Werkschau für Martin Kippenberger in Berlin:Anarchist des deutschen Humors

Er ist ein entscheidender Katalysator des deutschen Humorproblems. Von den eisig-gemütlichen Fünfzigerjahren bis über seinen Tod hinaus in die Gegenwart war der Künstler Martin Kippenberger nicht nur innovativ, sondern auch witzig. Und das war im Nachkriegsdeutschland echte Drecksarbeit.

Von Jörg Heiser

"Bitte nicht nach Hause schicken", steht auf einem Schild um den Hals des betröppelt guckenden Martin Kippenberger - der Schnappschuss war auf die Rückseite eines Karteikartenschranks gepappt, auf dem Schul-Schwänzer-Ausreden prangen ("musste wegen einer unerklärlichen Krankheit zum Heilpraktiker").

Dann das gleiche Motiv in Öl, von 1983. Dieses Bild erwischt einen immer wieder: Man denkt an einen kleinen Hund, vorm Tierheim abgeladen; an den mit der Orthografie kämpfenden Internatsschüler Kippenberger; aber auch an die Pranger-Schilder, die den Juden von den Nazis umgehängt wurden; und an den 1975 entführten Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz, von dem die "Bewegung 2. Juni" ein Polaroid an die Presse gab, auch mit so einem Schild vor der Brust.

In diesem "Bitte nicht nach Hause schicken" ist so ziemlich alles paradox verdichtet, was mit Anerkennung und Schmähung, Umarmung und Verbannung, deutscher Vergangenheit und Vergessen, kalter Frechheit und schelmischer Wärme zu tun hat. Es eröffnet den Parcours durch die Rieck-Hallen des Hamburger Bahnhofs.

Im März 1997 starb Martin Kippenberger 44-jährig. Welche Bedeutung hat er, der nächste Woche sechzig geworden wäre und dem nun diese große Berliner Museumsschau gewidmet ist, für die Kunst und für das Nachkriegsdeutschland? Die Antwort erschöpft sich nicht in der kunsthistorischen Frage, ob er auf formalästhetischer Ebene innovativ war (er war es). Sie kann auch nicht rein milieu-soziologisch ausfallen, auch wenn er ein dauerkalauernder Sozialtrainer und Gruppeneinheizer war, der auf den Gefühlen und Affekten seines Anhangs orgelte.

Vielleicht muss die Antwort mentalitätsgeschichtlich ausfallen: Kippenberger ist, weit über die bildende Kunst hinaus, ein entscheidender Katalysator des deutschen Humorproblems. Und das gilt für die komplette Nachkriegszeit Deutschlands: von den eisig-gemütlichen Fünfzigerjahren, in die Kippenberger als Sohn eines Bergwerkdirektors und verzweifelten Hobbyhumoristen hineingeboren wurde, bis über seinen Tod hinaus in die Gegenwart. Verpflegungswitze der Wehrmachtsheimkehrer, Italien-Romantik in Schlager und Tourismus, Bild-Zeitungs-Schlagzeilen, Hörzu-Cartoons mit Nudelholz und besoffener Laterne, all das und mehr fütterte Kippenbergers Witzideen-Fabrik.

Grobmotorischer Nachkriegshumor

Der deutsche Nachkriegshumor goss sich in das laute Schweigen über die begangenen Verbrechen, entsprechend grobmotorisch und folgenlos war er. Oder aber er musste "Kleinkunst" sein, als Pose studienrätischen Witzelns. Quälgeist Kippenberger aber begriff die Kunst als das für ihn bestens geeignete Terrain.

Seine Strategie des Auskostens, lange über die gut getimte Pointe hinaus, war anschlussfähig an Avantgarde-Gedanken von Enervierung und Zeitdehnung. In der Kunst, im Unterschied zum Komödiantengeschäft, durfte Schweigen und Trauma auch in die beste Laune hineinfunken. Etwa bei Joseph Beuys' Audio-Arbeit "Ja Ja Ja Ja Ja, Nee Nee Nee Nee Nee" von 1969, die daraus besteht, dass Beuys endlos dieses Mantra rheinischer "Es-kütt-wie-es-kütt"-Lebensphilosophie absondert - von Kippenberger in einer spätabendlich krächzenden Zecher-Variante adaptiert.

Seine Schüttelreime und Slogans sind allemal konkurrenzfähig mit den Wortfindungen der Neuen Frankfurter Schule, seine Einladungskarten und Poster sind damit genauso voll wie die Bilder und Werktitel.

In Berlin ist ein Fernsehausschnitt von 1979 zu sehen, der zeigt, wie Kippenberger spätere mediale Humor-Interventionen vorwegnimmt: Eine Ansagerin doziert soziologendeutsche Betrachtungen, bevor zu sehen ist, wie Kippi im Punk-Club SO36 in die Rolle eines Ruhrpott-Hauswarts mit Lederhütchen schlüpft, der noch den renitentesten Szenegänger in der Kunst des Totlaberns übertrumpft.

Sehnsucht nach institutioneller Anerkennung

Humor als Problem: sehr deutsch. Und dass immer wieder betont wird, Kippenberger sei nicht bloß Komödiant gewesen, sondern ernsthafter Künstler. Oder umgekehrt, seitens seiner Verächter: Dass er Possenreißer, nicht Könner war. Albernheit und künstlerische Relevanz schließen sich in beiden Urteilen wie selbstverständlich aus.

Die Frage nach Kippenbergers Bedeutung für das deutsche Humorproblem lässt sich sogar am Zeitpunkt der aktuellen Ausstellung ablesen. Dass gerade Berlin, wo seine Karriere begann, ihm erst 16 Jahre nach seinem Tod eine größere Schau ausrichtet, hat damit zu tun, dass vor seinem Witz keiner sicher war. Da mussten erst Leute kommen, die damals nicht in der Stadt waren, nicht verletzt wurden, wie Museumsdirektor Udo Kittelmann (mit Britta Schmitz Ko-Kurator der Schau).

Kippenbergers Sehnsucht nach institutioneller Anerkennung kommentierte niemand besser als er selbst, beispielsweise in Form zweier Poster. Ein gefälschtes Documenta-Plakat von 1992: seine krumme Säufer-Laterne als Außenskulptur, eine Metallträne vergießend, vor dem Fridericianum; über dessen Portal der Schriftzug "Melancholie". Kippenberger verdrückt ein Tränchen, dass er nicht in Jan Hoets Documenta dabei ist, obwohl das Plakat es behauptet, samt Schwanenlogo. In Wirklichkeit hat ihn "nur" ein Jahr später Fridericianums-Direktor Veit Loers eingeladen - Trostpreis für den zweiten Sieger.

Das zweite Plakat ist von der VenedigBiennale 1996: Kippenberger im schwarzen Mantel vor dem deutschen Pavillon. Ist ihm also endlich die nationale Würdigung zuteil geworden? Könnte man denken - bloß gab es 1996 keine Kunst-Biennale. Kippenberger war fürs Foto in die verriegelten Giardini eingestiegen. Das Bild sagte, "Ich will da rein", wie es gleichzeitig sagte, "ihr könnt mich mal."

Hellsichtig war, wie Kippenberger Qualitätsbewertung in der Kunst gleichsetzte mit Schul- und Haltungsnoten. Und sie so von ihrer hässlichen Seite zeigte, als schulmeisterliche Veranstaltung, die auf hohe Werte zielt und dabei niedere Instinkte übertüncht.

In Berlin ist das besonders präsent in der wenig gezeigten Werkgruppe der "Weißen Bilder" von 1991: Ein Neunjähriger wurde beauftragt, Kippenbergers Gemälde in einfachen Sätzen zu beschreiben ("ein Alter, der auf das Bild kotzt" etc.); sein Schönschriftschreiben, zum Teil noch ins Englische übersetzt, wurde in weißem Lack auf mattweiße Leinwände übertragen und fugenlos eingespachtelt in die weiße Wand. Der kunsthistorische Diskurs dazu - von Robert Rauschenberg bis John Baldessari - ist schnell herbeizitiert, aber der eigentliche Dreh besteht darin, sich selbst längst die kunsthistorische Benotung ausgestellt zu haben: "sehr gut/very good!" Wie ja auch die Ausstellung heißt, und ein frühes Magazin, das Kippenberger 1978 bereits herausgegeben hatte.

Kunstmachen, delegiert an Dekorationsmaler

"Lieber Maler, male mir". Der Titel der berühmten Serie von Bildern, bei einem Kinoplakatmaler in Auftrag gegeben, stammte aus einem Trinker-Witz: "Lieber Maler, male mir, über meiner Zimmertür, meiner Frau zum Trotze, eine große Flasche Bier." Das Volk der Dekorationsmaler, die in gute Stuben und Kneipen ein Stück Heimeligkeit hineinpinselten, selbst das steckt also noch mit drin in Kippenbergers Konnotationsknäuel. Und der Herrenwitz. Und der fiese Freund Alkohol. Entsprechend fachidiotisch wäre es, die Serie auf den Umstand zu reduzieren, dass es ja schon andere gab, die Kunstmachen delegiert hatten.

Aber hatten sie auch ein Panoramabild von Kugelschreibern in Auftrag gegeben, die in einer Jackettasche mit Haushaltsgummi verknotet sind? In Kippenberger einen Humorhexer zu erkennen, bedeutet nicht, ihn als Künstler zu entwerten. Im Gegenteil, seine Kunst ist vor allem in humoristischer Hinsicht um uns, mit uns, unter uns. Denn im Nachkriegsdeutschland witzig zu sein, war wahre Drecksarbeit.

Martin Kippenberger; sehr gut/very good, im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin bis 18. August.

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