prozessniederlage zu zahlen hat.

Der "Verräter" des Skandals trägt das volle Prozessrisiko

Dass sich die Richtlinie aus Sicht der informationsbedürftigen Öffentlichkeit verhängnisvoll auswirken wird, ist absehbar: Die Unbestimmtheit der Ausnahmefaktoren, die Beweislast zuungunsten des "Verräters", die hohen Schadensersatzsummen, die auf ihn zukommen können, und am Ende schließlich sogar die Freiheitsstrafe, mit der er rechnen muss - all das zusammengenommen dürfte die meisten potenziellen Whistleblower abschrecken. Und den Presseorganen, die sich der Enthüllungen annehmen würden, geht es nicht besser.

Im Unterschied zum amerikanischen Whistleblower Protection Act haben wir in Deutschland keinen auch nur annähernd vergleichbaren Schutz von Skandalenthüllern. Der Abgrund zwischen ihrer öffentlichen Wertschätzung und dem abfälligen Misstrauen, das ihnen Politik und Wirtschaft entgegenbringen, ist tief. Allerdings nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa, nein auch in den USA, trotz des Gesetzes. Edward Snowdens fortdauernde Verbannung spricht Bände, ebenso wie der jetzt in Gang gesetzte Strafprozess gegen Antoine Deltour.

Als der Europarat vor zwei Jahren eine Empfehlung zum Schutz von Whistleblowern herausgab, ließ das Bundesjustizministerium in einem "erläuternden Bericht" erklären, Whistleblowing sei "ein grundlegender Aspekt der Freiheit der Meinungsäußerung und der Freiheit des Gewissens". Man müsse sich "tatsächlich" bemühen, Personen die Entscheidung zu erleichtern, "Meldungen oder Mitteilungen von Informationen über Gefahren oder Nachteile für das öffentliche Interesse zu machen".

Doch mit den wenigen, noch dazu unbedarften Ausnahmezeilen, die die EU-Richtlinie hierfür erübrigt, wird diesen Personen die Entscheidung nicht erleichtert, im Gegenteil. Dabei läge mit der Empfehlung des Europarats längst auf dem Tisch, was nötig wäre. "Tatsächlich" verschafft diese detailliert ausgearbeitete Empfehlung jedem, der es wissen will, eine konkrete Ahnung davon, welcher umfassenden gesetzlichen Kodifikation es bedarf, um legitimes Whistleblowing zu schützen. Verglichen damit liefert die EU-Richtlinie kaum mehr als ein fadenscheiniges Alibi.

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