Wettbewerb der Berlinale 2013:Wenn Robin Hood Strom stiehlt

Nachtzug nach Lissabon, Jeremy Irons, Martina Gedeck

Martina Gedeck und Jeremy Irons in "Nachtzug nach Lissabon"

(Foto: dpa)

Beide wurden sie von Oscarpreisträgern realisisert, Meisterwerke sind sie dennoch nicht: Mit den Filmen von Bille August und Danis Tanovic im Wettbewerb der Berlinale prallen das reiche und das arme Kino aufeinander. Im Gedächtnis bleibt jedoch ein indischer Dokumentarfilm.

Von Martina Knoben, Berlin

Manchmal zwingt die Logistik eines Festivals Filme zusammen, die kaum etwas gemeinsam haben, aber gute Eckpunkte abgeben, disparate Positionen des Kinos zu diskutieren. Bille Augusts "Nachtzug nach Lissabon", außer Konkurrenz im Wettbewerb, und der ebenfalls im Wettbewerb laufende "Epizoda u zivotu beraca zeljeza" (An Episode in the Life of an Iron Picker) von Danis Tanovic sind solche Filme, die - diese Gemeinsamkeiten gibt es dann doch - beide keine Meisterwerke sind und beide von Oscarpreisträgern realisiert wurden.

Bille August bekam seinen Auslands-Oscar 1988 für "Pelle der Eroberer", danach hat er sich vor allem auf Literaturverfilmungen ("Das Geisterhaus", "Fräulein Smillas Gespür für Schnee") verlegt. Auch "Nachtzug nach Lissabon" basiert auf einem Roman, dem "Weltbesteller" von Pascal Mercier. Und wer die Verfilmung bei dieser Berlinale oder im März in den regulären Kinos sieht, muss nicht befürchten, eine Überraschung zu erleben. Der Film ist ein Markenprodukt, teures europäisches Kunstkino, angesiedelt in der nostalgisch grundierten Postkartenschönheit Lissabons.

Es wird philosophiert -"Wissen Sie nicht, dass man sein Leben in jedem Augenblick verändern kann!" - und in der portugiesischen Vergangenheit der Salazar-Diktatur gestöbert. Und an jeder pittoresken Straßenecke begegnen wir Großschauspielern: Bruno Ganz, Martina Gedeck, Charlotte Rampling, August Diehl, sogar Christopher Lee taucht als Geistlicher auf. Angeführt wird diese VIP-Riege von Jeremy Irons als Lateinlehrer Gregorius, der das ungelebte Potenzial seines Lebens ergründet, indem er in Lissabon dem Dichter-Heiligen Amadeu de Prado (Jack Huston) nachspürt. Das beschert schöne Momente, wenn etwa Martina Gedeck Gregorius eine neue Brille - "So besser oder so besser?" - und ein neues Leben anpasst. Unser Leben aber erreicht dieses international aufwendig koproduzierte Boutiquenkino nie.

Wie ein Gegenpol dazu mutet Danis Tanovics "Episode" an. Auch der bosnische Regisseur ist kein Unbekannter, seinen Auslands-Oscar bekam er 2001 für die Kriegssatire "No Man's Land". In seinem neuen Film rekonstruiert er eine reale Begebenheit, stellt sie nach mit den Beteiligten. Nazif (Nazif Mujic), ein Angehöriger der Roma, der seine Familie gerade so durchbringt mit dem Sammeln von Metallabfällen, wird vor ein schier unlösbares Problem gestellt, als seine Frau Senada (Senada Alimanovic) wegen einer Fehlgeburt operiert werden muss - sie hat keine Krankenversicherung, und die Klinik fordert mehr Geld, als Nazif jemals aufbringen kann. Senada droht eine Blutvergiftung.

Tanovic hat mit wackeliger Amateurkamera gearbeitet, wie mittlerweile viele Regisseure, das ist gelegentlich anstrengend. Und man vermisst auch hier, wie schon in dem rumänischen Wettbewerbsfilm "Child's Pose", die Bilder, die ein wichtiges Anliegen auch ästhetisch fassen könnten und im Gedächtnis bleiben. Tanovics Film ist deutlich schlichter als der rumänische, er beklagt die Diskriminierung der Roma und ihre Armut. Um eine Analyse des Gesellschaftlichen geht es ihm erst gar nicht. Die Lebendigkeit seiner Darsteller aber ist eindrucksvoll.

Während eine Figur wie Gregorius im "Nachtzug" vor allem darunter leidet, zu wenig zu erleben (weshalb die Dramen der Vergangenheit als Lebenselixier herhalten müssen), verströmen Senada und Nazif genug Vitalität, das reale Drama der Fast-Blutvergiftung als "Episode" erscheinen zu lassen. Auch im echten Leben kam es dank der Improvisationskunst der beiden zu keiner Tragödie.

Thema von brennender Relevanz

Mehr - und Besseres - von diesem anderen Kino lässt sich im Forum erleben, der immer noch größten Wundertüte des Festivals. Ein Beispiel ist der indische Dokumentarfilm "Powerless" von Fahad Mustafa und Deepti Kakkar, der - unterstützt von diversen westlichen Filmfonds und -stiftungen - von der Stromknappheit und ihren Folgen in einer indischen Drei-Millionen-Stadt erzählt.

Dieses "arme" Kino ist überaus vital, denn das Thema des Films ist von brennender Relevanz, und er verfügt zudem über zwei starke Helden: einen Stromdieb, eine Art Robin Hood in seiner Nachbarschaft, und die streitbare Chefin des örtlichen Energieunternehmens, die zu Recht anmahnt, dass Stromdiebstahl zu noch mehr Ausfällen des Systems führt. Obwohl auch "Powerless" mit einfachen technischen Mitteln entstand, werden die Bilder der Drähte, die mit bloßen Händen installiert werden, die die Straßen überwuchern und Chaos und Überlebensgeschick gleichermaßen symbolisieren, im Gedächtnis bleiben.

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