Noch mal geschwind "Die 4. Dimension" nachgehört, 1993 erschienen, und in dem Vierteljahrhundert seither erstaunlich gut gealtert. Es ist - zumindest, wenn man weiß, wo die Fantastischen Vier künstlerisch vorher noch standen - ein kleiner Irrwitz von einem Album: mild verstrahlte Playbacks; Thomas D und Michi Beck huldigen einem gemeinsamen Drogentrip; Smudo rappt über einen Beat, der in Teilen durchaus von einer Kettensäge gespielt sein könnte; und auf einem Song gibt es eine Kooperation mit einer Metalband.
Nach allem, was man so über die Musikindustrie in Deutschland zu wissen glaubt, hätte es kommerziell ein sehr nachhaltiger Selbstmord sein müssen. Tatsächlich verkaufte es sich für damalige Verhältnisse auch eher mau, aber das ist nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass das ganze Projekt "Die Fantastischen Vier" damit nicht am Ende war. Im Gegenteil: Vieles, wenn nicht alles, was danach kam, konnte vielleicht nur kommen, weil der Bruch 1993 so heftig war. Das meiste von dem, was man so über die Musikindustrie in Deutschland zu wissen glaubt, zählt nämlich wenig in dieser Geschichte.
Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert
Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.
"Die 4. Dimension" war jedenfalls ein Album-gewordener kleiner Gewaltakt am Fan - und darin ein frühes Indiz dafür, wie klug diese Band ist. Bis heute, das sagt Michi Beck in der Doku "Wer 4 sind", die seit Donnerstag im Kino läuft und von der gleich zu reden sein wird, ist es "das Meisterstück" von And. Ypsilon als Produzent. Das hat höchstens den winzigen Haken, dass es für Meisterstücke damals noch sehr früh war. Dafür war es damals noch leicht, sich neu zu erfinden. Das Genre war frisch, die Band jung. Vergleichsgrößen gab es kaum. Alles ging da noch. Damals.
Aber was tut man, wenn 25 Jahre später nichts mehr zu gehen scheint, weil die Naivität verschwunden ist? Sogar nicht einfach nur verschwunden, es macht ja nicht irgendwann "Puff" - und weg ist sie. Aufmerksame Künstler können dabei zusehen, wie sie langsam zerdrückt wird von den Routinen, von der Gewohnheit, der Professionalität und dem eigenen Grübeln. Der ersten Idee trauen sie schon längst nicht mehr und der zweiten und dritten eigentlich auch nicht. Auch, weil da dieses Gefühl ist, alles gesagt zu haben.
Das ist ziemlich genau der Punkt, an dem "Wer 4 sind" einsteigt: Eigentlich, so hatte Regisseur Thomas Schwendemann es der Band zumindest verkauft, sollte die Doku zum 30-jährigen Jubiläum klären, warum diese Karriere nicht endete. Die Theorie: Eine sehr spezielle Freundschaft hält die Band zusammen und treibt sie an. Man sollte über diesen Erzählstrang nicht zu viel verraten, deshalb nur dies: Wem das bei einigen der Szenen nicht ans Herz geht, hat womöglich keins.
Die besten Stellen sind die, an denen die Protagonisten vergessen, dass sie gefilmt werden
Was die Doku zu einem Pop-Dokument macht, ist allerdings eine andere Geschichte: die von drei Rappern, denen nichts mehr einfällt. Dabei gilt es doch, ein Album zu schreiben. "Captain Fantastic" wird es am Ende heißen und hier verrät man nicht zu viel, wenn man verrät, dass es erschienen und nicht das schlechteste der Band geworden ist.
Vorerst sieht man aber Künstler, die vor Laptops und Blöcken grübeln und leiden, die blödeln und rauchen und trinken und scherzen und einander antreiben - und genau das produzieren: Mittelmaß. Der ersten Idee trauen sie längst nicht mehr. Und der zweiten und dritten auch nicht. Man kann das spüren, weil Regisseur Thomas Schwendemann die Band überlistet hat. Er arbeitet viel mit festinstallierten Kameras, muss also nicht ständig im Raum stehen. Die Protagonisten haben dabei wohl tatsächlich vergessen, dass sie gefilmt wurden, und das sind die Stellen, in denen "Wer 4 sind" fast zur Tierdoku wird: Rapper in freier Wildbahn. Kampf ums Überleben. Kampf darum, künstlerisch relevant zu bleiben. Schnitt.
Und aus dem Off die Erkenntnis, dass man Hilfe braucht. Bei den Beats holt man sich die schon länger. Jetzt sind die Texte dran. Um Missverständnissen entgegenzuwirken: Die Rede ist nicht von Ghostwriting, nicht von schlüsselfertig gelieferten Reimen. Man muss sich das eher als Songwriting-Camp vorstellen. Samy Deluxe, Curse und Damion Davis geben Input oder spiegeln Ideen, die die Band nimmt und verdreht und zu etwas Eigenem ummodelt. Ein Rapper-Thinktank. Viele machen das inzwischen so. Aber die Frage ist natürlich trotzdem: Wie schwer war das, Schwäche in der Kernstärke einzugestehen?
Alben der Woche:In der One-Night-Stand-Ecke
Metronomy feiern eine Dandyparty mit gewohnt weißer Weste. Belle and Sebastian gibt es immer noch und Trettmann gibt sich grenzwertig poppig.
Die Band beantwortet die Frage in einem dieser Hotels mit flauschigen Teppichen und ein bisschen Wandvertäfelung. Aufgeräumte Truppe, die Augenringe kommen inzwischen eher vom anstrengenden Familienleben, die Antworten aus tiefer, aber, wichtig, sehr sympathischer Routine. Die Kleidung ist dunkel, die Sneaker sind durchweg zu weiß, um schon viel auf Straßen unterwegs gewesen zu sein. Das Fernsehen wird später noch kommen. Und die Fantastischen Vier, bei denen es sich immer noch unmöglich anfühlt, sie mit ihren bürgerlichen Namen auftreten zu lassen, führen die Charaktere auf, die man in Schwendemanns Doku auch sehen kann.
Michi Beck ist also ein bisschen Diva und darin inzwischen aber auch selbstironisch (in den Raum geseufzt: "Mir geht es ein bisschen auf den Sack, dass alle vor allem über dieses eine Thema sprechen!"; über den Film: "Die große Beck hätte sich natürlich gern in einem etwas weicheren Licht gezeichnet gesehen."). Thomas D ist einer, der die Welt eher über Emotionen versteht: "Das Problem beim Songwriting ist in deinem Kopf. Nimm das Beispiel Lovesongs: Du bist das erste Mal verliebt, ein Wahnsinnsgefühl. Der Song kommt wie von selbst, aber wie schreibst du den zweiten? Vielleicht bekommst du ein Kind und entdeckst damit eine neue Form von Liebe. Vielleicht verwandelt sich deine Beziehung in Vertrautheit, auch das könnte noch einer sein, okay, dann haben wir dreimal Liebe. Aber jetzt wird es vertrackt: Entweder du reifst so, dass du ein neues Gefühl findest, oder du findest eben neue Worte für ein altes Gefühl." And. Ypsilon wohnt still mehr bei, als teilzunehmen, das aber auf extrem coole schwäbische Art. Smudo rationalisiert abgeklärt: "Wenn man drüber nachdenkt, was man ab 50 im Hip-Hop noch erzählen kann, landet man immer bei den Beastie Boys."
Sei nicht peinlich - mehr kann keiner verlangen
Ungefähr das ist dann auch die Lösung, die "Captain Fantastic" möglich macht: Sei so alt, wie du bist. Die Haare werden dünner, die Augen schlechter. Wahrscheinlich ist da etwas Bauch. Egal. Nimm es an. Sei oldschool. Rappe alte Zeilen wie "Wer soll die Kuh jetzt vom gottverdammten Eis bekommen? / Yeah, der Smu is on the motherfuckin' Microphone", aber tu es, gottverdammt noch mal, souverän, sei nicht peinlich dabei. Mehr kann keiner verlangen.
Und mehr braucht es auch nicht. "Wer 4 sind" - das ist die eigentliche Leistung dieser Doku - zeigt eine Band, die sich noch einmal gegen die Bedeutungslosigkeit stemmt. Und sich dabei, tatsächlich: gegenwärtig anfühlt, relevant. Manager Andreas "Bär" Läsker spricht an einer Stelle vom "unbedingten Willen dieser Band, keine Scheiße zu machen". Man kann die Fantastischen Vier vielleicht vornehmer auf den Punkt bringen, aber schwer treffender.
Wer 4 sind , D 2019 - Regie und Buch: Thomas Schwendemann. Kamera: Felix Raitz von Frentz. Schnitt: Thomas Schwendemann, Carmen Kirchweger. NFP Filmwelt, 106 Minuten.