Weltkulturerbe:"Ein neues Bewusstsein"

Jean-Luc Martinez

Jean-Luc Martinez, 51, wurde 2013 zum Direktor des Louvre ernannt. Zuvor leitete der Archäologe die Antiken-Abteilung.

(Foto: Florence Brochoire/Musée du Louvre)

Jean-Luc Martinez, der Direktor des Pariser Louvre, fordert neue Maßnahmen zum Schutz von Kunst aus Kriegs- und Krisengebieten. Ein Gespräch über seine Vorschläge.

Interview von Joseph Hanimann

Kürzlich legte der Direktor des Pariser Louvre, Jean-Luc Martinez, eine vom französischen Präsidenten in Auftrag gegebene Studie mit Vorschlägen zum Schutz des Weltkulturerbes in Kriegsgebieten vor. Im Gespräch mit der SZ erläuterte er seine Ideen.

SZ: Haben Sie Ihren Bericht als Archäologe und ehemaliger Leiter der Antikensammlung im Louvre oder als Museumsdirektor geschrieben?

Jean-Luc Martinez: Bei Kriegen wie denen im Irak und in Syrien sind archäologische Kulturgüter besonders gefährdet, insofern war ich als Archäologe angesprochen. Aber natürlich sind Museumsdirektoren auch gute Kenner und wichtige Akteure im Bereich des Kunsthandels, der ebenfalls ein Risiko für die Kunst darstellen kann.

Laut einer UN-Resolution vom vergangenen Mai ist ein Angriff auf das Kulturerbe eines Landes ein Angriff auf das Erbe der Menschheit insgesamt. Soll man dagegen auch bewaffnete Kriege führen?

So stellt sich die Frage nicht. Wo Kulturgüter bedroht sind, sind immer auch Menschenleben bedroht. Als die Taliban in abgelegenen Gegenden Afghanistans buddhistische Klöster zerstörten, waren Menschenleben gefährdet. Und als die französische Armee vor zwei Jahren in Mali intervenierte, tat sie das in erster Linie, um die Bevölkerung vor der Gewalt islamistischer Kampftruppen zu schützen. Der Schutz von alten Handschriften, wertvollen Bauwerken und sonstigen Kulturschätzen, um den sie sich ebenfalls kümmerte, vollzog sich nicht im leeren Raum.

In Ihrem Bericht regen Sie die Schaffung eines von internationalen Organisationen, einzelnen Staaten und privaten Spendern finanzierten Stiftungsfonds für die Restaurierung zerstörter Kulturgüter an. Wie würde so ein Fonds aussehen?

Er müsste an eine bestehende internationale Institution angebunden sein, am besten direkt bei den UN. Man muss den Verdacht vermeiden, hier würden westliche Vorstellungen darüber durchgesetzt, was als Weltkulturerbe schützenswert sei. Bedeutende Bauwerke und Kulturschätze müssen von allen als Universalerbe wahrgenommen werden. Die Ansiedelung so einer Institution beispielsweise in China, Brasilien oder Mexiko wäre ein starkes Zeichen dafür.

Wer träfe die Entscheidungen, was restauriert wird?

Grundvoraussetzung ist die Souveränität der einzelnen Staaten. Ohne Hilfegesuch der geschädigten Staaten läuft nichts. Es gab schon Beispiele, die in diese Richtung gingen. Nach den Kriegsschäden in Kambodscha brachte die Unesco mehrere hilfswillige Staaten zusammen, um die Restaurierung der Tempel von Angkor in Angriff zu nehmen. Japan, die USA, Frankreich und andere übernahmen jeder einen bestimmten Sektor. Die Unesco koordinierte das Ganze und sorgte für eine kohärente wissenschaftliche Betreuung. Die Zeit, wo französische, deutsche, italienische Institute im Ausland im Alleingang Ausgrabungs- oder Restaurierungsprogramme durchführen, geht zu Ende, schon aus Haushaltsgründen. Der Begriff "Weltkulturerbe" erhält dadurch seinen vollen Wortsinn.

Neben der physischen Zerstörung gibt es auch den Schaden durch Raubgrabung und Schwarzhandel. Sie plädieren für eine europäische Überwachungsstelle, um die entsprechenden Umschlagplätze, Transaktionen, Akteure besser zu kontrollieren. Ist so etwas aufgrund der sehr unterschiedlichen Gesetzgebung in Europa nicht illusorisch?

Es ist schon ein Fortschritt, dass das Thema überhaupt auf den Tisch kommt. Kürzlich haben die Kulturminister Deutschlands, Italiens und Frankreichs in einem gemeinsamen Brief die EU-Kommission aufgefordert, die Ausfuhrbestimmungen für Kunstgüter aus der EU zu vereinheitlichen und die Einfuhrkontrolle zu verstärken. Das Problem ist im Grund dasselbe wie bei den Flüchtlingen: Länder wie Griechenland und Italien sind besonders exponiert, doch nur eine gesamteuropäische Lösung hilft weiter. Würde Frankreich oder sonst ein Land individuell seine Importbestimmungen verschärfen, würde es nur seinem eigenen Kunstmarkt schaden, ohne die allgemeine Lage zu verbessern.

Besteht überhaupt ein echter Wille, beim Handel mit Antiken verantwortungsvoller vorzugehen?

Bei den Vertretern der Auktionshäuser, bei den Wissenschaftlern und Museumsleuten ist dieser Wille auf jeden Fall da. Sie haben begriffen, dass die Unterbindung des Schwarzhandels oder des Handels in der Grauzone der beste Weg ist, den Kunsthandel zu stärken. Vor 20 Jahren war das anders. Das Problem war bekannt, doch wo die Objekte herkamen, wollte man nicht so genau wissen. Wer die Sache heute so lax sieht, setzt seinen Ruf aufs Spiel.

Geht das so weit, dass man, wie Sie in Ihrem Bericht anregen, ernsthaft auf die Erstellung einer "schwarzen Liste für Hehler-Oasen" hoffen kann, wie es sie für Steueroasen schon gibt?

Natürlich wird sich kein Land freiwillig auf eine solche Liste setzen lassen. Einigt man sich aber auf gemeinsame Normen für die Ein- und Ausfuhrkontrolle von Kunstgütern, stellen sich Staaten, die diese Normen ablehnen oder nicht befolgen, selbst ins Abseits. Das Problembewusstsein ist heute so weit entwickelt, dass eine Position im Schmollwinkel schon fast einem Schuldbekenntnis gleichkommt.

Sie sprechen in Ihrem Bericht auch das Problem der Freihandelszonen wie Genf, Luxemburg, Singapur, Shanghai oder demnächst Peking an, wo man Kunstwerke leicht ohne behördliche Aufsicht einlagern kann. Gehören solche Orte abgeschafft?

Auf keinen Fall. Es geht mir nicht darum, den Handel mit Antiquitäten und Kunstgütern anzuprangern. Dieser Markt ist nützlich und wichtig und er braucht auch solche Transitzonen. Man kann nicht den Ausstellern von Kunstmessen, die ein paar Tage dauern, jedes Mal das normale Ein- und Ausfuhrprozedere aufbürden. Problematisch wird die Sache aber, wenn solche Transitzonen für die langfristige Einlagerung möglicherweise suspekter Objekte missbraucht werden. Schärfere Kontrollen sind hier notwendig.

Besonderes Aufsehen weckt Ihre Idee, einzelnen Objekten oder ganzen Museumssammlungen aus kriegsbedrohten Gebieten vorübergehend "Asyl" zu gewähren. Wie hat man sich das vorzustellen?

Auch hier gilt: Solange das entsprechende Land nicht offiziell danach ersucht, ist das keine Option. Es ist aber denkbar, dass ein Land darin eine Lösung sieht, seine bedrohten Kunstschätze zu sichern. Während des spanischen Bürgerkriegs wurde Frankreich von der republikanischen Regierung gebeten, einige Bilder aus dem Prado in Verwahrung zu nehmen. Erst kürzlich hat die von Frankreich anerkannte Regierung Libyens ihren Wunsch vorgebracht, dass vom französischen Zoll beschlagnahmte Kunstobjekte einstweilen in Frankreich bleiben, bis die Lage im Land wieder ruhiger ist.

Sollen diese Objekte im Asyl eingelagert oder ausgestellt werden?

Am besten sind Kunstwerke zu schützen, indem man sie zeigt. Ausstellungen sind auch Operationen mit eingespielten Verhaltensmustern und Formalitäten. Vor ein paar Jahren beschlossen die Regierung und das Parlament Afghanistans, die Sammlung des Nationalmuseums von Kabul zu schützen, indem sie einiges für eine Ausstellung nach Paris ins Musée Guimet schickten. Wenn der Irak heute Frankreich darum böte, Teile seiner Museumsbestände in Verwahrung zu nehmen, könnten diese im Louvre ausgestellt werden und auch durch andere große Museen Europas auf Wanderschaft gehen. Ich nenne das ein "Museum im Exil".

Welche Gewähr hätte aber ein Museumsdirektor eines solchen kriegsgeschädigten Landes, dass er seine Schätze auch so bald wie möglich wieder zurückbekäme?

Diese Frage wird mir von den Kollegen im Irak meist als erste gestellt. Das französische Rechtssystem bietet eine besondere Garantie durch ein Prinzip, das oft als überholt belächelt wird. Es ist das Prinzip der strikten Unveräußerlichkeit öffentlicher Museumssammlungen, über Generationen hinweg. Daran angeknüpft ist die Nicht-Beschlagnahmungsklausel. Bei der Ausleihe französischer Werke ins Ausland bedeutet dies meistens, dass das jeweilige Land sich verpflichtet, auf eventuelle Beschlagnahmungsforderungen durch Dritte nicht einzugehen. Diese Rechtspraxis, die manchmal als hinderliche Haarspalterei kritisiert wird, könnte der krisenbedingten Kunstwerkmigration gerade förderlich sein. Sie würde den bedrohten Werken das Tor öffnen mit der absoluten Gewissheit, dass man sie bald und vollständig auch wieder ziehen lassen wird.

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