Süddeutsche Zeitung

Wenders-Film in Venedig:Alle Anstrengungen erweisen sich als vergeblich

Wim Wenders hat das Theaterstück "Die schönen Tage von Aranjuez" seines Freundes Peter Handke verfilmt. Das Ergebnis zeigt er nun in Venedig. Es ist eine düstere Selbstreflexion.

Filmkritik von Thomas Steinfeld, Venedig

Ein Tisch steht im Garten, zwei Stühle davor, darauf sitzen ein Mann und eine Frau. Sie führen ein Gespräch, bei dem vom ersten Wortwechsel an gewiss ist, dass es einer Regie, wenn nicht einem Skript gehorcht: "Wer macht den Anfang?" - "Du. So war es gedacht."

So beginnt Peter Handkes Kammerspiel "Die schönen Tage von Aranjuez" (2012). Wim Wenders hat es im vergangenen Jahr innerhalb von zehn Tagen verfilmt und zu diesem Zweck über Tisch und Paar eine Pergola errichten lassen.

Die Pergola ist jetzt eine Bühne, der Garten ist ein Saal, und die Kamera ist das Publikum: Ständig ist sie in Bewegung, kreist um den Tisch. Und weil Wim Wenders den Film in 3D aufnahm und allerhand Blattwerk den Eindruck kulissenhafter Tiefe verstärkt, gleicht das gesamte Arrangement auch sonst einem Theaterstück.

Es geschieht allerdings kaum etwas in diesem Drama. Es besteht, bis auf eine letzte Sequenz, aus wenig mehr als einem langen Dialog, auch wenn Peter Handke selbst, mit Leiter und Astschere bewaffnet, dreimal kurz als Gärtner durch das Bild zieht. Die Premiere erlebte dieser Film nun auf den Filmfestspielen in Venedig, und man merkte dem Publikum an, dass es Mühe hatte, sich zu konzentrieren.

Friedrich Schillers Theaterstück "Don Karlos" beginnt mit Worten, die der Beichtvater des Königs von Spanien an seinen Herrn richtet: "Die schönen Tage in Aranjuez / Sind nun zu Ende. Eure königliche Hoheit / Verlassen es nicht heiterer. Wir sind / Vergebens hier gewesen ..." Was nun kommen wird, wird Madrid sein, die Hauptstadt, die Unruhen in den Niederlanden, Politik und Gewalt.

Ein mit theatralischen Mitteln inszenierter Essay

Peter Handke hat sich den ersten Satz aus Schillers Drama nicht nur ausgeliehen, weil er so poetisch klingt. Vielmehr versteht er ihn programmatisch: als Ausdruck eines Gegensatzes zwischen einem privaten, von der Geschichte nicht berührten Raum und einem von unzähligen Konflikten beherrschten öffentlichen Leben.

Dabei interessieren ihn die "schönen Tage" mehr als die politischen Verwicklungen. Es entsteht weniger ein Drama als vielmehr ein mit theatralischen Mitteln inszenierter Essay.

Eine lange Geschichte verbindet den Regisseur Wenders mit dem Schriftsteller Handke. Ihre gemeinsame Arbeit begann mit der Verfilmung von "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" 1970. "Die schönen Tage von Aranjuez" ist das vierte gemeinsame Werk, dem ein Text Peter Handkes zugrunde liegt.

"Außerhalb gleichwelcher Aktualität und gleichwelchen historischen und sozialen Rahmens" habe das Spiel stattzufinden, hatte Peter Handke ins Drehbuch geschrieben, und Wim Wenders verwendet große Sorgfalt darauf, den Absichten seines Freundes zu folgen.

Ein leicht verkommenes klassizistisches Herrenhaus in der französischen Provinz liefert die Szene, der Blick geht über Hügel hinaus in eine bäuerliche Landschaft, hinter der Paris zu ahnen ist. Bewegung entsteht fast nur durch den Wind, der das Laub zum Rauschen bringt.

Sophie Semin spielt "die Frau", und selbst wenn man nicht wüsste, dass sie seit zwei Jahrzehnten mit Peter Handke verheiratet ist, so müsste dem Betrachter auffallen, dass sie "die Frau" weniger spielt als vielmehr selber ist.

Ein Essay ist auch dieser Film, und wenn vielleicht das Theaterstück noch nicht vollends verrät, dass der Schriftsteller Peter Handke hier über sein eigenes Werk nachdenkt, so verrät es der Film.

Wim Wenders tut ein Übriges, indem er den selbstreflexiven Charakter des Werkes ausstellt. Nicht nur dadurch, dass er die Rolle des "Mannes" mit dem französischen Schauspieler Reda Kateb besetzte, der mit seinem dünnen Oberlippenbart ein wenig an den jungen Peter Handke erinnert. Sondern auch dadurch, dass er das Paar von einem Schriftsteller (Jens Harzer) an einer weißen Olympiaschreibmaschine beobachten lässt, während dieses, herauszufinden versucht, was es denn mit der Liebe auf sich habe, der sexuellen Liebe zumal.

Der Sänger Nick Cave ertönt aus der Jukebox, bevor er persönlich einen Auftritt im Film hat

Wenn es denn das Private wirklich gäbe, wenn es denn festzuhalten wäre, als etwas Greifbares und Dauerhaftes, wäre es (so der Gedanke des Stückes) diese Liebe, in der es am ehesten zu fassen wäre.

Im Flur des Herrenhauses ließ Wim Wenders ein vertrautes Requisit aus der Welt Peter Handkes aufbauen: ein grünlich leuchtendes Monster, eine Jukebox der Marke Wurlitzer. Auf diesem Gerät wird zum Beispiel ein Lied des Sängers Nick Cave gespielt, bevor dieser dann selbst im Film auftritt.

Selbstverständlich ist die Jukebox eine Zeitmaschine, eine Reproduktionsanlage für vergangene Zeit, und auch die plötzliche leibhaftige Gegenwärtigkeit ist einen Augenblick später verschwunden.

So ist es auch mit der Liebe, und wenn "die Frau" aus ihrer sexuellen Biografie erzählt, so gelingen ihr zwar Schilderungen von dramatischer Dichte, doch diese verflüchtigen sich bald wieder. Sie werden anonym, porös und manchmal schäbig, so wie die Erinnerungen an längst vergangene Erlebnisse anonym, porös und manchmal schäbig werden

Eine sexuelle Biografie ist, so die Lehre, eben auch nur eine Lebensgeschichte, und unter den Bedingungen absoluter Privatheit gibt es keine Gewähr, weder für die Faktizität des Ereignisses, noch für die daraus entstehenden Folgen.

Der Film hat fast schon sein Ende erreicht, als "der Mann" eine Parabel aus dem Garten des Schlosses in Aranjuez erzählt. Dort habe es einst wunderbare Früchte und Gemüse gegeben, und als der Garten längst verschwunden war, so hätte sich doch eine Frucht erhalten: Sie sei zwar kleiner geworden, doch im Schrumpfen hätten sie gleichsam die Essenz des verlorenen Gartens in sich aufgesogen.

Man versteht, dass auch der Garten, in dem der Film spielt, ein solchermaßen intensives Überbleibsel sein soll. Doch auch diese Parabel ist nur eine Beschwörung, zum Zweck der Abwehr.

Versuch einer Bestandsaufnahme

Bald darauf überfliegt ein Düsenflugzeug den Garten, in dem ein Mann und eine Frau sitzen und an einer Art Workshop zur Erkundung des Privaten teilnehmen. Dann heulen die Sirenen, der Mann muss sich die Ohren zuhalten, so sehr quält ihn das Draußen und in ihm die gesamte historische Welt.

Bald tönt aus der Jukebox ein Lied von Gus Black: "The world's on fire / And I love you" - "die Welt brennt / Und ich liebe dich." Die Schlichtheit dieser Auskunft ist keine Ironie, eher der Versuch einer Bestandsaufnahme, nachdem alle Anstrengungen sich als vergeblich erwiesen haben.

Dann wird der Himmel dunkel, und der Garten liegt unter tiefem Grau. Ein kleiner Film für ein kleines Publikum ist dieses Werk. Doch wenn das Publikum es schwierig findet, sich zu sammeln, so ist es dessen Manko. Denn zum Nachdenken gibt es in diesem Film mehr als genug, in Worten wie in Bildern.

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Quelle:
SZ vom 02.09.2016/pak
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