Paderborn/Werl (dpa/lnw) - Weil Schützenfeste schon in der zweiten Saison coronabedingt weitgehend ausfallen werden, besinnen sich aus Sicht eines Forschers viele Vereine verstärkt auf soziales Engagement. „Gemeinschaft, Geselligkeit, Gemeinsinn - auf diesen Grundwerten fußt das Schützenwesen. Weil Corona reale Begegnungen in größerer Runde unmöglich macht, haben sich viele Vereine in der Krise daher gerade durch Gemeinsinn-stärkende Aktionen hervorgetan“, sagte Jonas Leineweber von der Universität Paderborn der Deutschen Presse-Agentur. Für das Projekt „Tradition im Wandel“ untersucht er unter anderem die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Brauchtum.
Waren es in der Anfangszeit der Pandemie Spendenaktionen etwa für Altenheime oder Einkaufsdienste für Senioren, seien viele Vereine nun auch direkt in der Corona-Bekämpfung engagiert: Schützenhallen werden zu Impfzentren oder Corona-Teststellen, auch mit ehrenamtlichem Personal seien Schützen dort im Einsatz. „Durch das Engagement können die Vereine auch zeigen, dass sie noch da sind“, sagte Leineweber.
Nicht erst in der Pandemie aber eben auch in Krisenzeiten wolle man nach dem Motto „Wir Schützen schützen“ handeln, erklärte beispielsweise Martin Kollath, Geschäftsführer der St. Sebastianus Schützenbruderschaft in Werl im Kreis Soest. Deshalb betreibt der Verein seit Ende März ein Schnelltestzentrum in seiner Schützenscheune. Rund 100 Freiwillige helfen mit, die täglichen Bürgertests anzubieten. Auf diese Weise werde die Bruderschaft weiterhin als Gemeinschaft wahrgenommen. „Und alle die mitmachen, erleben es gleichzeitig als wohltuend mal aus dem Homeoffice herauszukommen und Menschen helfen zu können“, sagte Kollath.
Die Coronakrise stelle das Schützenwesen dennoch vor eine harte Probe, so Leineweber. „Langfristig funktioniert das Schützenwesen ohne Gemeinschaft und Geselligkeit nicht. Digitale Formate können da nur begrenzt Ersatz bieten“, sagte Leineweber. Gerade die jährlichen Schützenfeste gehörten in vielen Dörfern zu den wichtigsten Veranstaltungen im Jahr - mit Tanz, Wiedersehen der Nachbarn und alten Freunde, Austausch, Ausgelassenheit und gemeinsam gelebtem Brauchtum. „Da besteht einfach bei vielen die Schützen sind oder ihnen nahestehen eine große Sehnsucht“, sagte Leineweber.
Auch das „große Wir-Gefühl“ aus den ersten Monaten der Pandemie habe sich abgenutzt, genau wie viele kreative Ideen, mit denen die Vereine Teile ihres Brauchtums coronatauglich gemacht hatten: Schon im vergangenen Jahr hatten viele Vereine sich bemüht digitale Alternativen zu entwickeln, hatten Brauchtumshighlights wie das Fahnenhissen im Internet übertragen, sich in oft launigen Youtube-Clips an die Mitglieder gewandt und über Onlineformate Kontakt gehalten. Auch in diesem Jahr planen viele Vereine wieder Ähnliches. „Das meiste funktioniert eben nur einmal“, warnte Leineweber. In der zweiten weitgehend abgesagten Schützenfestsaison sei daher nochmal neue Kreativität gefragt, um „die lange Durststrecke“ zu überwinden.
In Nordrhein-Westfalen sind Schützenfeste bis mindestens Ende Juni untersagt. Auch viele zu einem späteren Zeitpunkt geplante Schützenfeste sind bereits von den Vereinen abgesagt worden.
© dpa-infocom, dpa:210524-99-720238/2