Wer soll über Raubkunst entscheiden?:Partygeplauder

Version 0 -  für Jörg Häntzschel, Zwingergraben

„Der Zwingergraben in Dresden“ von Canaletto gehörte dem jüdischen Kaufhausbesitzer Max Emden. 1938 wurde es für das Führermuseum Linz erworben, nach dem Krieg ging es in den Besitz der Bundesrepublik Deutschland über. Jahrzehntelang hing es im Bundespräsidialamt, heute befindet es sich im Militärhistorischen Museum in Dresden. 13 Jahre lang versuchten die Erben Emdens vergeblich, den Bund dazu zu bewegen, einem Verfahren vor der Limbach-Kommission zuzustimmen. Erst seit Kurzem wird das Bild dort verhandelt.

(Foto: Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Photothek)

Kulturstaats­ministerin Monika Grütters hat Reformen der zuständigen Kommission angekündigt. Umgesetzt sind sie noch immer nicht.

Von Jörg Häntzschel und Catrin Lorch

Der Auftritt hätte ein Befreiungsschlag sein können. Als Monika Grütters in ihrem Grußwort zur Konferenz, mit der man in Berlin das 20. Jubiläum der Washingtoner Erklärung feierte, entscheidende Reformen der Limbach-Kommission ankündigte, wurde es im Publikum kurz still - worauf euphorischer Applaus einsetzte. Der Coup der Staatsministerin für Kultur vor Vertretern von Opferverbänden, Provenienzforschern, Historikern und Kunstexperten war gelungen: Die seit Jahren schwelende Kritik an der "Beratenden Kommission" schien sich erledigt zu haben.

Das war im November. Jetzt, Monate später, zeigt sich: Die versprochene "Reform" findet nicht statt. Bei der Limbach-Kommission wird sich vorläufig nichts ändern. Deshalb wird jetzt die Opposition aktiv, allen voran die FDP, die für diesen Mittwoch eine Anhörung im Kulturausschuss des Bundestags angesetzt und einen Plan für eine umfassende Neuorganisation der Kommission vorgestellt hat. Deren Vorsitzender, der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, geht im Gespräch mit der SZ noch weiter: Er fordert ein Restitutionsgesetz, es würde sein Gremium überflüssig machen.

Die Limbach-Kommission ist zum Symbol für die schleppende und unzureichende Aufarbeitung von Raubkunst in Deutschland geworden. Dabei war die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter" im Jahr 2003 als unabhängige Schiedsstelle gegründet worden, die vermittelt, wenn sich die Erben von in der NS-Zeit enteigneter Kunst nicht mit den heutigen Besitzern, in der Regel öffentlichen Einrichtungen, einigen können. Öffentliche Sammlungen hatten sich 1998 mit der Washingtoner Erklärung verpflichtet, Kunst zu restituieren, die Privatpersonen während der NS-Zeit geraubt oder abgepresst worden war. Erste Vorsitzende der Kommission war die Verfassungsrichterin Jutta Limbach. Sie prägte nicht nur die Arbeit, sondern auch den Namen der Kommission.

Die Limbach-Kommission wurde zum Symbol für die schleppende Aufarbeitung in Deutschland

Doch kritisierten nach ihrem Tod im Jahr 2016 vor allem Opferverbände und Institutionen wie der Jüdische Weltkongress die Zusammensetzung und Struktur der Kommission: Sie mahnten an, dass auch jüdische Persönlichkeiten in dem Gremium vertreten sein sollten, und forderten transparente und geregelte Verfahren. Zudem bemängelte man die Anbindung an das Magdeburger Zentrum für Kulturgutverluste, das auch Museen und Sammlungen im Umgang mit Raubkunst berät. Am heftigsten wurde kritisierst, dass die Kommission nur dann der Frage nachgeht, wer rechtmäßiger Eigentümer eines Werkes ist, wenn beide Seiten dem Verfahren zustimmen. In dem 15-jährigen Bestehen der Limbach-Kommission wurden nur 15 Fälle verhandelt.

Im Schatten dieser Kritik stand die Feier zum Jubiläum der Washingtoner Erklärung - Monika Grütters rettete das Fest mit ihrer Rede. Die Nachfahren der früheren Eigentümer sollten Kunstwerke künftig auch ohne die Zustimmung der deutschen Institutionen prüfen lassen können. Vor allem diese Ankündigung hätte Arbeit und Status der Kommission vollkommen verändert. Sie hätte den Charakter eines Schiedsgerichts angenommen.

Tatsächlich lässt Grütters bei der Kommission aber alles beim Alten. Die "Reform" ist nicht mehr als eine Anweisung an die ihr unterstehenden Institutionen, "dem Wunsch von Anspruchstellern auf Anrufung der Beratenden Kommission zu folgen. Das kommt im Ergebnis einer einseitigen Anrufung gleich", wie man im Kulturstaatsministerium erklärt. Mit den Ländern und Kommunen ist der Vorstoß nicht abgestimmt. Auf deren Museen hat er keinerlei Auswirkungen.

In Grütters' Partei sieht man über diese unbefriedigende Notlösung hinaus keinen Reformbedarf. Der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling sagte der SZ, seine Fraktion sei "grundsätzlich sehr einverstanden mit den von der Bundesregierung schon vorgenommenen Veränderungen". Man überlege, gemeinsam mit der SPD einen eigenen Antrag einzubringen. Was er beinhalten solle, wisse man aber noch nicht. Der Sozialdemokrat Helge Lindh sieht zwar Handlungsbedarf - und ist auch "bereit über ein Restitutionsgesetz nachzudenken" - will aber erst einmal die Gespräche im Bundestag abwarten.

Einzig die FDP hat als Gegenvorschlag einen Katalog von Maßnahmen erarbeitet

Die FDP hingegen schlägt vor, eine vom BKM unabhängige Stiftung zur Aufarbeitung von NS-Raubkunst zu gründen. Die Beratende Kommission soll statt dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste dieser Stiftung unterstehen. Im Übrigen macht sie sich viele seit Jahren geforderte Punkte zu eigen. Die Kommission soll einseitig anrufbar sein; alle Verfahrensbeteiligten sollen Akteneinsicht bekommen; außerdem sollen statt der Veteranen aus Politik und Verwaltung mehr Kunstexperten und Vertreter des jüdischen Lebens als Mitglieder aufgenommen werden.

Auch die anderen Oppositionsparteien fordern Veränderungen: "Ich teile die Kritik von Ronald S. Lauder, der als Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses beklagt, dass die Kommission als nicht unabhängig und nicht unvoreingenommen" gelte, schreibt Erhard Grundl von den Grünen. Simone Barrientos von den Linken mahnt ebenfalls grundlegende Veränderungen an, warnt aber davor, "Zeit zu verlieren". Lösungen wie die von der FDP geforderte Stiftung sollten "darauf abgeklopft werden, ob sie auch schnell umsetzbar sind". Allein die AfD stellt sich gegen alle Überlegungen, Restitutionen zu erleichtern. Während die anderen den moralischen Druck erhöhen wollen, beklagt sie, übermäßige Political Correctness habe in einem Fall schon zu einer "falschen Restitution" geführt; man solle sich lieber mit dem von Russland geraubten Kunstbesitz befassen.

Klar ist jedenfalls, dass sich ohne tief greifende Änderungen an der Arbeit der Kommission nichts Wesentliches ändern wird. Hans-Jürgen Papier hält deshalb eine gesetzliche Lösung für nötig: Sie allein würde endlich einen dauerhaften und praktikablen Rahmen für Restitutionen schaffen. Länder wie die Niederlande und Österreich haben schon positive Erfahrungen mit solchen Gesetzen gemacht. Zudem könnten endlich die Grundlagen für die Restitution von Raubkunst in privaten Sammlungen geschaffen werden. Die waren bislang von allen "freiwilligen Vereinbarungen" ausgenommen.

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