Werkschau von Hassan Sharif in Berlin:Mit listigem Blick

Der Bildhauer und Performer Hassan Sharif, der die künstlerische Moderne im Alleingang in die Vereinigten Arabischen Emirate holte, wird in Berlin mit einer - auch online begehbaren - Werkschau geehrt.

Von Sonja Zekri

Man kann sich das nur noch schwer vorstellen, weil die Golfstaaten so behäbig geworden sind: politisch vorgestrig, religiös erstarrt, medizinisch Völker von Übergewichtigen. Dabei liegt die Phase schwindelerregender Beschleunigung nur zwei Generationen zurück. Damals verwandelte der Öl-Boom teppichgroße Scheichtümer in Global Player und schuf Dynastien, deren Männer in Lehmhütten gewohnt und Perlen gefischt hatten, aber irgendwann den ersten Rolls-Royce besaßen. Einer ihrer Enkel beschrieb diesen märchenhaften Aufstieg mit den schlichten Worten: "Und so wurden wir reicher und reicher."

Aber diese Phase endet. Der Ölpreis ist auf eine für Länder wie Saudi-Arabien, Russland, Iran und auch die USA womöglich systemkritische Weise eingebrochen. Wenn es schlecht läuft, wird das Ende des Öl-Zeitalters ähnliche Erschütterungen auslösen wie einst der Wettlauf ums Öl. Weil dies so ist und der aktuell verunsicherte Mensch noch aus fernsten Analogien Erkenntnisse presst, lohnt unbedingt ein Blick auf das Werk Hassan Sharifs.

Werkschau von Hassan Sharif in Berlin: In seiner Heimat in den Golfstaaten wurde Hassan Sharif lange belächelt: "Jumping No. 1", Fotodokumentation einer Performance in Dubai aus dem Jahr 1983.

In seiner Heimat in den Golfstaaten wurde Hassan Sharif lange belächelt: "Jumping No. 1", Fotodokumentation einer Performance in Dubai aus dem Jahr 1983.

(Foto: Estate of Hassan Sharif; Alexander Gray Associates, New York; gb agency, Paris; Gallery Isabelle van de Eynde, Dubai)

Als die Kunst-Werke Berlin die 150 Werke umfassende Retrospektive "I Am The Single Work Artist" noch real zeigen konnten, ließen sich Sharifs große Skulpturen umrunden, die Welle billiger Alutabletts, die in den Saal schwappt, die Flipflop-Berge, die Juteseil-Haufen. Aber das geht nicht mehr. So besteht die zweitbeste und ganz und gar nicht schlechte Lösung im virtuellen Besuch. Auf der Kunst-Werke-Seite führt der Kurator Krist Gruijthuijsen mit der Zugewandtheit eines Conferenciers durch die Räume. Und die Online-Filme kann man zu Hause vielleicht sogar etwas konzentrierter anschauen als in der Ausstellung.

Sharif baute Skulpturen aus Alutabletts, Flipflop-Bergen und Juteseil-Haufen

Zudem kann sich der virtuelle Besucher durch den Gedanken aufrichten, dass Hassan Sharif diese Veränderung der Systeme wahrscheinlich gar nicht schlimm gefunden hätte. Er schuf Systeme, um sie zu verändern, das war Teil seiner Kunst. In der arabischen Welt galt er lange als abseitig, als Nachahmer, im Westen wurde er nicht einmal wahrgenommen. Spätestens heute aber lässt sich von ihm zweierlei lernen: ein amüsierter, fast listiger Blick auf den Untergang der alten Welt - und die Bewältigung einer entfesselten Gegenwart durch beharrliches Sortieren des Alltags.

Sharif wurde 1951 in den Vereinigten Arabischen Emiraten geboren, verbrachte dort fast sein ganzes Leben und starb 2016. Sein künstlerisches Schaffen begann mit populären Zeitungskarikaturen über das viele neue Geld. Sie sind hübsch und etwas bissig, aber so eindeutig auf das lokale Zielpublikum hingezeichnet, dass man ihren Witz mehr ahnt als genießt.

In den Siebzigern war am Golf das Vertraute noch erkennbar, es bestand in jahrhundertealten Traditionen, mangelnder Bildung und einer fast vollständigen kulturellen Isolation. In einem der Filme erzählt Hassan Sharif, dass er drei Bücher besessen habe, über van Gogh, Picasso und Cezanne, und diese wieder und wieder durchgeblättert habe, um dem Wesen der Kunst auf den Grund zu gehen. Begreiflicherweise kam er nicht sehr weit. Auch die Lektüre von Leo Tolstois Essay "Was ist Kunst?" warf mehr Fragen auf, als sie beantwortete. Erst als Sharif 1979 nach London ging, um zu studieren, traf er auf Menschen und Gedanken, die ihn inspirierten, den abstrakten Expressionismus, Duchamp, Performance, Fluxus.

Während seine Heimat im großen Stil fossile Brennstoffe exportierte, importierte Sharif künstlerische Techniken. Er ließ sich fotografieren, während er in der Wüste ein Radio schwenkt, reine Bewegung in ewiger Leere. Er installierte eine Ausstellung auf dem Markt von Schardscha, als niemand dort ein Museen betreten hatte. Dass man ihn bestaunte, auch belächelte, aber nicht verbot, lag am versöhnlichen, nie regierungskritischen, nie religiösen Inhalt seiner Kunst. Aber vielleicht hatte es auch damit zu tun, dass sich ohnehin alles änderte. Wenn schon so viel Neues und Seltsames über die Araber hereinbrach, dann gehörte er vielleicht einfach dazu.

Werkschau von Hassan Sharif in Berlin: Das Öl hat seine Heimat für immer verändert, Hassan Sharif huldigt ihm in Pappmaché: "Barrel", 1985.

Das Öl hat seine Heimat für immer verändert, Hassan Sharif huldigt ihm in Pappmaché: "Barrel", 1985.

(Foto: KW Institute for Contemporary Art Berlin / Sharjah Art Foundation Collection)

Sharif schuf Ordnung im Kleinen, wo im Großen Aufruhr war. Aus Dörfern wurden Städte, man baute Schulen, Straßen, sogar Ampeln. Sharif führte Listen, legte Bibliotheken an oder dokumentierte Bewegungen vom Alleralltäglichsten. Wie sind die Tische in einem Restaurant aufgestellt? Mit vier oder sechs Stühlen? Wie bewegt er sich in seiner Wohnung, wann kocht er Tee, wann holt er Brot? Auch wenn das Nichtfigürliche, Serielle, zuweilen fast Kalligrafische dem Ornamentalen der arabisch-islamischen Kunst nicht fern war, muss das damals obsessiv gewirkt haben. Heute ließe sich mit solchen Arbeiten manch öde Quarantäne-Stunde füllen.

Während die Golfstaaten zum Inbegriff von Überfluss und Dekadenz wurden, konzentrierte Sharif sich auf das Billige und Benutzte, denn er wusste, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Ein Strauß künstlicher Blumen. Eine gläserne Tür mit zerschnittenen Plastiksandalen darin. Eine Wand voller Reisigbesen, geometrisch angeordnet, sodass sie von Weitem wie monumentale Lotusblüten wirken, fast pharaonisch. Eine Wand mit Spielzeug, bunter Glubschaugenhorror, den er mit Pappmaché heiter entstellte.

Sharif liebte Pappmaché, denn der Karton hatte bereits ein Leben hinter sich und trug die Fingerabdrücke früherer Benutzer, sagte er. Aber Plastik dominiert alles, hergestellt aus Öl, verarbeitet in China, verkauft am Golf. Wenn der künftige Öl-Verbrauch so niedrig bleibt, hoffen die Golfstaaten auf einen Boom der Plastikproduktion. Wohin sonst mit dem Zeug?

Bei Hassan Sharif findet sich übrigens auch ein Ölfass. Es verweist auf die Straßensperren an der Hauptstrecke für Öllaster, steht dick und rot-weiß in einer Ecke des Saales und ist aus Pappmaché. Darin eingelagert für die Ewigkeit ist alle Ironie der Geschichte.

Hassan Sharif: I Am The Single Work Artist. Kunst-Werke Berlin. www.kw-berlin.de/hassan-sharif. Online bis 3. Mai.

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