Pop:Der Vorfahre

Pop: Ein Repräsentant des anderen, vernünftigen, besseren Amerika: Bruce Springsteen im Jahre 2019.

Ein Repräsentant des anderen, vernünftigen, besseren Amerika: Bruce Springsteen im Jahre 2019.

(Foto: Danny Clinch/Sony)
  • Sein neues Album "Western Stars" hat Springsteen mal wieder solo, ohne seine E-Street-Band aufgenommen.
  • Es sind weniger hemdsärmelig geschrabbelte E-Gitarren darauf zu hören und dafür mehr sanft wogende Streicher und Bläser.
  • Als Alterswerk ist das Album eine gute Erinnerung daran, dass Springsteen immer mehr war als bloß ein fleißiger Pathos-Ingenieur.

Von Jens-Christian Rabe

Was für ein Ereignis ist eigentlich ein neues Spring-steen-Album, wie dieses 19. namens "Western Stars" (Sony)? Für seine Millionen Jünger ist es eine weitere Offenbarung des Meisters, klar. Aber für den Rest der Welt? Als politischer Kopf und erklärter Trump-Gegner eignet sich auf jeden Fall kaum ein Pop-Superstar der Gegenwart besser als Repräsentant des anderen, vernünftigen, klügeren, besseren Amerika. Zumal er mit liebenswürdiger Hemdsärmeligkeit, viel Demut und robuster Selbstironie immer sehr darauf bedacht war und ist, nicht als einer von denen da oben wahrgenommen zu werden, sondern als ehrlicher Arbeiter, der höchstens eine Sache besser kann als andere: aus amerikanischen Kleinstadt-Teenager-Träumen herzzerreißend pathetische Rockhymnen meißeln.

Seine vor drei Jahren erschienene große Autobiografie "Born to Run" ist voller betont unschmeichelhafter Stellen, an denen er sich selbst als "Rock'n'Roll-Schreihals" bezeichnet oder einfach als "Handwerker und schlicht gestrickt", als einer, der neben Göttern wie Mick Jagger oder George Harrison, sogar wenn er mit ihnen gemeinsam bei einer All-Star-Jamsession auf der Bühne steht, nicht mehr ist als "na ja, ein kleiner Gitarrist, der sich den Arsch aufgerissen hatte". Der Preis dafür war, dass er genau deshalb von den meisten feinsinnigeren Popisten bis heute als schwitzender Rocktrottel belächelt oder gleich ganz ignoriert wird.

Sie alle wird selbstverständlich auch das neue Album kaum umstimmen, das Springsteen mal wieder solo, ohne seine von vielen Fans fast kultisch verehrte E-Street-Band aufgenommen hat. Andererseits klingt es für manche orthodoxen Brucianer womöglich doch ungewohnt, weshalb im Vorfeld der Veröffentlichung von "Western Stars" sicherheitshalber gleich verkündet wurde, dass der 69-Jährige noch dieses Jahr auch wieder mit Band im Studio und auf der Bühne sein werde. Mit etwas mehr Abstand zum Boss lässt sich sagen, dass tatsächlich weniger hemdsärmelig geschrabbelte E-Gitarren zu hören sind, und dafür mehr sanft wogende Streicher und Bläser. Ein echter Traditionsbruch ist etwas anderes. Für Springsteen-Verhältnisse ist vieles allerdings wirklich erstaunlich glatt und weich, näher am Westküsten-Hochglanz-Folk von Sängern der ausgehenden Sechziger und beginnenden Siebziger wie Harry Nilsson oder Glen Campell als an rumpelig-rauer Americana-Musik. Man könnte es Soft-Folk-Rock nennen. Ein bisschen altmodisch, das schon, aber nicht kitschig oder rührselig. Immer wieder unverkennbar springsteenhaft, mit dem typisch gepressten, drängend-eindringlichen Gesang, pathetisch, dann aber doch auch auffällig zurückhaltend, gar nicht breitschultrig zupackend, sondern verletzlich wie etwa im Titelsong "Western Stars".

Mit "There Goes My Miracle" und "Sundown" gibt es sogar zwei Songs, auf denen Springsteen kaum wieder zu erkennen ist, so unüberhörbar unkörnig klingt seine Stimme darauf, kurz denkt man, es singe ein gezähmter Bono. Ist das Zufall? Tja, nach allem, was er im vergangenen Jahr bei seinem gefeierten einjährigen Solo-Gastspiel am New Yorker Broadway zwischen den Songs so klug und lustig von seinen "Zaubertricks" erzählte, kann man das eigentlich nicht glauben. Da weiß einer ganz genau, was er tut und will. Zum Beispiel nostalgisch sein, ohne neunmalklug die Vergangenheit zu verklären.

Als Kommentar auf die Trump-Zeit ist "Western Stars" so am Ende, auch angesichts der aufgeheizten Lage, ein erstaunlich subtiler, beinahe ratloser Beitrag, als solcher aber auch ein - ja, doch: ehrlicher. Man hat den Eindruck, auch Springsteen kann sich gerade keinen Reim auf sein Land und die Lage machen und lässt lieber, wie in "Drive Fast", vorerst einen Stuntman über seine jugendliche Waghalsigkeit sinnieren oder, wie in "Western Stars", einen verblassten Fernsehstar auftreten, der jedem, der ihm einen Drink spendiert, seine alten Heldentaten erzählt, auch wenn sie in nicht viel mehr bestanden, als einmal von John Wayne erschossen worden zu sein. Songs von glorreichen Verlierern.

Als Alterswerk ist das Album damit auch eine gute Erinnerung daran, dass Springsteen immer mehr war als bloß ein fleißiger Pathos-Ingenieur. Mit dem ungleich einhelliger verehrten Bob Dylan teilt Springsteen schließlich nicht nur, dass er inzwischen so alt ist, wie seine Kunst immer schon wirken wollte. Im September wird er 70, Dylan ist nur 8 Jahre älter. Er teilt mit Dylan auch, dass es ihm um viel mehr geht als bloß um Musik. In seiner Biografie schreibt Springsteen an einer Stelle, dass er daran arbeite, ein "Vorfahr" zu werden. Wenn man sich einen Reim darauf machen will, welchen Reim sich Springsteen eigentlich auf sich selbst und seine Kunst macht, darf man diesen Satz sehr ernst nehmen.

Ein Vorfahr ist schließlich nicht bloß ein älterer Verwandter, sondern jemand, der es geschafft hat, seinen Nachfahren mit seinem Leben und Werk eine Geschichte zu hinterlassen. So ein Geschichtenerzähler wollte Springsteen immer sein (was ihn dann allerdings von Dylan unterscheidet, der sich als grummeliger Spieler eher zurück in eine Tradition einschreiben will). Darin steckt in so postheroischen Zeiten wie unseren eine gar nicht so kleine Anmaßung - und eine Chance, wenn die Sache denn gelingt. Womöglich sogar Glorie, die erst dann richtig strahlt, wenn sie die des Verlierers ist. Springsteen will dabei ein Geschichtenerzähler sein, dem die Quadratur des Kreises gelingt: Er will also ebenso sehr grundehrlicher Autor seines eigenen singulären Lebens sein, wie Sänger einer höheren Wahrheit. Wobei mit Sänger hier nicht der Sänger im postmodernen Popsinn gemeint ist, sondern der Sänger im alten, antiken, homerischen Sinn, der Überbringer und Bewahrer kollektiv geteilter, archaischer Geschichten ist. Das ist im Zeitalter der Singularitäten eine besonders vertrackte Aufgabe, womit man wieder beim Springsteen'schen Zaubertrick wäre. Er besteht darin, ein Beispiel dafür gegeben zu haben, was es bedeutet, seine Träume mit allen Mitteln und gegen jeden Widerstand zu verfolgen und damit so etwas wie eine lebende Erinnerung an die Macht des unschuldigen Begehrens zu sein. Gerade weil es bei ihm bloß das eines kleinen Gitarristen gewesen ist, der zu kaum mehr in der Lage war, als sich den Hintern aufzureißen. Es steckt ein Trost darin, der einem so lange allzu billig erscheint, solange man sich schwer tut, das Pathos, das dabei mitschwingt, zu genießen.

Anders gesagt: Ganz am Ende von "Born To Run" schreibt Springsteen wie er während der Arbeit am Buch noch einmal in die Stadt zurückkehrt, in der er aufgewachsen ist, um einen besseren Schluss für die Autobiografie zu finden. Er stellt dabei fest, dass die Rotbuche in seiner alten Straße mittlerweile gefällt wurde und erschrickt. Als er sich "halbwegs gefangen" hat, sieht er wieder hin und stellt fest, "dass sie zwar verschwunden, aber trotzdem immer noch da war: Die Luft über ihrem Stumpf war immer noch erfüllt von der vertrauten Gestalt und tröstlichen Präsenz meiner alten Freundin." Wann, wenn nicht im Moment, ist das kein Kitsch, sondern ein echtes Versprechen?

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