Werbung in Deutschlands Theatern?:Wirb oder stirb

Wenn Berührungsängste zwischen Werbung, Theater und Kunst abgebaut werden sollen: Filmregisseur Dieter Wedel will bezahlte Werbung auf die Theaterbühne holen.

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Es gab Bühnenauftritte englischer Streicherensembles, bei denen raumhohe Fahnen der Sponsoringfirma den unübersehbaren Hintergrund bildeten. Solche Beispiele blieben bisher rar, lediglich im Programmheft und auf begleitenden Empfängen durften sich die Spender werbewirksam austoben. Andererseits gab es im Sprechtheater auch Regieansätze, das Genre der Fernsehwerbung in Form eines kleinen Gags einzubauen.

Solch kostenlose Kurzwerbung kann natürlich nur Theateridealisten in den Sinn kommen, jeder andere hätte sich dafür eine satte Prämie zahlen lassen.

Den Hamburger Filmregisseur Dieter Wedel ("Der König von St.Pauli") hat diese indirekte Verschwendung von Subventionen nicht ruhen lassen. Zusammen mit den Hamburger Kammerspielen startete er nun ein Projekt, bezahlte Werbung auf die Bühne zu holen.

Werbung als Bestandteil der Kultur

Eine Jury unter dem Vorsitz von Wedel soll die besten Bühnenfassungen von TV-Spots prämieren und damit für das Theater empfehlen. Wohl ahnend, dass dieses Ansinnen großes Stirnrunzeln hervorrufen könnte, argumentiert Wedel streng kunstästhetisch.

Werbung sei längst Bestandteil unserer Kultur, sagte er bei der Vorstellung seines Konzepts. Es sei an der Zeit, Berührungsängste zwischen Werbung, Theater und Film abzubauen.

Das klingt ein wenig so, als müsse man mal wieder mehr Toleranz üben. Aber so wie jeder Bürger ein Recht auf Berührungsangst bezüglich seiner Menschenwürde hat, so sollte es doch möglich sein, die Kunst vor den Berührungen frecher Aktienholder zu schützen. Auch in Zeiten, in denen frühkapitalistische Manieren wieder hoffähig sind. Sicherlich gibt es Werbung, die für sich gesehen einen Kunstanspruch einlöst. Nachdem es aber im Kern darum geht, den Leuten auf die Nerven zu gehen, um ihnen Produkte aufzudrängen, die sie bis dahin nicht brauchten, gibt es eine gewisse Berechtigung für die Berührungsangst zwischen Kunst und Reklame.

Selbst wenn der Mensch keine Kunst brauchen sollte, so brauche er doch geschützte Räume, in denen er sich geistig und emotional öffnen und entwickeln kann, seine Schutzreflexe, Vorurteile, Berührungsängste eine zeitlang abstreifen kann, um Neues zuzulassen. Davon lebt auch das Theater, und das geht nur, wenn man nicht befürchten muss, in dieser Situation von Produktverkäufern penetriert zu werden.

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